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Posse

Wenn Werber Werber verarschen: Mimimimi

Witze würzen Werbung – aber bitte nicht auf die Kosten der eigenen Branche. Eine Plakat-Posse aus Hamburg.
Foto: imago | Schöning

Das Plakat in Hamburg-Ottensen ist schon stattlich groß, etwa sieben mal vier Meter oder so, wir haben kein Maßband dran gehalten. Eine Werbung wie so viele, an denen man sonst meist einfach vorbei geht. Doch diesmal blieb jemand stehen – und zwar genau der Richtige. Benedikt Holtappels, Werber und CEO der Agentur GGH MullenLowe, blickte zur Fassade hoch und las den Spruch auf dem Plakat: "Früher gab es hier ehrliche Arbeiter. Jetzt gibt es Werber. Life is bitter".

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Das machte Holtappels sauer. Weil er auch all seinen Freunden auf Facebook zeigen wollte, wie sauer, machte er ein Foto und teilte es auf Facebook. Dazu schrieb er: "Wie können wir Wertschätzung von unseren Kunden erwarten, wenn wir uns selbst so einen unfassbaren Schwachsinn antun? Hängt den Scheiss ab. Vollidioten". Das machte dann auch seine Kollegen sauer. Witze auf unsere Kosten? Unser Ruf ist in Gefahr – dabei zählen Werber laut Umfragen ohnehin zu den unbeliebtesten Berufsgruppen. Die Werbung von Fernet Branca legt es darauf an, Leute zu provozieren, die Sprüche sind immer auf den jeweiligen Ort zugeschnitten. In Köln, wo es ein Schokoladenmuseum gibt, hängt etwa das: "Im Schokoladenmuseum bist du Stammgast. Man sieht es." Ein bisschen Krawall für ein bisschen Sichtbarkeit. Wenn junge Menschen heute noch Magenbitter trinken, dann ist das nämlich meist Jägermeister.


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Eine Stunde später meldete sich dann der nächste Werber auf Facebook. Raphael Brinkert von Jung von Matt/Sports sagt, er wolle sich nun beim Werberat beschweren. Weil, Humor hin und her, nein, das gehe nicht, das Maß sei voll – er fühle sich herabgesetzt: "Wenn jedoch die Macher der deutschen (Media-)Agentur gezielt Werbeplakate aufhängen, um die Berufsgruppe Werber zu diskriminieren, ist dies nicht nur dumm und dreist, sondern auch indiskutabel und unnötig. Das erste Mal habe ich eine Beschwerde an den deutschen Werberat gesendet."

Andere Stimmen aus der Branche sind gelassen, andere einsichtig: „Wenn es um die Gepflogenheiten innerhalb unserer Branche geht, ist es doch mit der Ehrlichkeit nicht allzu weit her." Auch ein Mitglied des Werberats, wo die Beschwerde eingegangen ist, bleibt ruhig. "Das Spielen mit Vorurteilen – mal weniger intelligent, mal mehr – gehört doch zum klassischen Werberepertoire, oder? Freue mich auf meinen letzten Bewertungsfall als GWA-Präsident ;-)", kommentiert der Präsident des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen und Mitglied des Werberats, Wolf Ingomar Faecks, und beendet sein Statement mit einem Zwinkersmiley. Der Deutsche Werberat untersagt zwar diskriminierende Werbung, sie dürfe nicht "die Personen beispielsweise wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer politischen Anschauung, ihres Alters, einer Behinderung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe diskriminieren". Trotzdem nannte Faecks die die Beschwerde "dünnhäutig". Viel dagegen tun könnte der Rat ohnehin nicht. Er kann fordern, die Werbung zu ändern oder sie abzuhängen, durchsetzen kann er das nicht. Im schlimmsten Fall droht eine öffentliche Rüge.

Ärger gab es ganz öffentlich in Ottensen schon vorher. Eigentlich sollten dort überhaupt keine Werber und ihre Büros sein, sondern Wohnungen gebaut werden. Auf die Kritik von Faecks reagiert Holtappels deshalb entsprechend: "Ne, Ingo, Du kennst die Stimmung in Ottensen nicht, seit dem S&F hier ist. Da wird bewusst Feuer gelegt. Und der Kunde weiß das." Holtappels meint Scholz & Friends, eine große deutsche Werbeagentur, die unter großem Anwohnerprotest in das linksalternative Ottensen gezogen war. Eigentlich sollten auf dieser Freifläche Wohnungen entstehen, auch Sozialwohnungen, etwas das der Hamburger Mietmarkt gut hätte gebrauchen können. Doch dann kaufte der Versicherungskonzern Axa das Gelände für 79 Millionen und vermietete es an Scholz & Friends und andere Werbeagenturen. Es gab einen Bürgerentscheid dazu, 75 Prozent stimmten gegen das Neubauprojekt, allerdings zu spät, die Genehmigung war bereits erteilt.

Die für das Fernet-Branca-Plakat verantwortlichen Werber haben sich mittlerweile zu dem Streit geäußert. Wolf Ehrhardt von der Agentur Pilot sagte Horizont: "Als verantwortliche Agentur freuen wir uns über den starken Buzz." Bitter, das alles.