Massimo Bottura: Das treibt einen der besten Köche der Welt
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Massimo Bottura: Das treibt einen der besten Köche der Welt

Massimo Bottura ist ein Superstar, der Bono der Gastronomie. Er ist der Kopf hinter der Osteria Francescana, die kürzlich zum weltbesten Restaurant gekürt wurde, aber ihn macht noch mehr aus als seine drei Michelin-Sterne und seine zahlreichen...
Osteria Francescana

Massimo Bottura sucht „Blätter" aus, die wie die knusprige obere Schicht einer Lasagne schmecken. Foto vom Autor

Ein ungewöhnlich kühler Frühlingstag in Modena. Und auch die Begrüßung, die mich in einem kleinen Büro in der Via Stella im historischen Zentrum der norditalienischen Stadt, ist nicht viel herzlicher. Umgeben von seinen Kollegen sitztMassimo Bottura an seinem Schreibtisch und beantwortet E-Mails und Anrufe. Bei den Gesprächen scheint es meist um ihn zu gehen.

Massimo ist ein Superstar, der Bono der Gastronomie. Er ist der Kopf hinter der Osteria Francescana, die kürzlich zum weltbesten Restaurant gekürt wurde, aber ihn macht noch mehr aus als seine drei Michelin-Sterne und seine zahlreichen Auszeichnungen. Er zeigt unglaubliches Engagement und denkt fast schon in poetischer Art und Weise. Thelonious Monk inspiriert ihn, wenn eine Zitronentarte auf den Boden fällt, erkennt er die Schönheit darin, und er hat ein Buch geschrieben: Never Trust a Skinny Italian Chef.

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„Boungiorno", begrüßt er mich, ohne dabei die Augen zu heben, die wie immer von seiner charakteristischen Brille mit dem dicken schwarzen Rand umrahmt sind. Auf Italienisch gibt er einer jungen Frau ein paar Anweisungen, an den Wänden stehen Weinflaschen, in der Mitte ein riesiger Holztisch. Vor uns steht ein „blühender Ceasar Salad", angerichtet wie ein Blumenstrauß. Ein ästhetisches Meisterwerk. Ich traue mich kaum, es zu essen.

„So nähert man sich einer Kultur in abstrakter Weise", meint Massimo. „Vor fünfzehn Jahren war ich einem Restaurant und fragte mich, warum ich mich weigerte, den Ceasar Salad, den ich als Beilage bekommen hatte, zu essen. Er sah nett aus, hatte in dem Gericht aber eigentlich nichts zu suchen. Das zu analysieren war ein kreativer und kritischer Prozess, ich habe alles mit ein wenig Abstand betrachtet und dann wurde es mir klarer."

Caesar Salad in Bloom.

Blühender Caesar Salad. Foto mit freundlicher Genehmigung der Osteria Francescana

„Ich habe das Gericht auseinandergenommen und mit den vier aromatischen Grundlagen gearbeitet: Senf, Parmesan, Eigelb und Anchovis. Mit verschiedenen Senfblättern habe ich das Gericht neu zusammengesetzt. Beim Essen merkt man das Chlorophyll, den „knackigen" Parmesan. Die Anchovis stehen für Wasser. Das war die erste Etappe. Fünf Jahre später wurde daraus ein minimalistischer Salat mit Senfblättern. Alles war enthalten. Und Chlorophyll. So viel Grün."

Es schmeckt wunderbar leicht und himmlisch: delikat, ein bisschen süß. Dieses Gericht hat nichts mit italienischer Küche zu tun, die eher bekannt ist für kräftigere Aromen. Es ist eher eine Anspielung auf die vietnamesische Küche. Schon der erste Bissen zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht—das schmeckt einfach unglaublich.

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„Ja, es ist extrem gut", meint Massimo lachend. Er ist wie ein Kind und genießt das Lob. Ich erzähle ihm, dass mich das Gericht an die vietnamesische Küche erinnert.

„Das stimmt", antwortet er. Es fühlt sich an, als würde Jimi Hendrix dich für dein Gitarrensolo loben.

Er schüttelt sich kurz mit seiner Decke, die er zum Schutz seiner angeschlagenen Bronchien trägt. Müde und krank fühlt er sich. Am Tag zuvor ist er gerade aus Indonesien zurückgekommen. Als berühmter Koch steht man nicht mehr nur in der eigenen Küche.

