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New York

Ich habe mich tagelang nur von Ramen ernährt

Und das alles nur aus Liebe. Harte Arbeit, so eine Beziehung.
Photo via Flickr user Robyn Lee

Es gibt ein paar Dinge, die kann man nur im Anfangsstadium einer Beziehung machen und nicht später, wenn der erste Lack schon ab ist und dein Partner seine Zahnpastareste in deinem Waschbecken antrocknen lässt: Dinge wie tiefstes Interesse für Bürogeschichten heucheln. Oder Anal-Sex. Oder so etwas wie nach New York zu fahren und drei Tage lang nur Ramen zu essen.

Kurz nachdem ich David kennengelernt hatte, gestand er mir seine tiefe Liebe zu Ramen. Er liebte dieses Gericht so abgöttisch, dass er immer davon träumte, eines Tages sein eigenes Ramen-Restaurant aufzumachen. Aber vorher musste er noch mehr recherchieren. David, ein Norweger, der in Amerika geboren wurde und jetzt in Dänemark lebt, ist immer mal wieder nach Japan gereist. Jetzt wollte er lernen, wie man das in Japan wohl alltäglichste Gericht erfolgreich an Städte anpasst, die weit entfernt von Tokio liegen. Deshalb ging es für uns nach New York. Hier gibt es laut Schätzungen der Japan Society über 100 Ramen-Läden und die Einheimischen haben ihre ganz eigenen, teilweise sehr unorthodoxen Versionen des Gerichts. Und weil wir eben immer noch frisch verliebt waren, hörte sich die Idee, einmal über den großen Teich zu fliegen, um zehn davon auszuprobieren, ziemlich witzig an. Und das—ich glaube, ich erwähnte es bereits—in nur drei Tagen.

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Mit großen Erwartungen und einer Sammlung verschiedener Top-10-Listen stiegen wir ins Flugzeug. New York war so vom Ramen-Hype ergriffen, dass fast jede Zeitschrift oder Zeitung aus Big Apple sich dazu berufen fühlte, eine eigene Bestenliste aufzustellen—von der New York Times bis hinzu irgendwelchen Food-Blogs. Wir haben ausgezählt, wie oft welches Restaurant erwähnt wurde, haben uns angeschaut, auf welchem Platz jeder Laden durchschnittlich platziert war, wie gut der Ruf der Restaurants war und wer irgendwelche interessanten Besonderheiten zu bieten hatte und so die Zahl von 100 auf 10 reduziert. Diese Liste nannten wir „die Matrix" und ich versuchte zu vertuschen, wie nervös ich war, dass ich mich jetzt durch diese Liste durchessen würde.

Nr. 1: Momofuku Noodle Bar, Samstag, 0.30 Uhr

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Alle Fotos von David Andrew Quist

Aus Gründen, die einzig und allein Norwegian Airlines bekannt sind, hatte unser Flugzeug Verspätung. Wir kommen also erst weit nach dem Abendessen inNew York an. Im Hotel stellen wir die Koffer ab, schnappen uns dann ein Taxi und kommen 15 Minuten vor Schluss in der Momofuku Noodle Bar an. Wir haben die Momofuku Noodle Bar auch wegen ihrer historischen Bedeutung als Auftakt gewählt: Das war der erste Laden, der Ramen nach New York brachte. Vor allem aber war das Restaurant noch geöffnet. Wenn es schon so spät ist, gibt es eigentlich nur eine Wahl: Ramen des Hauses mit Hühner- und Schweinebrühe, drahtigen Nudeln, einem langsam pochierten Ei und zweimal Schwein als Topping. Diese Suppe ist mit das Beste, was wir je gegessen hatten. Ob da der Hunger aus uns spricht? Oder der Jetlag?Die Brühe ist schön kräftig, aber nicht zu kräftig, die Nudeln sind noch gut bissfest. Das Ei, das in der Schale pochiert wurde und dann sanft in die Brühe herabgelassen wurde, wie ein fröhlich springender Delphin, der aus einem Fischernetz befreit wird, ist einfach nur ein Genuss. Doch was wirklich heraussticht, war die Schweineschulter, sanfte Fleischfäden mit einer feinen Kruste und einem leckeren Raucharoma. Noch bevor die Küche geschlossen wurde, hatten wir unsere Schüsseln leergeschlürft. Momentan habe ich ein gutes Gefühl, was die nächsten neun Ramen, die noch vor uns liegen, betrifft. In einem, wie ich es im Nachhinein betrachten würde, Anflug von Umami-Wahnsinn, glauben wir tatsächlich, dass das einfach wird.

