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Liebhaber

Was ich aus meiner Beziehung mit einem Koch gelernt habe

Es war eine einzige Party, eine regelrechte Orgie der französischen Küche, bei der jedoch die Intelligenz und ab und zu auch die Augenbrauen auf der Strecke blieben.

Wenn man mir zu Schulzeiten gesagt hätte, dass diese verpickelten Jungköche, mit denen ich jeden Morgen im Bus gefahren bin, zehn Jahre später die Alphamännchen meiner Pariser Nächte sein würden, hätte ich wohl lauthals losgelacht. Zum einen, weil mein persönliches Interesse an Essen, das schon damals relativ gering war, sich auch nach vier Jahren auf der Uni, die ich mich komplett von Cheetos, erstklassiger tarama und 5-Minuten-Terrinen ernährt habe, kaum weiterentwickelt hat.

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Zum anderen, weil man vor zehn Jahren mit französischen Köchen—Radio und Fernsehen sei Dank—vor allem Personen wie Maïté, Jean-Pierre Coffe oder Joël Robuchon assoziiert hat. Und deren Küche verhieß nicht viel mehr außer Saucen und Fleisch, genauso plump wie die Witze, die dieKochnovizen jeden Morgen im Schulbus rissen.

Schwer zu erklären, wie Köche am Ende den Platz des DJs, der immer pleite ist, oder des Verkäufers bei Colette in den Herzen der französischen Mädchen eingenommen haben. Liegt das an Anthony Bourdains knallharten Kochshows? Oder ist das eine Begleiterscheinung des Food-Porn-Trends? Liegt das an der Eröffnung des Septime? Oder an Pierre Sangs Auftritt bei der französischen Version von Top Chef? Haben Köche einfach nur wegen Darwin so viel Sexappeal? Oder war es doch das geheime Genie hinter dem YouTube-Song Fais-moi une piperade, eine avantgardistische Ode an das gute Essen und die Fleischeslust.

Während ich diese Zeilen schreibe, festigt sich die Vorstellung des fröhlichen, gebildeten, kreativen, umweltbewussten Kochs nur weiter, sodass es mittlerweile extrem viele Küchengroupiesgibt. Sophie Marceau ist dem Akzent eines französischen TV-Kochs verfallen. Grace Coddington macht Fotos mit David Chang. Und R. Kelly besingt die Freuden einer 69er-Nummer auf dem Induktionsherd und anderer hüllenloser Gelage in seinem legendären Song In the Kitchen.

Schnell wurde ich in einen Strudel gerissen, den auch Rabelais gemocht hätte, mit Grand-Cru-Weinen aus Magnum-Flaschen, schweineteurer Wurst und Peniswitzen.

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Und ich. Sechs Monate lang war ich in einen Typen verknallt, der so leckere italienische Sandwiches machte, dass ich dafür töten wollte. Ich bin jeden Tag mittags in seinen Laden gegangen und habe ihm dabei zugesehen, wie er Schinken schnitt. Mein persönlicher Porno.

Irgendwann in einer kalten Februarnacht wollte das Schicksal dann, dass sich unsere Wege vor einer schäbigen Bar kreuzten. „Willst du mal was Lustiges sehen?", fragte er mich als erstes und zog dann die Ärmel seines Pullis hoch, sodass ich freien Blick auf seinen Wikingerarm hatte, auf dem sich ein riesiges Tattoo des Wappens seiner Heimatregion befand. Ich habe das Symbol sofort erkannt—wir kamen aus derselben Ecke. Einen Gin Tonic, zwei Ricard und fünf oder mehr Kurze später wusste ich auch, dass er schon in den besten Küchen der französischen Hauptstadt gearbeitet hatte, dass er noch nie Game Of Thrones gesehen hatte (obwohl er den männlichen Charakteren der Serie erstaunlich ähnlich sah) und dass er mich wiedersehen wollte.

Und so landete ich während der dritten Halbzeit eines Rugbyspiels inmitten eines Haufen Jungs jeglicher Nationalität mit roten Wangen und südfranzösischem Akzent, die mich lieber „Schnecke" nannten, als sich meinen richtigen Namen zu merken. Schnell wurde ich in einen Strudel gerissen, den auch Rabelais gemocht hätte, mit Grand-Cru-Weinen aus Magnum-Flaschen, schweineteurer Wurst und Peniswitzen. Juroren bei Kochshows, preisgekrönte Küche, die Wunderkinder der Gastronomie … Vor meinen Augen besoff sich die erste Garde der französischen Küche, sie tranken Bier aus Motorradhelmen und versuchten sich an Jackass-Stunts, die man auch nur für eine gute Idee hält, wenn man mehrere Promille intus hat. Ich dachte, ich spinne: Ich bin 800 Kilometer weit weg vom Baskenland, aber irgendwie hat sich im Raum-Zeit-Kontinuum ein Spalt aufgetan, sodass ich jetzt in einer nicht enden wollenden Hölle der Fêtes de Bayonne gelandet bin.

