Wie diese Frau die polnische Küche neu erfindet

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Berlin

Wie diese Frau die polnische Küche neu erfindet

Julia Bosski organisiert die Polish Thursday Dinners in Berlin. Wir waren dabei – und begeistert.

Julia Bosski ist die perfekte Gastgeberin. Die 25-Jährige ist der Kopf hinter einer der erfolgreichsten Dinner-Partys in Berlin, den Polish Thursday Dinners. Sie ist definitiv die geborene Unterhalterin: egal ob sie ihren Gästen über neu gedachte traditionelle Gerichte die polnische Kultur näher bringt oder als Sängerin im Jazz-Duo Bosski & Gall.

Einmal im Monat veranstaltet sie ein Fünf-Gänge-Dinner in der 1891 eröffneten historischen Berliner Arminiusmarkthalle. Als ich Ende Januar dabei war, war es so voll wie noch nie zuvor. Die Kellner servieren die Vorspeise: Gelbe-Bete-Borschtsch, großzügig garniert mit Räucheraal und Petersilienöl. Die Gäste genießen das Essen – und die Gespräche mit vollkommen Fremden, die neben ihnen an langen Holztischen sitzen.

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Nach dem ersten Gang kommt die Köchin aus der Küche in den Gastraum, die grüne Wand hinter ihr ist in stimmungsvolles Licht getaucht. Selbst ohne das Mikrofon kann man Julia Bosski einfach nicht übersehen: wie eine Statue wirkt sie, sie trägt einen locker frisierten dunkelbraunen Bobschnitt und heute Abend dazu ein blassblaues Shirt mit Stehkragen, das irgendwie an Jackie Kennedy erinnert.

Julia Bosski. Alle Fotos von Rafael Poschmann

„Ich wollte noch ein paar Songs für euch singen", sagt sie mit warmherziger Stimme und zeigt auf einen Mann mit E-Gitarre neben ihr. „Der erste heißt ,And I'".

Die lauten Gesprächen verstummen fast, nur noch leises Gemurmel, als sie zu singen anfängt. 130 Augen starren sie gebannt an, während alle Wein trinken und mit Butter beschmierte Brote essen. Nach dem Applaus und den Piroggen mit Sauerkraut und gelben Paprika, Nussbutterschaum und einer Schnittlauchsauce ist sie wieder verschwunden – nur um später in einem neuen Outfit wieder aufzutauchen: In einem schwarzen Spitzenkleid mischt sie sich unter die Gäste.

Die Polish Thursdays sind für ihr buntgemsichtes Publikum bekannt, das ein Spiegel der Vielfalts Berlin ist. Es gibt viele Hipster, einige Expats, gut gekleidete Polen und sogar ein Grüppchen polnischer Omas. Ein Baby sitzt auf einem Hochstuhl am Tisch, nur ein paar Plätze weiter versteckt sich ein Fußhupen-Chihuahua unter dem Tisch.

Genau wegen dieser Vielfalt und dieser sprühenden Energie ist Piotr Wolski aus Polen vor zwei Jahren zum ersten Mal zum Polish Thursday Dinner gekommen.

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„Ich kam irgendwann regelmäßig, weil die Stimmung immer gut ist und man gut netzwerken kann", erzählt er.

Koch Marcin Gancarczyk richtet an

Er lebt erst seit sechs Monaten in Berlin. Vorher ist er extra aus dem circa 90 Kilometer entfernten Kostrzyn an der deutsch-polnischen Grenze gekommen, um an Julias Dinner-Abenden teilzunehmen.

„[Ihr Essen] erinnert mich nicht an zu Hause", meint er. „Es erinnert mich an mein kulturelles Erbe, meine Wurzeln, aber hier hat es immer etwas Besonderes."

Sauerkraut-Piroggen, geschmolzene Zwiebeln, gelbe Paprika, grüne Sauce, Nussbutterschaum

An diesem Abend ist Marcin Gancarczyk zu Gast, ein deutsch-polnischer Koch, der auch im Noma gelernt hat. Er kümmert sich um die Küche, Julia sich um die Gäste. Sie arbeitet oft mit anderen Köchen zusammen, damit sie für Unterhaltung sorgen kann – das hat seit dem Beginn 2013 zu einigen interessanten Kombinationen geführt: polnische Gerichte fusionierten mit Elementen aus der südafrikanischen, dänischen oder französischen Küche.

„Diese Dinner-Party sind nicht nur etwas für Polen. Hier sollen Menschen aus allen möglichen Ländern und mit allen möglichen Berufen kommen – Ärzte, Philosophen, Opernsänger –, um zu zeigen, dass die Welt – oder Berlin – bei Tisch eigentlich ganz klein ist", erklärt mir Julia ein paar Wochen später bei einem Kaffee im Oak & Ice, wo sie auch oft DInner-Partys und andere Events veranstaltet und dessen Besitzer ebenfalls aus Polen kommen.

