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Geflügel

Arbeiter in der US-Geflügelindustrie müssen Windeln tragen

Oxfam hat in einem neuesten Bericht Geflügelfarbiken in den USA genauer unter die Lupe genommen und prangert die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen an: Teilweise dürfen Beschäftigte nicht auf Toilette gehen und entleeren sich direkt an ihren Posten.
Foto via Flickr-brugeren USDAgov

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA ist Hühnchenfleisch immer beliebter und die Nachfrage danach steigt weiter an. Damit jedes Jahr Milliarden Hühnchen in die Supermärkte kommen, müssen die Arbeiter in den Fabriken niedrige Löhne, Verletzungen und wenig bis kein Mitspracherecht auf Arbeit in Kauf nehmen, so heißt es in einem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation Oxfam America. Die schockierendste Enthüllung in diesem Bericht ist aber vor allem diese: Die Arbeiter müssen oft bei der Arbeit Windeln tragen, weil sie keine regelmäßigen Toilettenpausen bekommen. Andere entledigen sich direkt am Fließband in fester oder flüssiger Form.

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Die Oxfam-Mitarbeiter haben laut eigenen Angaben drei Jahre damit verbracht, die Arbeitsbedingungen in der Geflügelindustrie zu untersuchen. Sie sind durch die USA gereist, haben Interviews mit Beschäftigten, Anwälten, Gesundheitsexperten und Analysten geführt, um so herauszufinden, was sich wirklich hinter den Kulissen der Geflügelindustrie abspielt.

Und es sieht so aus, als hatte ein amerikanisches Bio-Huhn aus Freilandhaltung wohl ein besseres Leben als der Fabrikarbeiter, der es zerlegt hat.

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Oliver Gottfried, Senior Advocacy Advisor bei Oxfam America, meint, dass selbst wenn man Bio-Hühner oder Tiere aus Freilandhaltung kauft, „die meisten Hühner die gleichen Stationen [wie sie im Bericht dargelegt werden] durchlaufen, sobald sie in der Geflügelfabrik ankommen. Die meisten Beschäftigten arbeiten unter den beschriebenen Bedingungen."

Oxfam hat zwar nicht explizit kleine, regionale Fabriken untersucht, aber Oliver Gottfried meint dennoch: „Einige der kleinen Unternehmen, die sich auf Bio-Hühnchen oder Hühnchen aus Freilandhaltung spezialisiert haben, verarbeiten das Fleisch unter anderen Bedingungen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass einige der bekanntesten und beliebtesten Bio-Marken zu den vier größten Geflügelunternehmen gehören. Und auch diese Hühner werden so verarbeitet, wie wir es [im Bericht] beschrieben haben."

Das Problem sind vor allem auch die begrenzten Pausenzeiten, damit die Arbeiter länger an ihrer Posten bleiben können. Die Vorarbeiter stehen unter Druck, die Produktion muss die ganze Zeit so schnell wie möglich weiterlaufen, die Maschinen müssen ständig in Gang sein. Viele Beschäftigte gaben an, dass sie keine Pausen nehmen dürfen oder bestraft werden, wenn sie es doch tun. Oxfam hat 266 Arbeiter im Bundesstaat Alabama befragt und 80 Prozent meinten, dass sie nicht auf die Toilette gehen können, wenn sie mal müssen; die gleichen Angaben machten 86 Prozent der Befragten in Minnesota. Wenn man doch auf Toilette geht, sobald man muss, folgen oft Strafen oder Drohungen, so die Arbeiter.

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„Was in anderen Arbeitsumgebungen unvorstellbar ist, ist in der Geflügelindustrie zu oft Realität: Die Arbeiter erleichtern sich während der Arbeit an ihren Posten", heißt es in dem Oxfam-Bericht. Eine Beschäftigte namens Dolores wird in dem Bericht wie folgt zitiert: „Ich musste Pampers tragen. Ich und viele, viele andere mussten Pampers tragen." Sie sagte außerdem, dass sie das Gefühl hatte, wertlos zu sein, keine Fragen stellen und auch nicht ihre Meinung sagen zu dürfen.

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Die vier größten US-Geflügellieferanten—Tyson, Pilgrim's Pride, Perdue und Sanderson Farms—kontrollieren 60 Prozent des Marktes und haben 100.000 Beschäftigte. Der Bericht fordert diese Firmen nun dazu auf, aktiv zu werden und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Pilgrim's Pride meinte gegenüber MUNCHIES unter anderem: „In keiner unserer internen Mitarbeiterumfragen wurden Toilettenpause als ein Problem angeführt, auch nicht in Umfragen zur Nachhaltigkeit und Sicherheit in unserem Unternehmen, die von einer unabhängigen Drittfirma durchgeführt wurden." Auch hieß es von der Seite des Unternehmens, dass „alle Behauptungen von Oxfam, sollten sie sich denn als wahr herausstellen, als klarer Verstoß gegen Unternehmensrichtlinien zu werten wären und disziplinarische Maßnahmen zur Folge hätten."

In einer längeren Stellungnahme von Tyson gegenüber MUNCHIES meint die Firma: „Wir dulden nicht, dass Mitarbeitern auf Anfrage die Nutzung der Toiletten verweigert wird." Sie beschäftigen nach eigenen Angaben „ein unabhängiges Prüfungsunternehmen, das die Arbeitsbedingungen in den Fabriken überprüft" und sie „haben über verschiedene Kanäle ein offenes Ohr für die Teammitglieder, damit sichergestellt ist, dass diese auch würdig behandelt werden". Wie die Firma meint, haben sie sich auch mit Oxfam getroffen und „sind immer offen für Verbesserungsvorschläge". Auch mit Perdue und Senderson Farms haben wir Kontakt aufgenommen, bisher allerdings noch keine Rückmeldung bekommen.

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Im Bericht von Oxfam heißt es, dass die Unternehmen in ihren Richtlinien Toilettenpausen vorgesehen haben, diese jedoch nicht in den Fabriken durchgesetzt werden. Oliver Gottfried meint, dass US-Verbraucher da auch etwas gegen tun können: „Den Firmen ist es wichtig, was die Kunden über die Verarbeitung des Essens denken. Da sich mittlerweile mehr Kunden besorgt um die Sicherheit ihres Essens und die Verarbeitung und Haltung von Hühnern geäußert haben, hat die Industrie reagiert: Die Unternehmen nutzen keine Antibiotika mehr und/oder haben die Art der Aufzucht verändert."

Wie Oxfam meint, müssen die US-Verbraucher auch mehr darüber erfahren, welche Arbeitsbedingungen in der Industrie vorherrschen, was sie durch den neuen Bericht nun können.