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Nr. 2: Totto, Samstag, 12.05 Uhr

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Fünf Minuten, nachdem das Totto aufgemacht hatte, kommen wir an. Ein kalter, regnerischer Nachmittag, es stehen schon ein paar Leute Schlange. Das schraubt unsere Erwartungen natürlich noch höher, denn es rangierte in unserer Matrix weit oben. Nach gut zwanzig Minuten schickt uns ein ruppiger Kellner mit Clipboard in den Gastraum im Keller, wo ohrenbetäubende House-Musik läuft. Ich bestelle Paitan-Ramen: Die milchige Paitan-Brühe ist die Spezialität des Ladens und wird noch mit Chilis verfeinert. Sie wird mir ungewöhnlich schnell serviert. Schon beim ersten Blick sehe ich, dass das Ei zu lange gekocht wurde, genauso wie das Hähnchen. Die geraden Nudeln sind unangenehm glitschig und schmecken mehlig. Wir hauen schnell wieder ab, in unseren Grundfesten erschüttert. Wie konnte die Matrix nur so falsch liegen?

Nr. 3: Ippudo, Samstag, 17.00 Uhr

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Wir sind schon 20 Minuten vor Eröffnung da, doch bereits jetzt erstreckt sich die Schlange einmal um die Block. Es regnet heftig. Was sind das für Leute? Zum Glück ist das Restaurant, eine von zwei Filialen einer bekannten japanischen Kette, ziemlich geräumig und wir bekommen sofort einen Platz. Die Kellnerin führt uns an den Tresen und kündet uns an, was die Köche freundlich erwidern. Ich bin entzückt. Wir bestellen die „Akamaru Modern", Ramen mit Tonkatsu-Brühe aus Schweinefleisch und dünnen, welligen Nudeln. Als Topping gibt es auffälliges Chāshu, Kikurage-Pilze in dünnen Scheiben, ein aromatisches Knoblauchöl und die geheime Umami Miso Dama des Restaurants. Eine der schönsten Ramen auf unserer Tour. Die Brühe ist samtig, die Nudeln schön bissfest. Eine absolut gute Ramen, doch die für ihren Fettgehalt berühmte Tonkatsu-Brühe liegt mir schwer im Magen, ich schaffe meine Schüssel nicht. Langsam macht sich die erste Panik bemerkbar.

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Nr. 4: Bassanova Ramen, Samstag, 21.00 Uhr

Unser Hotel ist das The Standard im East Village. Als wir unser Zimmer im 17. Stock bezogen, war ich begeistert von der Aussicht über Lower Manhattan. Aber jetzt wehrt sich mein Magen heftig gegen das ganze Schweinefett und das Einzige, was ich sehe, sind Ramen-Restaurants, die dampfend an jeder Ecke lauern. Wir entscheiden uns als nächstes für das Bossanova wegen seiner unkonventionellen Ramen-Versionen. Die Ramen mit grünem Curry hat ziemlich gute Bewertungen bekommen und sollte auch geschmacklich mal eine willkommene Abwechslung sein. Angekommen in Chinatown wirkt der Laden alles andere als asiatisch: komplett weiß eingerichtet, aus den Lautsprechern Gospel. Reizend, aber irgendwie verwirrend. Die Ramen ist ziemlich schlecht: das grüne Curry zu scharf, die Nudeln zu lange gekocht, die Brühe mit Klumpen aus Garnelenpaste. Wir philosophieren also über eines der größten Dilemmata der Geschichte: War das innovativ oder einfach nur abscheulich? Zurück im Hotel fallen wir ernüchtert und schwitzend ins Bett. Ich träume, dass mich eine wildgewordene Nudelmaschine verfolgt.

