Slow Fish—Wie steht es um Europas Fischerei?

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Slow Fish—Wie steht es um Europas Fischerei?

2014 trat eine Reform der Europäischen Union über die sogenannte ‚Gemeinsame Fischereipolitik' in Kraft, um die Fischereibestände wieder zu erhöhen und für eine nachhaltige Fischerei zu sorgen. Doch am meisten leiden darunter die kleinen...

„Ich bin Henry und komme aus Südfrankreich. Trotz allem, was bisher gesagt wurde, glaube ich, dass es in zehn Jahren in Frankreich keine kleinen Fischereien mehr geben wird." Henry konnte kaum seinen Satz zu Ende führen, als enthusiastischer Applaus das Zelt der diesjährigen Slow Fish Konferenz in Genua erfüllte. „Die Absichten der Reform sind großartig und es ist an der Zeit, dass endlich etwas getan wird, aber das Problem liegt an den abweichenden nationalen Richtlinien. Heute muss man in Frankreich eine Lizenz beantragen, die 1000 Euro kostet. Dann muss man ein Boot kaufen und wenn man es endlich mal aufs Meer hinaus geschafft hat, fängt man nie genug, um die horrenden Ausgaben jemals zurückzahlen zu können. Nach uns wird es keine Generation mehr geben. Es werden nur noch große Fischereien übrig sein."

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Sollte sich das bewahrheiten, wäre das ein vernichtendes Urteil, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit die EU in ihre neue Fischereipolitik gesteckt hat. Aber genau deswegen sind alle hier, beim runden Tisch zum Thema: „Wie wirkt sich die neue EU-Politik auf kleine Fischereien aus?"

Slow Fish 2015" ist eine Messe für nachhaltige Fischwirtschaft, die letztes Wochenende in Genua stattfand. Es ist die erste ihrer Art und sie hat zum Ziel, Vertreter handwerklicher, kleiner Fischereien mit politischen Entscheidungsträgern und Konsumenten zusammenzubringen, um Raum für den Dialog über Konsum, Rechtssprechung, Selbstorganisation und nachhaltige Fischwirtschaft zu schaffen.

In der Lebensmittelindustrie fehlt es extrem an Transparenz, in manchen Bereichen mehr als in anderen. Die Machenschaften der Tierproduktion, unter denen die Tiere extrem leiden, wurden in den letzten Jahren medial entlarvt. Über Fische, die einzigen wilden Tiere, die wir noch essen, wird jedoch viel weniger gesprochen und es fehlt der Druck der Öffentlichkeit.

2009 regten sich erstmals Vertreter der Fischerei-Gemeinschaft bezüglich der Fischereipolitik. Was früher ein „einfaches" traditionelles Gewerbe war, das von manueller Arbeit und der Liebe zum Meer geprägt war, hat sich zu einem permanenten Kampf um Finanzierung und Gesetze entwickelt.

Nachdem die EU seit 2009 Daten gesammelt und analysiert hatte, formulierte die EU-Kommission 2013 einen Entwurf für das Parlament. Seit 2014 ist dieser Entwurf als die letzte Reform der ‚Gemeinsamen Fischereipolitik' (GFP) in Kraft getreten.

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Auf Henrys Wortmeldung reagiert Renata Briano, Vizepräsidentin des Ausschusses für Fischerei des europäischen Parlaments: „Alle unsere Statistiken basieren auf den neuesten Ergebnissen, aber es gibt viele Daten, die wir noch nicht gesammelt haben." Dann fügt sie hinzu: „Die Fischerei ist ein regionales Gewerbe und deshalb muss es Unterstützung auf lokaler Ebene geben, sowohl was das Weitergeben von Informationen an uns anbelangt, als auch was die Bekräftigung dieser Politik durch Umsetzung betrifft". Franco Biagi, Berater der Kommission, fügt hinzu, dass der Informationsaustausch jetzt, da die Reform in Kraft getreten ist, eine wichtige Rolle spiele und wenn sich kleine Fischereien nicht selbst organisieren, um in Scharen nach Brüssel zu kommen und Lobbyarbeit zu leisten, werde sich die Situation auch nicht zu ihren Gunsten verändern. „Fische sind eine limitierte Ressource, die sich in Gewässern mit unklaren geografischen Grenzen befindet. Und genau deshalb muss die Fischerei stärker reguliert werden." Obwohl die EU sich sichtlich Mühe gegeben hat, kann man kaum erwarten, dass das bereits genug ist.

Die Gewässer sind gemeinschaftlicher Raum und viele der Entscheidungen liegen in den Händen der lokalen Behörden, von denen viele recht willkürlich handeln. Richtlinien werden auf lokaler Ebene nicht umgesetzt und zahlreiche Regierungen haben sich zu einer Strategie hinreißen lassen, die nach Korruption tönt: Sie verkaufen einige der Privilegien auf See.

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Die Quote beispielsweise, die die zum Fang zugelassene Menge an Fischen bezeichnet, spielt eine wichtige Rolle, was die Macht der Regierungsbehörden betrifft. In manchen Ländern wie in Dänemark wurde sie privatisiert und so können kommerzielle Fischereien ihre zugelassene Menge einfach kaufen, während die der anderen beschränkt ist.

Da die Liegenschaften an der Küste immer teurer werden, werden viele kleinere Fischer von der Meeresküste weggedrängt und verlieren somit den unmittelbaren Zugang zu ihrer wichtigsten Ressource.