Vor unserem Gespräch durchschreite ich noch die heiligen Hallen der Osteria Francescana: drei spärlich dekorierte Räume mit fein säuberlich eingedeckten Tischen und Werken von Massimos berühmten Künstlerfreunden. Auf einem „Ast" sitzen drei Tauben und scheißen auf eine schwarze Plastiktüte. Die Tauben sind ausgestopft, die Plastiktüte aus Eisen. So eine Installation erwartet man nicht unbedingt in einem der weltbesten Restaurants.

Osteria Francescana

Foto vom Autor

Massimos Geschichte ist die des Rebells, der es wagte, die italienische Küche zu revolutionieren. Und das nicht nur im kulinarischen Sinne, sondern auch kulturell und politisch.

Das wird noch deutlicher mit dem nächsten Gericht, das uns einer der Köche bringt. „Kürbis von Mantua bis nach Ragusa" sieht faszinierend aus und schmeckt und riecht auch so.

„Ohne wirklichen Inhalt ist auch Ästhetik wertlos", meint Massimo. „Schönheit allein hat für mich keinerlei Wert. Der muss im Inneren versteckt sein. Bei diesem Gericht geht es darum, die Grenzen zwischen Nord- und Süditalien zu überwinden."

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Große Worte. Was Massimo gemacht hat, kann man allerdings schon als revolutionär bezeichnen: Er hat mit der Tradition der italienischen Küche gebrochen, wo alles zu einer bestimmten Region gehören muss. Je regionaler, desto besser. Massimo aber will Italien vereinen, sowohl auf dem Teller als auch in der realen Welt. Er will die tiefen Gräben zwischen dem reichen, industrialisiertemNorden und dem armen Süden überwinden, wo die Menschen scheinbar ewig von Korruption, Hoffnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit geplagt sind.

Doch der Kampf gegen etablierte Traditionen ist nie einfach,wie David gegen Goliath. „Noch bis vor zehn Jahren hat man uns wie die Hexen im Mittelalter behandelt. Wir sollten auf den Scheiterhaufen, weil wir die Großmütterküche zerstört hätten. Jetzt nennen sie mich maestro", erzählt Massimo.

Osteria Francescana

Massimo Bottura probiert ein neues Gericht. Foto vom Autor

Hier sieht man auch, worin der Hauptunterschied zwischen Massimos Arbeit und der seines engen Freundes René Redzepi besteht, der mit dem noma die Revolution der nordischen Küche eingeläutet hat.

„Das kann man nicht vergleichen", meint Massimo. „Wie Äpfel und Birnen.Diese dänischen Ansichten zum Essen sind ganz neu, vor dem noma gab es fast nichts. In diesem Punkt war es für René einfacher, er konnte etwas vollkommen Neues erschaffen. Für die Menschen in Dänemark war Essen eine Notwendigkeit, aber bei uns … Wir haben eine fast 2.000 Jahre alte Geschichte, wenn es ums Essen geht. Wir leben, um zu essen."

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„Wir sind das genaue Gegenteil zu Dänemark: Im alten Rom waren die Feste, die römische Familien für den Senat ausrichteten, ein Machtsymbol. Es ist Teil der Kultur. Wir machen alles am Essenstisch, wir schließen Geschäfte ab, wir träumen, wir erfinden Dinge, wir streiten uns."

Osteria Francescana

Kürbis von Mantua bis nach Ragusa. Foto mit freundlicher Genehmigung der Osteria Francescana

Das Kürbis-Gericht besteht aus zwei Elementen: süße, leicht herbe Kürbisravioli und ein gefüllter Cannolo.

„Ich fülle die klassischen Ravioli, wie auch meine Großmutter, mit Kürbis, das schmeckt extrem süß. Ravioli aus Mantua. Der Cannolo erinnert mich an den Süden Italiens, Mandeln und Zucker. Das sind die klassischen Aromen Siziliens für mich. Süß und sauer zugleich. Wir machen italienische Küche, bei der es nicht um einzelne Regionen, sondern um ganz Italien geht. Wir wollen unsere eigene Kultur vereinen", erklärt Massimo.

