Wie man in der absoluten Einöde Spitzenküche macht

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Sterneküche

Wie man in der absoluten Einöde Spitzenküche macht

Sébastien Bras lässt sich für seine Küche von der Ernte, den Märkten im Dorf und der Natur inspirieren.

Ich wurde im kleinen Dorf Laguiole im französischen Aubrac geboren. Für mich hat hier alles angefangen: Hier haben meine Großeltern in den 50er-Jahren ein Restaurant eröffnet, mein Vater wurde nur 30 km von hier geboren.

Das Aubrac lädt zum Nachdenken ein. Es lässt einen Dinge nüchtern betrachten, es strahlt diese Reinheit aus. Die Landschaft zwingt einen fast, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das Licht hier ist einfach magisch. Jungen Leuten, die bei uns arbeiten, sage ich immer, dass sie sich umgucken müssen: „Schau dir das Licht an, diesen Baum oder den Sonnenuntergang da drüben." Ich möchte sie dazu bringen, die Natur mit Ehrfurcht und Bewunderung wahrzunehmen, auch die einfachen Dinge. Ich sage es allen jungen Menschen, die bei uns in der Küche arbeiten wollen: „Kommt nicht wegen der Rezepte, nehmt die Umgebung und unsere Geschichte in euch auf, damit ihr eines Tages eure eigene schreiben könnt." Die Geschichte des Restaurants ist eine Liebeserklärung an die Natur um uns herum. Das Leben im Aubrac, dieser grünen Wüste, ist nicht einfach. Wir als Team müssen eins mit ihr werden, damit wir die Natur auf unsere Gerichte übertragen und diese Region mit unseren Gästen teilen können.

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Sébastien Bras vor dem Suquet. Das gläserne Haus sticht aus der Landschaft des Aubrac hervor. Alle Fotos von Céline Maguet

Der Maler Pierre Soulage sagte einmal: „Je begrenzter die Mittel, desto stärker der Ausdruck." Im Aubraac sind wir isoliert. Es würde aber nicht reichen, uns nur auf die Produkte des Plateaus – Käse, Milch, Rindfleisch und Wurst mit einer starken regionalen Identität – zu beschränken. Es war die gastronomische Armut, die uns wirklich kreativ angetrieben hat. Diese Schwäche haben wir zu unserer Stärke gemacht und konnten so eine einzigartige Küche erarbeiten: Wir arbeiten mit Kartoffeln, Milchhaut, Brotkrümeln – „anti-gastronomischen" Produkten, die schon mein Vater Michel hochwertig verarbeitet hat.

Unser Essen spiegelt unsere Wünsche, Inspirationen, unsere Ernte und unsere Entdeckungen auf dem Markt wider.

Milch zum Beispiel ist eine meiner wichtigsten Zutaten: Viele meiner Ideen drehen sich um [Käsesorten wie] Laguiole oder Tomme, Milchprodukte oder Molke. Mit dieser Zutat bin ich aufgewachsen: Jeden Morgen habe ich mit meiner Oma frische Milch für das Frühstück im Restaurant bei der Milchgenossenschaft in unserem Ort gekauft. Wenn ich meine Großeltern am Wochenende auf ihrem Hof besuchte, trank ich jeden Abend ein Glas warme, frisch gemolkene Milch. Morgens machte ich mir über meine pascades [Crêpes aus dem Aveyron] mit großzügig Milchhaut, die noch am selben Morgen von frischer Rohmilch abgenommen wurde. Bauernhöfe und Milchwirtschaft bestimmen diese Region, beides ist also in mir verwurzelt. Als Kind vom Land hat man so etwas einfach in sich, es ist ganz natürlich, man liebt es einfach. Unser Essen spiegelt unsere Wünsche, Inspirationen, unsere Ernte und unsere Entdeckungen auf dem Markt wider.

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Im Garten von Michel Bras erntet das Restaurant im Frühling Kräuter und im Sommer Obst und Gemüse.

Eines der bekanntesten Gerichte des Restaurants, Gargouillou, entwickelt sich ständig.