Jeremie Percy, Gründer von LIFE (Low Impact Fishers of Europe), ist bemüht darum, kleine Fischer unter dem Schirm seiner Organisation zusammenzuschließen. Als ehemaliger Fischer ist er sich der sensiblen Lage der Fischer bewusst: „Natürlich könnte man sagen, es ist schon ein bisschen zu spät, aber wir können es auch als eine Chance sehen. Wir müssen eine Lobby gründen und zwar schnell."

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Die Problematik hat noch eine weitere Dimension. Der Präsident der Fischereiorganisation von Tanger in Marokko, erklärt: „Wir haben unterschiedliche Gesetze, aber wir teilen uns den Raum. Unser Fang wird stark von den Entscheidungen der EU beeinflusst. Für uns in Nordafrika ist das Fischen eine lebenswichtige Ressource. Von ihr hängt ab, ob wir etwas zu essen haben oder verhungern."

Aber auch Länder, in denen es gar keine Gesetzgebung für das Fischereigewerbe gibt, wie Israel, wo das Fischen 365 Tage pro Jahr erlaubt ist ohne Berücksichtigung der Fortpflanzungszeiten, nehmen einen erheblichen Einfluss auf den gemeinschaftlich genutzten Raum.

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„Wie kann es sein, dass ich einen toten sechs Kilo schweren Thun zurück ins Meer werfe, während so viele Leute verhungern und man damit vier Familien eine Woche lang ernähren könnte?"

Auch andere, nicht-territoriumbezogene Probleme, die bereits vor der Reform existierten, sind auch heute noch relevant. Dazu gehört auch der unabsichtliche Beifang. Wie ein weiterer Teilnehmer der Diskussion sagte: „Wie kann es sein, dass ich einen toten sechs Kilo schweren Thun zurück ins Meer werfe, während so viele Leute verhungern und man damit vier Familien eine Woche lang ernähren könnte?"

Wenn nichts gegen dieses Problem getan wird, könnten manche Arten wie der Thun in einigen Jahren verschwunden sein.

Die Schleppnetzfischerei und besonders die Grundschleppnetzfischerei, bei der ein Fischernetz entlang des Meeresbodens gezogen wird und bei dem der Beifang mit 80 bis 90 Prozent extrem hoch ist, wurde bereits durch die Reform eingeschränkt. Obwohl diese Methode besonders für kleinere Fischer wichtig war, überwiegen die verheerenden ökologischen Auswirkungen, die diese Fangmethode auf den Meeresboden hat.

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Das größte Probleme ist jedoch eines, zu dem die Öffentlichkeit wesentlich beiträgt. Die illegale Fischerei, von der EU offiziell als Illegal unreported or unregulated fishing (IUU) bezeichnet wird, nimmt den kleinen Fischereien den Fang weg. Wer keine Lizenz zum Fischen besitzt, fischt de facto illegal, aber manche Länder schenken diesem Problem nicht genügend Beachtung. Laut Daten der EU wird geschätzt, dass das illegale Fischen jährlich einen Wert von bis 23 Millionen Dollar hat und ungefähr 15 Prozent der weltweiten Fangmenge ausmacht. Die EU kann Länder, die nichts gegen die illegale Fischerei unternehmen, auf eine schwarze Liste zu setzen und auch Interpol fahndet nach kriminellen, illegalen Fischern, aber trotzdem haben die meisten ehrlichen Fischer das Gefühl, dass niemand etwas dagegen macht, dass ihre Meere geplündert werden.

Auf die kommerziellen Fischereien wirkt sich dieses Problem nur marginal aus, den handwerklichen kann es jedoch den Lebensunterhalt kosten.

„Der Markt gibt uns vor, welche Fischarten wir verkaufen können. Es gibt einige sehr beliebte Arten und die restlichen kennt keiner und will auch keiner, deshalb verscherbeln wir sie", sagt ein britischer Fischhändler über lokale Fischerzeugnisse. Im letzten Jahrzehnt ist Fisch beliebter geworden denn je. Es wird als gesundes und diätgeeignetes Lebensmittel vermarktet, das zum idealen Körper verhelfen soll. Dieses hohe Prestige, das so bisher nur Fleisch zuteil wurde, erlangte Fisch hauptsächlich durch die Entstehung der modernen Restaurantkultur und damit eingehend stieg die Nachfrage immens an. Was aber fehlt, ist die Aufklärung der Öffentlichkeit, die kein Bewusstsein dafür hat, was sie eigentlich konsumiert. Die meisten Leute kennen von den Arten, aus denen man keinen Profit schlagen kann, vielleicht zehn von mehreren hunderten.

Damit sich die Fischerei doch noch zum Guten wenden kann und uns Fische als Nahrungsquelle erhalten bleiben, müssen die Probleme öffentlich, anstatt nur innerhalb der Fischerei-Gemeinschaft diskutiert werden. Für rechtliche und politische Angelegenheiten muss sicherlich eine Lösung gefunden werden, aber gleichzeitig muss sich die Öffentlichkeit ihrer Verantwortung annehmen, bewusst zu konsumieren. Henry, der die Diskussion eröffnete, beendete den Tag mit einer Frage, die treffender nicht sein könnte: „Wie können wir von nachhaltiger Fischerei sprechen, wenn wir nicht einmal nachhaltig konsumieren?"

Artwork von Heather Siart für die Slow Fish Northwest Atlantic Kampagne