Zu Mittag gibt's Piranha
Fotos von Theo Cottle

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Fisch

Zu Mittag gibt's Piranha

Warum immer nur Lachs und Scholle essen, wenn man auch mal Piranha probieren kann? Darum habe ich mich in ein Londoner Restaurant geschwungen, um mich dort dem Killerfisch zu stellen.

Um Piranhas ranken sich viele Legenden. Sogar der frühere US-Präsident Theodore Roosevelt hat sich diesen Fischen schon gewidmet und schrieb: „Sie zerreißen und verschlingen bei lebendigem Leibe jeden verletzten Menschen und jedes verwundete Tier." Natürlich waren wir bei seiner Entdeckungsreise durch den brasilianischen Regenwald nicht dabei, doch spricht man mit Biologen über Piranhas (oder schaut sich einfach diese aufschlussreiche WDR-Doku über die Fische an), spricht vieles dafür, dass Herr Roosevelt auf bewusstseinserweiternden Drogen war.

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Am Ende ist der Piranha also auch nur ein Fisch. Und was macht man am besten mit Fischen? Richtig, essen.

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Zwei frisch getötete Piranhas im Andina.

Also schwinge ich mich kurzerhand in ein schickes Londoner Restaurant mit peruanischer Küche. Warum gerade peruanisch? Ganz einfach, weil Peru ein Land ist, wo schon seit Jahrhunderten Meerschweinchen und Arapaima auf der Speisekarte stehen. Bei solch einem Kuriositätenkabinett darf natürlich auch Piranha nicht fehlen. Im Andina empfängt mich Küchenchef Martin Morales, der mir bei der Zubereitung von zwei Piranha-Exemplaren helfen wird. Doch zuallererst müssen die Burschen erstmal getötet werden.

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Die Autorin (Mitte) und Küchenchef Martin Morales (rechts).

„Von Überfischung kann bei Piranhas keine Rede sein, es gibt mehr als genug von ihnen", erklärt mir Morales, während er zwei große Tüten aus einem Küchenschrank hervorzaubert. „In Peru ist er ein komplett nachhaltiger Fisch." In jeder der Tüten steckt eine durchsichtige Plastikbox mit einem Piranha darin. Sie sind kleiner, als ich gedacht hätte, und sehen nicht besonders furchterregend aus—mehr wie ein zu groß geratener, silber lackierter Goldfisch.

„Viele meiner Gäste tun sich schwer mit dem Gedanken, etwas Neues zu probieren", erzählt mir Morales. „Manche Tiere werden in den Medien falsch dargestellt. In Peru essen wir so ziemlich alles. Einige Tiere werden gezüchtet, andere wild gefangen. Das Wichtigste ist aber eh, dass sie von den Gemeinden nachhaltig genutzt werden."

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Mit den Beißerchen ist nicht zu scherzen.

„Der Grund, warum sie hier eigentlich nicht auf der Speisekarte stehen, ist der, dass wir auf Fische aus der Region und auf Nachhaltigkeit setzen", erzählt er mir und macht dabei dem ersten Fisch den Garaus. „Sich Piranhas nach London liefern zu lassen ist eine sehr kostspielige Angelegenheit und würde, wenn man den Fisch regelmäßig anbieten würde, einer ziemlichen Umweltverschmutzung gleichkommen. Aber manchmal kommt in uns einfach der Abenteurer durch." Woher er den Fisch bezogen hat, will mir Morales partout nicht sagen. Ich frage ihn mindestens vier Mal, doch mehr als ein freundliches Lächeln ist leider nicht drin für mich. Ich habe aber meine Hausaufgaben gemacht und weiß deshalb, dass solche Extrawünsche (für Freunde von Extrawürsten geht's hier weiter) schnell Hunderte von Euro kosten können. So oder so, ich würde heute das wohl teuerste Fischgericht meines Lebens serviert bekommen.

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Piranhas zu kochen ist gar nicht so einfach.

Die Fische sind winzig und es ist nicht viel Fleisch an ihnen. Darum bietet sich ein Ceviche schon mal nicht an. Kein Problem, meint Morales, also machen wir einfach ein Escabeche daraus—dazu müssen wir die Piranhas in Mehl wenden und salzen, anschließend braten und mit einer Sauce aus roten Zwiebeln, Chilischoten und Tomaten anrichten.

Aber vorher müssen wir noch den Fisch schuppen und ausnehmen. Während ich mich durch die Innereien des kleinen Wegelagerers durchschlage und ein glibberiges Organ nach dem nächsten rausziehe, schneide ich mich doch tatsächlich an einem seiner messerscharfen Zähne. Es fängt sofort an zu bluten. Das war er also, mein erster Kampf mit einem Piranha. Und ich habe ihn überlebt!

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Piranhas in der Pfanne.

Während ich mich um die Wunde kümmere, frage ich Morales, ob es in Peru normal ist, sein Essen eigenhändig zu erjagen. „Wir sprechen über ein sehr armes Land", antwortet er mit ernster Stimme. „Darum arbeiten wir mit einer Wohlfahrtseinrichtung zusammen, die sich an drei verschiedenen Standorten in Peru engagiert. Die Kinder vor Ort leben unter ärmlichen Bedingungen. Sie müssen die kalten Wintermonate in zusammengeschusterten Schuhen aus alten Autoreifen verbringen und damit drei Stunden bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit marschieren. In so einem Umfeld ist es nur natürlich, dass die Menschen noch echte Jäger und Sammler sind und so ziemliches alles essen, was sie in die Finger kriegen, wie etwa auch Piranhas."

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Der Fisch wird mit einem weich gekochten Ei und Chips aus Kochbananen serviert.

Nachdem der Fisch in heißem Pflanzenöl gebraten wurde, legt ihn Martin auf eine Holzschale mit Oliven, einem weich gekochten Ei und Chips aus Kochbananen. Plötzlich sehen die beiden Wannabe-Killer ziemlich handzahm aus. Wenn da nicht meine Schnittwunde am Finger wäre…

Und wie schmeckt Piranha nun? Na ja, nachdem es mir gelingt, ein wenig Fleisch vom Knochen abzukratzen, würde ich sagen, ein bisschen so wie Rotzunge.

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Das wohl teuerste Fish & Chips meines Lebens.

Fühle ich mich schlecht, einen Piranha gegessen zu haben? Nein. Fühl ich mich schlecht, einen Piranha gegessen zu haben, wohl wissend, dass er aus einem weit entfernten Teil der Erde stammt und Unmengen von Kerosin in die Luft geschleudert werden mussten, um ihn hier in London zubereiten zu können? Absolut. Andererseits habe ich in meinem Leben schon so viele Äpfel aus Neuseeland gegessen, dass der eine Fisch aus Peru den Kohl wohl auch nicht mehr fett macht (das mit den Äpfeln habe ich längst abgestellt, keine Sorge). Hat sich das Ganze aber geschmacklich gelohnt? Schwer zu sagen.

Und noch eine Sache: Neben seiner splattermovie-esken Blutrünstigkeit wird dem Piranha oft nachgesagt, dass sein Verzehr eine aphrodisierende Wirkung haben soll. Nun ja. Meine Hände stinken so gewaltig nach Fisch, dass der eine oder andere schlüpfrige Gedanke wirklich nicht ausbleiben kann.

Hier geht's zum Rezept: Piranha-Escabeche