Zürichs Hipster haben jetzt auch die Schweizer Alpen infiltriert

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winter

Zürichs Hipster haben jetzt auch die Schweizer Alpen infiltriert

Der Raststättenromantik kann man im Galaaxy trotzdem (noch) nicht entfliehen.

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.

Ich fahre mit dem Zug von Zürich nach Zürich. Könnte man zumindest meinen, sobald man im europäischen Freestyle-Mekka Laax ankommt. Die Verantwortlichen dieser Wintersportregion bezeichnen sich selbst als "Greater Zurich Area" und liegen damit völlig richtig: Hier verkehren Snowboard-Hipster und Freestyle-Cracks, der Altersdurchschnitt der Besucher liegt bei 38 Jahren (was alt klingt, ist für die Schweiz immer noch recht jung). Rapper und DJs hängen hier ab, bevor sie abends auftreten. Der einzige Unterschied zum "echten" Zürich? Hier liegt verdammt viel Schnee. Während ich mich zur Talstation aufmache, bin ich meiner Mutter dankbar, mich darauf getrimmt zu haben, im Winter grundsätzlich eine Schicht zu viel anzuziehen.

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Mein Ziel liegt 2.252 Meter über Normalnull. Dort steht das klobige Gebäude, das ab jetzt den Namen Galaaxy trägt. Vorher gab’s in dieser Bergstation mit Gondelzugang bloss ein Selbstbedienungsrestaurant und Toiletten. Dazu noch ein Bergrestaurant im Chalet-Stil und ein Hostel, in dessen Gängen sich über die Jahre der Geruch von nassen Skisocken eingenistet hat. Der Rest des Gebäudes? Ungenutzte Flächen und leere Lagerräume. Nicht cool genug, für das hippe Laax. Eine Verjüngungskur musste her. Weil irgendjemand mal meinte, der Bau sehe aus wie ein Raumschiff, wurde er nun auch zu einem umgebaut. Ganz aufgehen will dieser Vergleich nicht, mich erinnert der Camouflage Print der Fassade eher an das Hauptquartier eines winterlichen James Bond-Ganoven.

Innen sieht die Sache anders aus. Wie im Weltall fühle ich mich zwar immer noch nicht, dafür aber wie zuhause. In der Ankunftshalle erwarten mich Wände voll Vinyl, VHS-Kassetten und Bücher, letztere sind zu meinem Entsetzen ins Regal geklebt. Gemütlich rumstreunen und die Sammlung durchforsten ist hier ohnehin nicht: Es zieht und Sitzgelegenheiten gibt's auch keine. Die Notwendigkeit, eine zweckmässige Bergstation in den feuchten Traum eines Innendekorateurs zu verwandeln, erschliesst sich dann auch nicht jedem. Während ich beeindruckt von der Liebe zum Detail bin, ist bei manchen Gästen eher von Geldverschwendung und Geschmacksverirrung die Rede. Negativ äussern will man sich aber nicht: "Naja, besser so als gar nichts", überhöre ich zwischen Tür und Gondel.

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The Wall of Wax sowie The Library in der Ankunftshalle: der Zweck dafür erschliesst sich allerdings nicht jedem | Fotos von der Autorin

Nächster Programmpunkt eines typischen Aufenthalts in einer Bergstation: Pinkelpause. Die Toiletten heissen hier ganz trendy Powder Room und sind hinter Zeitungswänden und Coca-Cola-Automaten versteckt. Sieht schick aus, aber wenn die Blase drückt, drängt auch die Zeit. Ich bin offensichtlich nicht die einzige, die Mühe damit hat, den Eingang zu finden: An der Zeitungswand hängt bereits ein A4-Blatt mit dem Damen-Piktogramm; das Mysterium ist gelüftet. Dafür ist der Weg zum Selbstbedienungsrestaurant, "The Heart" genannt, umso einfacher: der Nase nach. Die Lüftung sei noch nicht justiert worden, erklärt man mir. Während sich die Galaaxy-Haussauce zu meinen Pommes Frites lediglich als bessere Cocktailsauce herausstellt, bin ich trotzdem zufrieden mit der Wahl: Die Portionen hier sind riesig.

Die neue Saftbar im Galaaxy | Fotos von der Autorin

Aber nicht nur fette Fritten werden hier kredenzt, ich hätte auch die Wahl zwischen Chia-Pudding im Einmachglas und Bündner Fleisch- und Käseplatten auf Holzbrettern gehabt, die in der Kühlvitrine der Saftbar auf hungrige Abnehmer warten. Der Mix aus Hipsterflair und Bergküche gipfelt in der Bündner Spezialität Capuns – Mangoldblätter gefüllt mit Spätzleteig und Fleisch oder Gemüse, die mit einer Bouillon-Milch-Mischung serviert werden – , die es hier nur in der vegetarischen Version gibt.

Mittags gibt’s auch vegetarische Capuns (links) oder Fleisch- und Käseplatten | Fotos von der Autorin

Der Zürich-Style kommt nicht von ungefähr: Sowohl das visuelle, als auch das kulinarische Konzept stammt von Sami Khouri. Als "Mr. Samigo and family" ist er sonst vor allem für den beliebten Palestine Grill an der Langstrasse in Zürich zuständig; in Laax setzt er bereits zum dritten Mal das sogenannte Travelling Restaurant um, eine Pop-up-Location in einer alten Gondelhalle im Dorf. Mit der Präsenz am Berg hat Zürich endlich auch die Alpen infiltriert.

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Raststättenromantik trifft trotzdem auf Aprés-Ski-Feeling

Man hat sich im Galaaxy offensichtlich viel Mühe gegeben, um den Besuchern ein einmaliges Erlebnis zu bieten. Während ich auf die nächste Gondel warte, hole ich mir im Print Shop einen schicken Astronauten-Aufnäher; im oberen Stock des Restaurants ist sogar ein Co-Working Space, mitten in einem Skigebiet – aber gut, jeder wie er will. Der Raststättenromantik kann ich im Galaaxy allerdings trotz optischen Highlights und kreativen Raumideen nicht entfliehen: Pünktlich zum Mittagessen ist es eng, laut und die Tablett-Trage-Taktik bleibt mit Skischuhen an den Füssen eine ähnlich schwierige Aufgabe, wie sonst auch.

Die DJ-Kanzel mitten im Restaurant dient auch als Radiostation; die Musik wird über die Inside Laax App übertragen | Foto: LAAX | Daniel Ammann

Nachmittags leert sich das Galaaxy schnell, sodass mir erstmals die hölzerne DJ-Kanzel in der Mitte des Restaurants ins Auge sticht. Hier wird jetzt für den nötigen Sound zum Shredden gesorgt, die Musik wird über die Inside Laax App direkt in die eigenen Kopfhörer auf der Piste übertragen. Abends werden fette Partys mit DJs aus der Schweizer Club-Szene gefeiert. Statt dem typischen Aprés-Ski-Halligalli sollen vor allem Techno-Fans und Freunde urbaner Genres ein Zuhause finden. So richtig vorstellen kann ich mir das noch nicht. Die Versuche des DJs, die anwesenden Gäste zum Tanzen zu bewegen, bleiben erfolglos; Erinnerungen an die Pool-Animation im All-Inclusive-Urlaub anno 1996 kommen hoch. Bevor als nächstes vielleicht auch noch nach einer Polonaise verlangt wird, haue ich lieber wieder ab.

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