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Diät

Food-Gadgets stören unsere Beziehung zu Essen

Der Hunger nach Food-Gadgets scheint unersättlich zu sein. Aber Vorsicht, bei vielen Geräten geht es weniger ums Essen als darum, dir die Lust daran zu nehmen.
Foto: Valerie Renée | Flickr | CC BY 2.0

Der Hunger nach immer neuen Food-Gadgets—für die der Vessyl-Becher, die HAPIfork und der Bite Counter (nennen wir das Kind beim Namen: Armband des Bösen!) das beste Beispiel sind—scheint schier unersättlich zu sein. Aber Vorsicht, bei diesen Geräten geht es weniger ums Essen als darum, dir die Lust daran zu nehmen.

Die HAPIfork kommt auf den ersten Blick freundlich bunt daher, doch vibriert jedes Mal, wenn ein Programmierer im fernen Hong Kong der Auffassung ist, dass du zu schnell isst. Kurzum: Es ist eine vom Teufel besessene Meine-erste-Gabel-Version, die dir mit einer hundertprozentigen Erfolgsquote den Appetit austreiben wird.

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Der Bite Counter—ein Casio-Uhr-Verschnitt mit passiv-aggressivem Verhaltensmuster—drängt sich zwischen deinen Mund und jedes Geschmackserlebnis, indem er jeden einzelnen Bissvorgang unter die Lupe nimmt. Er ist die digitale Ausgabe deiner garstigen und piekfeinen Tante aus Paris, bei der sogar Graf Koks Knigge-Komplexe kriegt. Der Vessyl-Becher—ein Babybecher für die Bridget-Jones-Generation—verspricht, den Inhalt von all deinen Getränken zu analysieren, damit du abnimmst, dein Wasserhaushalt ausgeglichen bleibt, du nicht zuviel Koffein zu dir nimmst, Muskelmasse aufbaust und besser schläfst. Sogar dein Zuckerspiegel behält er im Auge. Die Infos können übrigens auf ein mobiles Datengerät übertragen werden mit dem Ziel eines besseren Bewusstseins für deinen Kalorien- und Wasserhaushalt." Na dann, Prost Mahlzeit.

Anders ausgedrückt: Die Terrortasse wird dir—zu deiner großen Überraschung—mitteilen, dass du gerade ein lecker Pils trinkst, dass es schon wieder sieben Uhr morgens ist und dass du dich als Strafe für diese Suffsünde auf einen Dauerlauf einstellen kannst, bei dem dir Hören und Sehen vergeht.

Technische Geräte in der Küche sind an sich nichts Neues. Doch wohingegen die wandmontierten Gemüseschneider und anschließbaren Tellerwärmer aus der Generation unserer Großeltern dazu dienen sollten, uns das Kochen zu erleichtern und uns damit auch ein schöneres Essenserlebnis zu schenken, scheinen die modernen Geräte eher darauf abzuzielen, uns den Appetit zu verderben und einen pseudowissenschaftlichen Keil zwischen Essen und Esser zu treiben, bis sich letzterer bei jedem Mahl vor eine unlösbare Aufgabe gestellt fühlt, die er nur unter Einsatz von moderner Technologie—bei dem die omnipräsente kulinarische Spaßbremse, das Handy, natürlich nicht fehlen darf—meistern kann.

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Kommunikationswütige Teller und Wieviel-Gluten-ist-in-meinem-Gericht-Apps verleiten uns dazu, Essen als etwas anzusehen, über das wir uns—mit forensischem und leidenschaftslosem Blick—den Kopf zerbrechen, anstatt es uns einfach nur genüsslich in den Mund zu schieben und zu genießen.

All das macht mich unglaublich traurig. Du könntest locker Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Euro für diesen tickenden, kalkulierenden und vibrierenden Firlefanz ausgeben und wärest trotzdem genauso schlau wie vorher, nur dass dir auch noch gehörig der Appetit vergangen ist. Abnehm- und Ernährungsschnickschnack ist in Großbritannien mittlerweile ein milliardenschwerer Markt. Aber sind wir mal ehrlich: Wenn all diese Spielereien wirklich funktionieren würden, könnte man nicht auf Dauer so viel Geld damit machen. Denn die Leute würden nicht ständig nach einer besseren Digi-Diät-Lösung suchen müssen, um endlich dünner, gesünder und glücklicher zu werden. Stattdessen unterminiert der anhaltende Kauf solcher Geräte eine der wichtigsten Beziehungen des Menschen—die zum Essen.

Natürlich missbrauchen auch viele Menschen—ich bin leider einer von ihnen—Essen als subtile Form der Selbstzerstörung. So schaufeln wir tütenweise Snacks in uns rein, um uns von anderen tiefer liegenden Problemen abzulenken. Oder wir hungern den halben Tag, um uns dann mit den seltenen Mahlzeiten, die wir uns gestatten, ein kurzes, aber sehr intensives Glücksgefühl zu verschaffen.

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Menschen, die unter Essstörungen leiden, brauchen Unterstützung dabei, sich ein normales Essverhalten anzutrainieren. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass Geräte zum Zählen deiner täglichen Bissmenge dabei behilflich sein können—ganz im Gegenteil. Stattdessen handelt es sich bei ihnen um ein äußerst effektives Mittel, um aus unserem niedrigen Selbstwertgewühl buchstäblich Kapital zu schlagen.

Und die befinden sich in bester Gesellschaft. Diet Chef etwa „lockt" mit vorportionierten, kalorienkontrollierten und vor allem lieblosen Gerichten, die dich bevormunden und nicht gerade Anreize schaffen, sich selbst mal Gedanken über Ernährung zu machen. Und bei Tweet What You Eat bekommen Masochisten zu jedem kulinarischen Tweet ein schlechtes Gewissen gratis.

Ist es echt nötig, dass wir unserem Essen so viel Angst, Planung, Analyse und Selbstvorwurf zugeben? Ist es wirklich eine gute Idee, dass wir eine leblose App unser potentielles Essen nach Gesundheitskriterien bewerten lassen? Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der uns Geräte sagen, ob wir richtig kauen, oder in der wir uns von Unbekannten vorschreiben lassen, was wir am besten in die Suppe tun?

Wenn wir aufhören, unserem Essen mit unbekümmertem Elan entgegenzutreten, wenn wir unsere Ernährung zu einer fremdgesteuerten Last verkommen lassen, wenn wir uns selbst nicht länger die Finger schmutzig machen und dadurch Kochen gar nicht mehr als ein haptisches Erlebnis wahrnehmen, werden wir irgendwann den Spaß am Essen verloren haben.

Finden wir nicht durch unsere Freude am Essen auch einen Zugang zu längst verloren geglaubten animalischen Instinkten? Nämlich etwa dann, wenn wir beim Essen alles und jeden um uns herum vergessen. Das letzte, was mir in Situationen dieser Art einfallen würde, wäre, meine Bissen zählen zu wollen. Und wenn ich mir schon mal einen spannenden Film anschaue, will ich nicht ständig—und ja bewusst—meine Hand im Blick haben müssen, die nur allzu gern gen Nachos-Tüte wandert. Bewegung ist doch gut, oder nicht?

Und auch auf die Gefahr hin, wie Arnold Schwarzenegger zu klingen, sei abschließend gesagt: Eating is not cheating." Denn eins steht fest. Essen ist nichts Schlechtes. Und muss vor allem Spaß machen. Und dieses ganze Arsenal an ultramodernen Food-Gadgets wird dich niemals so glücklich machen können wie ein leckeres Sandwich.

Oberes Foto: Valerie Renée | Flickr | CC BY 2.0