Kochen in Hochsicherheitsgefängnissen –
 der Alltag italienischer Insassen

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Gefängnis

Kochen in Hochsicherheitsgefängnissen – der Alltag italienischer Insassen

Man ist sich nicht ganz im Klaren darüber, wie schwierig es ist, in einer Gefängniszelle zu kochen, bis man aus erster Hand von den Erfahrungen hört. Wir haben uns mit Häftlingen unterhalten, um herauszufinden, wie man backt, wenn man keinen Backofen hat.

Man ist sich nicht ganz im Klaren darüber, wie schwierig es ist, in einer Gefängniszelle zu kochen, bis man aus erster Hand die Erfahrungen eines Häftlings gehört hat. Der 60-jährige Carmelo Musumeci ist ein ehemaliger Mafioso, der derzeit seine lebenslange Haftstrafe in einem Hochsicherheitsgefängnis in Italien absitzt. Er ist dafür bekannt, Wasser mit den elektrischen Kabeln der Glühbirne seiner Zelle gekocht zu haben. Als ehemaliger Gangster räumt auch er ein: „Das war sehr gefährlich. Manchmal, wenn ich verzweifelt war, verbrannte ich sogar den Alkohol meines Aftershaves, um meinen Kaffee aufzuwärmen."

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Gemeinsam mit weiteren italienischen Insassen von Hochsicherheitsgefängnissen war Musumeci am Verfassen eines Gefängniskochbuchs, Cucinare in massima sicurezza (englischer Titel Cooking in Maximum Security), beteiligt. Das Buch wurde vom kleinen unabhängigen Verlagshaus StampaAlternativa veröffentlicht und soll die Erfahrungen der Insassen in der harschen Realität, in einer Gefängniszelle zu kochen, zeigen. Beim Lesen bekommt man einen flüchtigen Einblick in die Bedingungen der italienischen Häftlinge, die oft in feuchte Zellen gesteckt werden, die für die Hälfte der Personen gemacht sind, die sie tatsächlich belegen.

In einem Telefongespräch erzählt mir der Lektor des Buches, Matteo Guidi, von den Problemen, mit denen die Insassen beim Kochen konfrontiert sind, und die gehen weit darüber hinaus, keine Pfannen, Töpfe, keinen Herd und all die anderen Küchenutensilien zu haben, die für uns alle selbstverständlich sind. Die Probleme fangen schon mit den Regeln des Gefängnissystems an. Es ist Insassen beispielsweise verboten, jegliche Gegenstände zu erhalten, die als Waffe verwendet werden können. In manchen Fällen führt das dazu, dass Nahrungsmittel wie Fisch auf der Liste der verbotenen Dinge stehen. Scheinbar kann Fisch dazu verwendet werden, geheime Botschaften oder Drogen zu übermitteln und einige Gefängnisinsassen sollen versucht haben, sich mit den Gräten zu ersticken.

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Ein improvisierter Herd, der bei einer Präsentation von Cucinare in massima sicurezza gezeigt wurde. Foto von Giovanna Racco.

Ich wollte unbedingt mehr darüber erfahren und mich selbst mit den Insassen unterhalten. „Leichter gesagt als getan", warnte mich Matteo, als ich mich in diese Aufgabe stürzte, in die ich vier Monate meiner Zeit investieren sollte. Bald fand ich heraus, dass unglaublich viel Papierkram und endlose Reisen durch die schleierhafte italienische Bürokratie nötig gewesen wären, um die Insassen zu besuchen, also gab ich die Sache auf und begnügte mich mit dem guten alten Briefverkehr.

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Michelangelo Timpani ist der einzige der Autoren von Cucinare in massima sicurezza, der derzeit auf freiem Fuß lebt. Ich rief ihn an und fragte, was er am meisten an den 23 Jahren kochen im Gefängnis vermisste. „Dosentomaten", sagte er, ohne eine Sekunde zu zögern. Nicht wegen des saftigen Gemüses, wie man vielleicht denken würde, sondern weil sich die Deckel als ausgezeichneten Ersatz für Messer, die verboten waren, erwiesen. „Dank dieser Deckel konnten wir Fleisch klein hacken, Kartoffeln schälen und Speck schneiden. Sie waren ein Segen."

Es dauerte aber nicht lange, bis die Wärter beschlossen, dass die Deckel nicht sicher waren und Dosen mit Flaschen ersetzt werden mussten. „Wir bekamen dann Plastikmesser, aber sie zerbrachen zu schnell und wir brauchten drei, um eine einzige Kartoffel zu schälen. Es war fast unmöglich, irgendetwas fertigzukriegen."

