Die letzten Gärtner von Aleppo

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Syrien

Die letzten Gärtner von Aleppo

Assad hat die „Vernichtung“ aller angekündigt, die nicht aus Aleppo verschwinden. Dabei sind nicht nur Kämpfer in der Stadt: Die letzten Bewohner wehren sich, einfach indem sie versuchen, am Leben zu bleiben. Milad Shihabi ist einer von ihnen.

Die Truppen des Assad-Regimes kommen mit bestialischer Wucht. Viele der Waffen, die sie in Aleppo einsetzen, sind davor nie im Einsatz gewesen. Der russische Su-35 „Super Flanker", der Tu-160, ein strategischer Bomber, das TOS-1 System, ein thermobarischer Raketenwerfer—eine Eskalationsstufe unter der Atombombe. Im Umkreis von einigen hundert Metern verbrennt die Luft, wortwörtlich.

Es ist ein ungleicher Kampf zwischen den militärischen Mitteln der Einen und den ausgemergelten Anderen, aber ein Aufgeben kommt für die Menschen im Kessel nicht in Frage. Assad hat die „Vernichtung" derjenigen angekündigt, die nicht aus Aleppo verschwinden. Dabei sind nicht nur Kämpfer in der Stadt: Aktivisten wehren sich, indem sie einfach versuchen, am Leben zu bleiben. Milad Shihabi ist einer von ihnen.

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MUNCHIES Video: Wie Milad versucht, trotz des täglichen Bombenhagels Gemüse anzubauen.

Milad ist 26 Jahre alt, vor dem Krieg hat er Frauenhandtaschen designt. 2012 ist er regulär aus der syrischen Armee entlassen worden. Kurz darauf schloss er sich der Revolution gegen Assad an. Er nahm seine Kamera und filmte die Proteste, stellte die Clips ins Internet. Die Aktivisten übertrugen die Proteste teilweise live, das sollte sie schützen. Vor einem Jahr begann Assad damit, der Stadt nach und nach die Versorgungswege abzuschneiden. Etwa eine Million Menschen im Land leben heute im Belagerungszustand, über ihr Überleben bestimmt die syrische Regierung. Sie lässt keine (internationale) Hilfe durch, manchmal auch keine Lebensmittel. Milad Shihabi wollte helfen. Mit Freunden plante er Felder in der Stadt, insgesamt etwa fünf Hektar, auf denen sie Gemüse ziehen wollten. Als syrische Einheiten langsam den Ring um die Aleppo schlossen und die Castello-Road am 18. Mai verloren ging, begann die Feldarbeit. Die Stadt war eingeschlossen.

Milad Shihabi hat schmale Lippen, seine dichten schwarze Haare sind zum Zopf gebunden. 2000-Yard-Starren. Er fragte nach Hilfe, als er begann, Logistik, Geld, Saatgut, Dünger, Bewässerungsanlagen. Die NGOs wollten ihn anfangs nicht unterstützen und so startete er alleine mit einem Freund den Versuch, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. Sie besorgten sich Saat von Farmern, die innerhalb des Belagerungsringes ihre Felder hatten, davor hatten sie schlicht Kartoffeln im Boden vergraben. Der Versuch ging schief, sie verrotteten in der Erde. Sie hatten einen Traktor, aber keinen Pflug, manchmal hatten sie Wasser, aber keinen Strom für die Pumpe.

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Doch dann gab es erste Erfolge. Milad und seine Freunde hatten sich von den Feldern, aus den Parks und dem Umland innerhalb des Kessels fruchtbare Erde geholt, roten Lehm, typisch für die Region. Milad stellte alte Bauern ein, die sich auskannten, und andere, die keine Arbeit hatten, aber bereit waren, für etwas Geld auszuhelfen. Die Ernte wollten sie auf dem Markt verkaufen, ohne Gewinn. Den Eingeschlossenen wollten sie etwas lehren, was ihnen nützlich sein konnte, für eine Zeit auch ohne Krieg. Um sechs Uhr morgens beginnt die Arbeit auf dem Feld, über Mittag ist Pause, später geht es weiter, so lange die Sonne Licht gibt. Handarbeit gegen den Hungertod, in Ruhe, ohne Grimm, jeden Tag.

Am 6. August schafften es die Eingeschlossenen, ein Loch in den Ring zu kämpfen, die Belagerung war zu Ende.

Milad Shihabi verließ Aleppo für ein paar Tage, die Stadt füllte ihre Reserven. Aber es blieb gefährlich. Die Regierungstruppen ließen die Rebellen ein Gebiet erobern, das sie dann sogleich einschlossen und bombardierten. Die Autobahn, die aus der Stadt führte, zählte bisweilen 100 Angriffe am Tag, aus der Luft oder durch die Artillerie der syrischen Streitkräfte. Im September erlitten die Rebellen eine Niederlage an der Akademie, der Kessel schloss sich wieder. Milad Shihabi entschied sich, in die Stadt zurückzukehren, er und ein Freund nahmen die zerstörte Autobahn, es platzte ihnen ein Reifen, anhalten konnten sie nicht, die Gefahr war zu groß. Eine Stunde fuhren die beiden auf der Felge, als sie schließlich den Reifen wechseln konnten, verbrannten sie sich die Hände am Metall. Milad Shihabi trägt ein Armband, es zeigt die alte syrische Flagge, bevor Assad an die Macht kam—das Zeichen der Revolution. Wieder in Ost-Aleppo ging Shihabi zurück aufs Feld, begann wieder zu arbeiten, von früh bis spät. Doch die Ernte ließ auf sich warten, die Menschen in der Stadt wurden dünner, die Preise für Brot und Reis stiegen. 250 Gramm am Tag mussten reichen.

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Vor dem Krieg war Aleppo das Handelszentrum Syriens, die Stadt wohlhabend. Mit ihrem kaufmännischen Geschick sorgten die Geschäftsleute dafür, dass irgendwie doch vereinzelt Güter in die Stadt gelangen konnten, Schmiergeld sei Dank. So wurde jeder, der am Leben blieb, zu einem Sieg über das Regime. Ein Hungertoter wäre eine Schmach für das Selbstverständnis der Stadt gewesen.

Über die Zeit sind die Angriffe heftiger geworden, alles im Osten Aleppos gilt als Ziel. Fassbomben werden aus Helikoptern abgeworfen, im Cockpit navigieren die Piloten mit Smartphones, ein Soldat schiebt die improvisierten Sprengkörper mit den Händen aus der Maschine.

MUNCHIES Video: Abu Alis Gemüsegarten war einer der letzten in Ost-Aleppo—bis ihm die Angriffe die letzte Möglichkeit genommen haben, seine Familie durchzubringen.

Am 27. November 2016 kamen Assads Truppen und nahmen das Viertel ein, in dem Milad Shihabi seine Felder hatte.

Er sitzt in seiner Wohnung, in einem Gebiet, das noch in Rebellenhand ist. Er wohnt—wie die meisten Aktivisten—allein. Die Gefahr für andere ist zu groß. Seine Familie ist lange weg, nach Istanbul, er spricht sie monatelang nicht. Und so bleiben nur seine Fische, mit denen er sich unterhalten kann. Viele Aktivisten haben sich aus Einsamkeit Aquarien angeschafft, als Ersatz für die Familie und die Freunde.

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Milad Shihabi hat versucht, die Stadt zu versorgen, so gut es eben geht. Einmal haben sie ernten können, bis sein Stadtteil an Assad gefallen ist. 25 Kilo Auberginen.

Videoproducer: Amr Al-Halabi, Sebastian Weis. Kamera: Abdulkader Habak