Nr. 5: Ivan Ramen, Sonntag, 12.00 Uhr

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Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein sonniger Morgen, ich habe wieder Hunger. Wir sind die ersten im Lokal und setzen uns an die Theke, über uns ein Anime-Mural. Wir bestellen zwei Shio-Ramen mit zwei Brühen, die mit Salz und nicht mit Sojasauce abgeschmeckt wurden. Über Ivan Orkins anspruchsvolle—wenn auch sehr eigenwillige—Ramen-Technik haben wir einiges gelesen. Diese Besessenheit kann ich bei den dünnen Roggennudeln und dem perfekt gekochten Ei rausschmecken. Das Chāshu ist allerdings ziemlich fade und das Büschel Frühlingszwiebeln ist ein bisschen zu viel.

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Als wir fertig sind unterhalten wir uns noch mit David Chang. Wenn einer Ramen nach New York gebracht hat, dann er. Als er 2004 die Momofuku Noodle Bar eröffnete, gab es nur eine Handvoll solcher Läden in der Stadt, die alle eher traditionell waren und vor allem etwas für japanische Expats waren.Die Ramen im Ivan ist eine der wenigen in New York, die er wirklich mag. Die hat noch Persönlichkeit: „In jedem anderen Laden nehmen sie alle Tonkotsu, sie haben keinen Sinn mehr für Regionalität, für eine eigene Meinung. Das heißt nicht, dass eine Tonkotsu nicht lecker ist, natürlich ist die lecker, sie besteht aus Fett und Salz." Er nippt kurz an seiner Limo. Er kämpft gegen eine Erkältung, seine Stimme ist rau. „Aber die gehen einfach ins Internet und schauen sich an, was alle anderen machen. Durch das Internet schmeckt mittlerweile alles gleich."

Chang sollte es wissen. Die berühmten Pork Buns—die er im erstem Momofuku-Laden auf die Karte genommen hatte, damit sie irgendwie das restliche Schweinefleisch verwerten konnten—gibt es mittlerweile in jedem Ramen-Restaurant der Stadt. Doch er glaubt, dass der Ramen-Trend bald wieder abflachen wird. „Es ist eben ein Trend, wie Disco-Musik", meint er. „Irgendwann landet man in einer Sackgasse. Bei Ramen-Burger hört es einfach auf."

Ich bin erleichtert. Erst dachte ich, dass wir der Vollständigkeit halber auch einen dieser „Nudel-Burger" essen müssen. Oder einen Ramen-Burrito, den es in einem kleinen Laden im West Village gibt. Damit wäre das geklärt: Niemand Geringeres als David Chang verbietet mir, diese Dinger zu essen.

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Nr. 6: Minca, Sonntag, 16.00 Uhr

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Und noch eine Schlange. Das Minca hat mit den tarotähnlichen Kunstwerken einen leichten 80er-Jahre-Flair. Als wir endlich drin sind, wird unser Appetit auch nicht größer, als wir die Köche sehen, die die Sun Nudeln aus Kartons in das kochende Wasser schmeißen. Aber die Miso-Brühe, unsere allererste, ist wirklich vielschichtig und der Mais und das Hühnchen sind echt lecker. Insgesamt ein ziemlich guter Kandidat, wie wir überraschend feststellen müssen.

Nr. 7: Yuji Ramen, Sonntag, 20.00 Uhr

Als wir diesen Trip geplant hatten, stolperte ich glücklicherweise über die Facebook-Seite eines potenziellen Matrix-Kandidaten, wo es hieß, dass sie immer Last-Minute-Plätze für das Ramen-Omakase-Dinner vergeben. Ein ganzes Menü nur mit Ramen? Nichts ahnend ergriff ich die Chance und überredete meinen Gourmet-Freund Howard, auch noch zu kommen. Jetzt, wo acht Gänge mit Nudeln vor uns liegen, bereue ich meine jugendliche Sorglosigkeit. Der kleine Gastraum des Yuji wirkt dank des netten Kellners George noch gemütlicher. Die beiden Köche Yuji Haraguchi und Tara Norvell haben jedoch, wie wir später erfahren werden, ein sehr breites Verständnis von „Ramen". Wir bekamen eine Mazemen ohne Brühe vorgesetzt, überladen mit shirako, also Fischmilch, die eigentlich wie eine sehr eigenwillig schmeckende Sahnesauce war. Aus Ramen mit Nori-Geschmack machten sie ziemlich leckere Agnolotti gefüllt mit cremiger Seeteufelleber. Der letzte Gang war eine traditionelle Ramen-Suppe, die so gut gemacht war, dass ich wieder Lust auf Ramen bekam. Unser Glaube an die Menschheit war wieder hergestellt.

