Diese Frau verdient ihren Lebensunterhalt damit, Skulpturen aus Käse zu bauen

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Käse

Diese Frau verdient ihren Lebensunterhalt damit, Skulpturen aus Käse zu bauen

Traumjob: Käsebildhauer. Inklusive Resteessen.

Ich habe eigentlich nie davon geträumt, Käsebildhauerin zu werden. Der Käse hat mich einfach gefunden.

Seit 20 Jahren schnitze ich Käseskulpturen. Meist live vor Ort, weil die Leute einfach gern sehen, wie diese verrückten Käseskulpturen gemacht werdenzum Beispiel einen 90 Kilo schweren Alligator oder einen 850 Kilo schweren Astronauten. Die Skulpturen mache ich meistens in Supermärkten für Promo-Aktionen von verschiedenen Kunden wie der Milchwirtschaft von Wisconsin oder diversen Käseherstellern. Bei meiner Arbeit reise ich durch die gesamten USA, zwischen Alaska und Maine nehme ich alle Staaten mit. Ich habe schon in Disneyland, Disney World und bei sechs der neun letzten Super Bowls Käse gearbeitet. Und ich habe sogar einen Weltrekord für die größte Käseskulptur bei der Wisconsin State Fair 2011 aufgestellt.

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Fotos von Eugene Lee

Kunst und Zeichnen haben mir schon als Kind gefallen und meine ganze Familie ist ziemlich künstlerisch. Später habe ich dann Werbegrafik studiert und danach für den amerikanischen Milchverband ADA in Wisconsin und mehrere Jahre für den Milchmarketingverband in Wisconsin WMMB als künstlerische Leiteringearbeitet. Und ich habe auch Käsebildhauer engagiert und immer wenn neue Skulpturen zu uns kamen, war ich total begeistert. Irgendwie war ich eifersüchtig und dachte mir: „Das will ich auch machen." Doch ich kam nie auf die Idee, tatsächlich Käsebildhauerin zu werden.

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Meine allererste Käseskulptur machte ich, als ich gerade beim ADA in Wisconsin angefangen hatte. Ich musste eine Präsentation zur Kunst der Käseherstellung machen und ich überlegte, welches Bild ich auf die erste Folie bringen könnte. Und da dachte ich mir: „Mach doch einfach einen Holzschnitt, nur mit Käse."

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2009, zum 40. Jahrestag der Mondlandung: Sarah Kaufmann schnitzt einen Astronauten aus einem 860-Kilo-Block Käse. Foto mit freundlicher Genehmigung von Sarah Kaufmann

Also schnitzte ich den Titel der Präsentation wie bei einem Holzschnitt in den Käse und benutzte ein Foto davon als Einstieg. So eine Käseschnitzerei schien mir eine gute Idee und ein interessantes Medium. Das war 1981, danach habe ich überhaupt nicht weiter über das Käseschnitzen nachgedacht, bis ich irgendwann Jahre später noch eine Skulptur schnitze.

Nachdem ich meinen Job beim WMMB aufgegeben hatte, wollten sie, dass ich für sie bei Messen und Supermarktaktionen Käseschnitzereien machte. Damals hatte ich schon einen neuen Job in der Werbebranche, ich reiste also neben meinem Vollzeitjob noch umher, um Käseskulpturen zu machen. Anfangs fragte mich mein Boss, ob das jetzt regelmäßigsein würde, woraufhin ich nur meinte: „Ach, nur ab und zu." Doch in den ersten sechs Monaten hatte ich allein 32 Aufträge, darunter einen beim Super Bowl. In den Jahren darauf wurde es immer mehr und mehr und irgendwann musste ich meinen eigentlichen Job kündigen, weil ich eh nie da war.

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Sarah Kaufmann mit einem Grizzlybär aus Käse in Anchorage, 2013. Foto mit freundlicher Genehmigung von Sarah Kaufmann

Früher habe ich in der Werbebranche wie wild geackert, heute in der Käsebranche. Aber ich bin mein eigener Boss und glücklich, dass ich wieder Kunst machen kann. Käse ist kein Marmor und steht nicht in einem Museum für bildende Künste. Ich habe auch keinen Abschluss in bildender Kunst, doch das ist mir egal. Ich habe gut zu tun. Wie viele Leute haben bildende Kunst studiert und haben jetzt 650 Bilder unter ihrem Bett liegen. Ich kann mich vor Arbeit kaum retten.

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Ich habe über 3.000 Käseskulpturen geschnitzt—und dann aufgehört zu zählen. Mein Lieblingsstück ist immer noch der fast zwei Meter lange Alligator, den ich vor 18 Jahren gemacht habe. Der war gigantisch und ziemlich kompliziert—einfach großartig. 57 Stunden habe ich dafür gebraucht.