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Vier Monate lang habe ich die Nächte wie in Das große Fressen verbracht—ohne Prostituierte, aber inklusive Todeswunsch. Das lief ungefähr so ab: trinken, essen, wieder trinken, zum nächsten Laden wanken, in einer schicken Bar alle Tapas bestellen und alles in acht Minuten verschlingen, in der Küche eines anderen Restaurants vorbeischauen, mehr essen, mit abrasierten Augenbrauen wieder rauskommen, noch eine Magnum-Flasche bestellen, auf den Tresen eines Bistros klettern und wie ein Affe auf der Brust trommeln. Ohne Reservierung sind wir in ein überfülltes Restaurant eingefallen, bekamen den besten Tisch und haben uns nicht einmal die Karte angeguckt. Der Küchenchef begrüßte meine neuen Freunde, indem er sie mit einem Handtuch auspeitschte, und hat dann Dutzende exquiste Gerichte auffahren lassen, die nicht einmal auf der Karte standen.

Traurig aber wahr: Mein Kochfreund und ich haben es eigentlich nie wirklich geschafft, Gespräche mit mehr als vier Sätzen zu führen. Ich habe schnell festgestellt, dass Essen sein einziges Ausdrucksmittel war.

Leider spielte sich diese Geschmacksorgie in einem absoluten intellektuellen Vakuum ab. In den Gesprächen ging es nur ums Essen und Kochen; gut, ab und zu waren sie noch mit politischen Statements ausgeschmückt, die ganz schön nach Front National stanken, à la „Wir werden schon sehen, wer 2017 das Lachen hat". Während unserer Beziehung bekam ich die heißesten Gerüchte der Branche mit, unter anderem auch die Story über einen Ölmagnaten, der zwei Etagen eines Pariser Luxushotels reserviert hatte und seinen persönlichen Koch in der Küche für ihn kochen ließ. Er war total paranoid, man erzählt sich, dass er nur mit Zutaten arbeitete, die aus den VAE importiert wurden—im Endeffekt Bolognese aus französischer Produktion mit Etiketten auf Arabisch. Einmal hatte ein Gast ihn gebeten, dass die Küche aufbleibt, bis er wiederkommt. Da er das aber nie tat, hat der Ölscheich den Angestellten, die die ganze Nacht aufgeblieben sind, ein Trinkgeld in der Höhe eines Monatsgehalts gegeben.

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Am Ende des Abends sind wir immer in ihrem Lieblingsclub gelandet—das übliche Programm mit drei Floors und drei DJs—, wo die Gang dann lautstark Les Lacs du Connemara gegröhlt und sich mit Jägermeister und Red Bull ins Koma gesoffen hat.

Traurig aber wahr: Mein Kochfreund und ich haben es eigentlich nie wirklich geschafft, Gespräche mit mehr als vier Sätzen zu führen. Ich habe schnell festgestellt, dass Essen sein einziges Ausdrucksmittel war: Er hobelte einen tennisballgroßen Trüffel über meine Frühstückseier, füttert mich mit Foie Gras, bis ich platzte—so hat er mir mitgeteilt, dass er mich mag. Unsere Beziehung war ein einziges durchexerziertes Gelage, das er, immer wenn er zu verkatert war, einfach per SMS abgesagt hat.

An dem Abend, als er nachts durch die Straßen getorkelt ist und seinen Motorradhelm in die Windschutzscheibe eines Autofahrers geschmettert hat, der ihn gerade angehupt hat, wusste ich, dass es Zeit war zu gehen. Meine Traumvorstellung vom Koch wurde jäh von der Realität zerstört: Es ist eigentlich ein Paralleluniversum, in dem die Garde der französischen Küche, nachdem sie wie die Tiere zwölf Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche isoliert in ihrer Küche gearbeitet haben, ihre Leber und ihre Manieren opfern, nur damit wir ihre Kreationen genießen können, deren subtile Aromen im starken Kontrast zu ihrem doch vulgären Leben stehen.

Für diese Erkenntnis kann ich ihnen nicht genug danken.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei MUNCHIES FR.