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Nr. 8: Chuko Ramen, Montag, 13.00 Uhr

Und am nächsten Tag wurde er wieder zerstört. Das Chuko führte einige Listen an und war damit in unserer Ramen-Matrix ganz weit oben. Doch unsere Ramen mit Miso-Brühe—Davids mit Schweinefleisch, meine mit Kürbis und, von all den möglichen langweiligen Dingen, Rucola—war so einfallslos wie auch das Restaurant selbst, ein Laden typisch für Brooklyn mit diesem leichten industriellen Feeling. Sehnsuchtsvoll dachte ich an den Acht-Stunden-Flug, der uns heute Abend bevorstehen würde.

Nr. 9: Ganso, Montag, 15.00 Uhr

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Mittlerweile hat sich uns eine Freundin, Anya, angeschlossen, also machen wir weiter, obwohl ich einen starken inneren Wunsch hege, hinzuschmeißen. Doch schon als wir in das knallige und energiegeladene Ganso reinkommen, geht es mir wieder besser. Die Küche war verglast, wir bemitleideten die Köche, die dort ein Goldfischdasein fristeten. Anya bestellte Sapporo-Ramen mit dicken Nudeln und Hackfleisch, David hatte Shio-Brühe mit Sprossen und einem weich gekochten eingelegten Ei und ich bekam eine scharfe Brühe mit drei verschiedenen Garnelenarten. Alle drei waren einzigartig und gut gemacht. Wir haben unseren Tee getrunken und uns ziemlich gut unterhalten. Lag das am Ramen? Oder war es einfach nur die hart erkämpfte und erleichterte Gewissheit, dass wir nur noch eine weitere Schüssel vor uns hatten?

Nr. 10: Rai Rai Kan, 18.00 Uhr

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Jeder Experte wird dir sagen, dass sich in diesen Momenten, wo das Ziel schon zum Greifen nah ist, der Teufel offenbart. Bei uns war diese Versuchung ein Pastrami-Sandwich. Unser Verlangen war so stark, dass wir ins Second Avenue Deli gegangen sind, zur Theke gingen und uns mit einer Intensität, die schon fast an Wahnsinn grenzte, immer wieder sagten, dass neun Ramen doch fast genauso gut sind wie zehn. Es stimmt, dass dieses ganze Fleisch und das Brot, nachdem wir uns die ganze Zeit nur von Nudeln und Brühe ernährt hatten, irgendwie schlaff und nach zu viel aussahen. Aber ich muss gestehen: Ich hätte dieses verdammte Sandwich gegessen. Zum Glück ist David da etwas willensstärker als ich und schaffte es, uns dort rauszubringen, ohne dass wir unseren Schwur gebrochen hätten. Mittlerweile war es zu spät, um nach Uptown Manhattan zum nächsten Restaurant in unserer Matrix zu fahren, also suchten wir uns einen Kandidaten in der Nähe: Rai Rai Ken. Dieses Restaurant sah von allen anderen am meisten nach Tokio aus, sogar mit einem TOTO-WC, das dir beim Spülen Wasser an den Popo spritzt. Die Ramen war auch tokio-esk: eine leckere Shio-Brühe mit Chāshu, Bambusssprossen und einer Scheibe Narutomaki, Fischsurimi. Nichts besonderes, aber gut gemacht, sättigend und günstig.

Zufrieden und irgendwie auch selbstgefällig verließen wir den Laden. Wir hatten geschafft, was wir uns vorgenommen hatten: zehn Ramen in drei Tagen. Auch wenn wir uns dabei fast übergeben mussten, auch wenn wir in langen Schlangen und im kalten Regen ausharren mussten und wir genug Schweinefleisch gegessen hatten, dass sich die Schweinezüchter die Hände rieben, haben wir dabei auch gelernt, wie unterschiedlich jede Schüssel Ramen sein kann. Aber als wir zum zweiten Mal an diesem Wochenende in der Momofuku Noodle Bar vorbeischauten, erkannten wir, was einem so oft in solchen Situationen klar wird: Das erste Mal ist immer noch am besten.