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Käse ist ein besonderes Medium, wie Holz oder Stein.Bei Ton, Kuchen oder Butter kann man immer wieder was hinzufügen, bei Käse ist es ein für alle Mal weg. 90 Prozent der Skulpturen mache ich aus Cheddar, weil der schön fest ist und nicht zusammenfällt. Außerdem schmeckt er gut und der Preis stimmt. Man bekommt ihn in großen Blöcken, 20 bis zu 4.500 Kilo schwer. Ich könnte auch mit anderem Käse arbeiten—Gruyère, gereiftem Gouda, Parmesan, Asiago oder gereiftem Provolone—, aber sie müssen wirklich fest sein, weil sie ja stehen sollen. Selbst wenn ich bei Temperaturen um die 30 Grad arbeite, erwärmt sich der Käse ein bisschen, er schmilzt aber nicht. Und das kann man schon ein wenig ausreizen: Der Käse verdirbt ja nicht sofort. Er ist nur nicht mehr so lange haltbar.

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Für meine Skulpturen benutze ich nur wenige einfache Werkzeuge, hauptsächlich Töpferwerkzeuge wie Modellierschlingen. Ich habe auch noch ein monströses Käsemesser mit Doppelgriff, mit dem ich die riesigen Blöcke in kleinere Stücke schneiden kann. Wenn ich richtig viel Käse abschneiden muss, nehme ich natürlich größere Sachen und nicht nur eine Modellierschlinge.Daswichtigste Werkzeug ist jedoch Geduld, die braucht man einfach. Kindern sage ich immer: „Kratzen, kratzen, kratzen. Schaben, schaben, schaben." Mehr ist es nicht. Stundenlang nur kratzen, schaben und Käse abtragen. Manchmal denke ich mir selbst: „Oh Gott, kann das nicht endlich fertig sein?" Doch man muss sich einfach Zeit nehmen, viel kratzen und eseinfach machen.

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Meistens arbeite ich die Nacht durch oder wenigstens aber bis drei Uhr morgens, dann ein paar Stunden schlafen und nach dem Aufstehen geht es weiter. Doch für mich als Künstlerin hat das nichts mit Arbeit zu tun. Nachdem ich stundenlang den Käse abgetragen habe, mache ich mich an die Feinheiten wie die Haare, ich färbe die Zähne weiß und male der Skulptur Augen an. Und plötzlich erwacht sie zum Leben.

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Mittlerweile bin ich 64. Ich brauche Azubis, denn ich könnte noch so viel mit Käse machen. Außerdem deutet sich bei mir das gefürchtete Karpaltunnelsyndrom an—20 Jahre lang bin ich wie durch ein Wunder davon verschont geblieben, jetzt bahnt es sich langsam an. Und es wäre auch für meine Kunden toll, wenn ich sagen könnte: „Ich schicke Ihnen stattdessen den und den und Sie werden genauso zufrieden sein."

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Am längsten dauert es immer bei der Indiana State Fair: zehn Tage Vorbereitungen und Live-Schnitzen. Bei solchen großen Aufträgen vor Ort arbeite ich meist mit 200 bis 450 Kilo schweren Laiben oder 300 Kilo schweren Blöcken. Allein zur Indiana State Fair kommen jeden Tag Tausende Menschen, die mich zum Beispiel fragen: „Ist das echter Käse? Wie viel Käse ist das? Was machen Sie mit dem ganzen Käse, wenn Sie fertig sind?" Während ich arbeite, unterhalte ich mich also mit den Besuchern über Ernährung, Käseskulpturen und die Geschichte der Käseherstellung.

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Es geht dabei nicht darum, eine schicke Skulptur zu machen, sondern es geht darum, die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommenund eine Botschaft zu vermitteln. Das weiß ich, weil ich selbst in der Werbebranche gearbeitet habe. Hinter diesen Skulpturen steckt viel mehr Arbeit, man fängt nicht einfach an, ein Bild in den Käse zu schnitzen. Man muss dort hinfahren, mit einem 200-Kilo-Käselaib hantieren, ihn mit Drähten in einzelne Abschnitte teilen, einwickeln, seine Stücke abschneiden und sie dann vor Ort schnitzen, während man sich mit den Leuten unterhält.

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Bei der nächsten Indiana State Fair wollen wir mit einer High School oder einem College aus der Region zusammenarbeiten, damit auch ein paar junge Künstler lernen können, wie man eine Käseskulptur macht. Das wäre toll. Sie könnten die riesigen Käseblöcke stundenlang abtragen und dann mache ich nur noch die kleinen Details. Ich muss nicht immer der Star sein, das sollte die Skulptur sein.

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Aufgezeichnet von Jean Trinh.