Alles fing vor fünf Jahren an: Zusammen mit ihrem Ex-Freund organisierte sie Events, bei denen sie Gourmet-Essen mit Musik, DJs, Kunst und Film kombinierten. Ein paar Monate später wollte sie ihre eigenen exklusiven Partys veranstalten und modernes polnisches Essen servieren – genauso, wie sie es auch für sich zu Hause kocht.

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„Die polnischen Könige im 18. Jahrhundert waren für ihre Festessen an Donnerstagen bekannt, so bin ich auf das Konzept gekommen" erzählt mir die autodidaktische Köchin. „Der König lud dann Politiker, Künstler und Schriftsteller ein, nur Männer. Witzig, jetzt im 21. Jahrhundert organisiert das eine Frau."

Zu den ersten Events kamen zehn bis fünfzehn Gäste, es gab selbst gemachten Likör, Eingelegtes aus dem Garten, kiełbasa [polnische Wurst] und natürlich viel, viel Wodka. Die Zutaten haben die beiden von der Familie in Warschau bekommen.

„Wir haben das Zeug in großen Koffern von unseren Omas aus Polen geholt", erinnert sie sich lachend. „Wir sahen aus wie Schwarzmarkthändler."

Schon bald servierte sie einen Cocktail namens „Sex on the Grass" (polnischer Bisongras-Wodka mit Tonic und Rosmarin") und Burger mit Tintenfischtinte gefüllt mit eingelegten Gurken und saftigem Hering mit Limette, Honig, Chili und Nüssen.

Der nächste Gang heute Abend ist konfierter Bachsaibling, dazu ein knallgrüner Sauerampfersalat mit Meerrettich, Zitronen und Joghurt. Danach folgen geschmorte Rinderbäckchen mit Sauce, dazu kopytka, die polnischen Gnocchi.

Geschmorte Rinderbäckchen, „kopytka", Rotkohl-Karotten-Salat, Jus

Diese kleinen Kartoffelteiglinge liegen Julia sehr am Herzen. Ihr Großvater hat sie oft zum Rindergulasch gemacht. Am liebsten erinnert sie sich an gemeinsame Familienessen zurück, ihre Familie beschreibt sie als „intellektuell": Ihr Urgroßvater spielte in einer polnischen Satiresendung mit, seine Frau war eine Sängerin, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen Frauenverband mitbegründet hat.

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Für den Körper und den Geist gab es immer genug Nahrung, erzählt Julia.

„Ich dachte mir: Ich bin die Gastgeberin, ich möchte, dass das hier wie meine Familie wird", meint sie. „Oder zumindest wollte ich dieses Gefühl dieser Familienfeiern. Die Leute sollten an meinem Tisch sitzen und ich wollte sie mit dem Essen und Konversationen unterhalten. Am meisten gefällt mir, dass völlig Fremde durch diese Dinner-Partys richtig gute Freunde von mir geworden sind. Das ist wirklich das Schönste."

Julia Bosski und Marcin Gancarczyk

Julia Bosski hat eine lange, aber auch komplizierte Beziehung zum Kochen: Sich selbst das Kochen beizubringen, war für sie etwas Besonderes, nachdem sie in der Schule an Anorexie litt. Einmal hatte sie eine Lungenentzündung und wusste, dass sie essen muss „oder sterben wird".

„Drei Jahre lang habe ich nicht richtig gegessen. Das war dann meine Therapie, ich habe angefangen, Essen wieder zu lieben und keine Angst davor zu haben", erzählt sie.

Die junge Polin lebt seit mittlerweile acht Jahren in Berlin und denkt auch darüber nach, mit ihren Dinner-Partys auf eine Art Europatour zu gehen – und vielleicht in London zu bleiben. Sie sprüht immer noch vor kreativen Ideen, wie auch das große Finale an diesem Abend beweist: ein dekonstruierter Apfelkuchen aus Ziegekäseeis, frischem Apfelmus und Kuchenstreuseln.

„Großartig, oder? Nur das Beste vom Kuchen."

Apelkuchen mit Ziegenkäseeis, dazu Żubrovka

Mittlerweile wird der Wodka gekippt, für die einen ein Schlaftrunk, für die anderen ein verfrühter Start ins Wochenende. Julia ist ein bisschen erschöpft, aber sie freut sich vor allem über ein weiteres Dinner, das ohne Probleme über die Bühne gegangen ist.

„Also, ich habe schon gut hundert solcher Partys gegeben", sagt sie und lässt sich mit einem Glas Wein in der Hand in einen Stuhl fallen. „Ich sehe mich immer noch nicht als professionelle Köchin, sondern als eine mit Leidenschaft."


Mehr von Julia findet ihr hier.