Er scheint gerade einen Lauf zu haben. Wir sind nicht mehr in dem Hinterzimmer, wo es so kalt war, dass man seinen Atem in der Luft sehen konnte, und Massimo sieht auch nicht mehr so krank aus, sondern hat wieder Farbe im Gesicht und gestikuliert wild herum. Mit dem Ceasar Salad ist er noch nicht fertig, sobald er eine Idee hat, lässt er einfach nicht locker. Er mag keine halben Sachen.

„Der Ceasar Salad war die Entwicklung einer Entwicklung einer Entwicklung eines Gedankens.Bei unserer Küche geht es darum, sich selbst auszudrücken und ehrlich und aufrichtig zu sein. Man weiß schon von Weitem, dass das ein Gericht der Osteria Francescana ist."

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Und schon kommt das nächste Gericht: „Wildente, Rebhuhn—und sogar Bollito". Ich frage ihn, womit ich anfangen soll, aber Massimo langt mit einer Gabel einmal kräftig zu und gibt sie mir zu zurück: eine wahre Geschmacksexplosion, die mich in purer Glückseligkeit zurücklässt. Massimo grinst, als könne er meine Gedanken lesen.

„Kochen ist keine Kunst. Wir sind Handwerker, die gutes Essen machen wollen, genauso wie ein Designer schöne Kleidung entwirft oder Ferrari ein schnelles Auto baut. Ein Künstler kann machen, was er will. Wir sind keine Künstler, aber wir stehen sozusagen im Dialog mit dem Geschmack der Menschen."

Osteria Francescana

Die Kellner gönnen kurz vor der Rush Hour zur Mittagszeit eine kurze Pause. Foto vom Autor

Allerdings eint gute Handwerker und Künstler eine Sache: der Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.

„Picasso hat immer nach einem eigenen Stil gesucht, in diesem Zusammenhang sind wir uns ähnlich. Es gibt einen eigenen Stil der Osteria Francescana und von mir. Wenn man ein Gericht von hier sieht, weiß man einfach, dass es von uns ist."

Es ist unmöglich, diesen Koch zu bändigen. Er gibt sich nicht mit seinen Erfolgen zufrieden und entwickelt sich ständig weiter.

„Ich lebe in der Gegenwart", meint Massimo. „Ich schaue nie zurück, ich will kein Teil der Vergangenheit sein. Meine Einstellung zu allem ist ziemlich positiv. Ich weiß, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, aber darum geht es nicht, das ist mir egal. Ich wünschte, man könnte Essen hier in Modena studieren, wie an einer Universität. Das brauchen wir, es ist Teil eines größeren Prozesses."

„Der Stadtrat ist auf mich zugekommen, weil sie die Zukunft der Bauern sichern wollen und meine Hilfe brauchten. Wir brauchen eine eigene Küche und die Bauern müssen den Geschmack verstehen. Sie müssen verstehen, wie man Parmesan macht, aber auch Lasagne. Wir wollen ein Gleichgewicht finden, zwischen Jahreszeiten, Natur und der Beziehung zum Produzenten. Dann können wir die italienische Küche in verschiedener Art und Weise neu definieren."

Sofort nach dem Interview geht Massimo in die Küche, ich folge ihm einfach. Er ist schon wieder ganz woanders. Ich irre mit meiner Kamera umher, keine Ahnung, was als Nächstes passiert. Zum Glück ist Massimo nicht vergesslich. Mehrmals erinnert er mich daran, dass eine Osteria auch ein Familienbetrieb ist, genauso auch die Osteria Francescana. Hier wird keiner zurückgelassen. Als ich mich verabschieden will, umarmt er mich und ihm fällt noch ein: „Halt, warte, ich habe noch etwas für dich." Zwei Minuten später kommt er mit einem besonderen Parmesan zurück, aus der Milch der seltenen weißen Kühe der Emilia Romagna, und einer Flasche selbst gemachtem Balsamico Bianco.

„Arrivederci", sagt Massimo und ich hoffe wirklich, ihn eines Tages wieder zu sehen. Das wird sobald allerdings nicht passieren, weil es fast schon unmöglich ist, einen Tisch in der kleinen Osteria der Via Stella zu bekommen.