Wenn ein Gericht für unser Restaurant steht, dann Gargouillou: Es verkörpert Modernität und den Einfluss der Region auf unsere Karte. Mein Vater hat es in den frühen 80ern erfunden. Ich habe kurz darüber nachgedacht, entschied mich dann aber, es nicht von der Karte zu nehmen, sondern es täglich zu verändern. Je nach Saison ist es über das Jahr immer anders, man bekommt nie das gleiche Gericht, das hängt davon ab, was wir morgens im Garten meines Vaters oder in der Natur ernten können, was es auf dem Markt in Rodez gibt, wo ich zwei Mal die Woche hinfahre. Es macht wirklich Spaß, jeden Morgen zu fünft, sechst oder siebt am Gargouillou zu arbeiten. Moderner kann ein Gericht gar nicht werden, Gargouillou ist ein immer wieder neues Abbild unserer Umgebung.

Sébastien Bras bei der Zubereitung des Gargouillou

Mein Vater und ich, wir arbeiten gern mit Produkten, die Substanz haben, mit Materialien, die wir kennen und verstehen. Deshalb machen wir sehr regionales Essen – auch wenn ich nichts dagegen habe, ab und zu kleine Sachen hinzuzufügen, die mit dem Aubrac überhaupt nichts zu tun haben, wie zum Beispiel Miso. Seit ich regelmäßig nach Japan fahre, habe ich mich mit dieser fermentierten Paste vertraut gemacht. Zuerst mochte ich den Geschmack gar nicht, doch mit jedem Jahr habe ich ihn mehr geliebt. Ich habe Miso-Hersteller besucht, mich mit Spezialisten unterhalten, damit ich das Produkt verstehen konnte. Heute weiß ich genug, um das Ferment mit nach Languiole zu nehmen und hier mein eigenes Miso aus regionalen Linsen zu machen.

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Sébastien Bras hängt am Aubrac – und dem Wetter. Das hier war am 22. Mai bei sechs Grad

Wir haben eine enge Beziehung zu Japan, weil wir dort ein zweites Aubrac gefunden haben: Nichts hatte darauf hingedeutet, dass wir dort ein Restaurant eröffnen würden. Mein Vater und ich sind nicht die geborenen Entwickler. Eine japanische Hotelgruppe ist auf uns zugekommen und wollte unbedingt, dass wir sie treffen. Wir sind im Winter geflogen: von Clermont nach Paris, dann Paris-Tokio, dann von Tokio nach Sapporo auf Hokkaido und dann noch mal mitten im Dezember drei Stunden mit dem Auto, der Schnee türmte sich zweieinhalb Meter hoch neben der Straße. Es schneite und es war stockfinster. Dann kamen wir an einem riesigen Hotel mit fast 300 Zimmern an, das seit fünf Jahren geschlossen war. Kein Strom, kein warmes Wasser und ein Wachmann mit blassweißer Haut, der in Shining hätte mitspielen können. Uns ließ das kalt, wir wollten mit dem ersten Flieger wieder zurück. Am nächsten Tag gingen wir jedoch wieder zum Hotel, das schlechte Wetter war weggezogen und die Sonne strahlte. Wir fuhren in den 11. Stock und hatten einen beeindruckenden Blick über die Landschaft– auf der einen Seite ein See, auf der anderen Seite das Meer. Wir waren von diesem Anblick begeistert: 10.000 km von unserer Heimat entfernt haben wir ein kleines Stück Aubrac mit seinen kleinen Dörfern und Bauern gefunden.

Da fragte ich die Investoren: „Warum wir?" Und sie meinten: „Wenn Sie es geschafft haben, etwas in der Abgelegenheit des Aubrac aufzubauen, dann schaffen das auch hier auf Hokkaido." 2002 haben wir eröffnet.

Aufgezeichnet von Céline Maguet.


Nach eigener Aussage hat Sébastien Bras immer in der Küche des Familienrestaurants in Laguiole gelebt. Seine Eltern haben ihn gleich nach der Geburt mitgenommen. Seit 2009 leitet er das Suquet allein. Hier, inmitten der Region, in der er aufgewachsen ist, zeichnet er mit der gleichen Leidenschaft und der gleichen Aufmerksamkeit wie sein Vater Michel einen neuen Weg durch das Aubrac. 2002 haben die beiden das Toya auf der japanischen Insel Hokkaido eröffnet. 

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Französisch bei MUNCHIES FR.