Ich bekam immer mehr Briefe und mir wurde klar, dass andere Insassen mit den gleichen Problemen wie Timpani zu kämpfen haben. Pasquale De Feo, seit 1992 Insasse eines Hochsicherheitsgefängnisses, erklärte die Situation in einem in schöner Handschrift verfassten Brief: „Kochen war für mich immer schwierig, weil die Entscheidung, was man darf und was nicht, beim Wärter liegt. Manche Wärter sind nette Menschen, andere sind richtige Tyrannen." Wenn man es mit einem solchen zu tun hat, muss man sich damit abfinden und andere Wege suchen. Wenn Messer und Klingen verboten waren, entfernten die Insassen den Lack der Ecken der Schränke in der Zelle und rieben sie solange an der Wand, bis sie scharf genug waren, um damit etwas zu schneiden.

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Ein Exemplar von Cooking in Maximum Security und Briefe von Insassen. Foto vom Autor.

Insassen in Hochsicherheitsgefängnissen haben eine besondere Begeisterung für Backen, wie ich aus den Briefen lernte. Backen ist sehr zeitintensiv und in Gefängnissen haben viele Probleme damit, den Tag zu überstehen, weil sie ein schmerzhaftes Gefühl von nutzloser Langeweile plagt. Wie Ugo De Santis, der 18 Jahre in einer Hochsicherheitsabteilung verbrachte und heute als Freiwilliger für das Rote Kreuz kocht, zu mir sagte: „Einen Kuchen zu backen, braucht Zeit. Man kann sich auf die Sache konzentrieren und ein paar Stunden an nichts anderes denken." Es geht aber nicht nur um das Zubereiten selbst. Wenn man einmal beschlossen hat, etwas zu kochen, muss man einen Speiseplan für die Woche erstellen, eine Einkaufsliste schreiben, bei der Gefängnisverwaltung um die Zutaten anfragen, um Erlaubnis bitten und so weiter – und das immer und immer wieder.

Da die Gefängniszellen nicht mit einem Backofen ausgestattet sind, haben sich die Insassen ihre eigenen gebaut. De Feo beschreibt den ungewöhnlichen Prozess folgendermaßen: „Zuerst bedeckten wir die Innenseite mit Stücken Silberpapier, die wir von Zigarettenpackungen recycelten. Dann machten wir ein Loch in die untere Seite des Schranks und platzierten einen Campingkocher darunter, um ihn aufzuheizen."

Es gibt aber noch weitere Methoden, einen improvisierten Backofen zu bauen. Andere verwendeten die Stühle der Zelle, die sie zum Warmhalten in eine Decke eingewickelt hatten und auf einen Campingkocher stellten. All diese Methoden sind extrem gefährlich – und höchst illegal.

Wenn man Brot oder Pizza backen wollte, wurde die Sache noch komplizierter. Zuerst muss man den Teig aufgehen lassen und dafür braucht man einen warmen Raum. Gefängniszellen sind allgemein relativ feucht, deshalb ist die einzige brauchbare Wärmequelle für Teig der Fernseher. Die Insassen stellten die Schüssel mit dem Teig auf den Fernseher und warteten einfach einige Stunden. Es kann aber noch schlimmer kommen. Wenn sich der Wärter aufspielen will, bekommen die Häftlinge manchmal nicht alle Zutaten für den Teig. Ein ehemaliger Insasse erinnert sich daran, wie er Brot mahlte, um eine pulvrige Substanz zu bekommen, die er als Mehl verwenden konnte.

Aus diesen Geschichten können wir alle etwas lernen. Sie schärfen unser Bewusstsein für die Bedingungen in Gefängnissen und sagen etwas über unsere Einstellung zu Essen als Gesellschaft aus. In der modernen Welt übertreiben wir es mit dem Kochen manchmal, aber im Gefängnis ist man dazu gezwungen, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Die Insassen verstehen, wie wichtig es ist, alles zu sparen, um eine anständige Mahlzeit zubereiten zu können und, was viel wichtiger ist, sie schätzen den Wert, gemeinsam zu essen. Der Großteil der männlichen Insassen kann immer noch nicht kochen, in den meisten Abteilungen gibt es vielleicht einen Koch auf vier Zellen. Das ist, fast schon aus der Not heraus, ein Nährboden für Geselligkeit, da die Insassen sich zum Essen in der Zelle des Kochs einfinden dürfen. Dadurch sehen sie einen Zweck in der eigentlich gewöhnlichen Tätigkeit des Kochens. „Früher war der einzige Grund, warum ich kochte und aß, um zu überleben", sagt Musumeci. „Heute koche und esse ich für das Gefühl, zu existieren."