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Schlachtung

Ist Halal-Schlachtung tiergerecht?

Während die muslimische Bevölkerung ist westlichen Ländern immer weiter ansteigt, wird die Debatte um die religiöse Schlachtung von Tieren weiter aufgeheizt. Wir stellten Dr. Temple Grandin die Frage, die am häufigsten im Zentrum von Halal...
Photo via Flickr user John Brian Silverio

Halal oder nicht: das ist hier die Frage. Letzte Woche wurde der Gründer der Midamar Corporation, ein Halal-Rindfleisch-Produzent aus Iowa, für 19 Kapitalverbrechen angeklagt, weil er angeblich falsch gekennzeichnetes Fleisch nach Indonesien und Malaysia exportiert hatte. In beiden Ländern ist die Mehrheit der Einwohner muslimisch—Indonesien hat die größte muslimische Bevölkerung der Welt—und beide halten sich an sehr strenge Importrichtlinien, um sicherzustellen, dass alles Fleisch, das ins Land gelangt, auch nach den muslimischen Vorschriften geschlachtet wurde. Midamar-Gründer Bill Aossey Jr. wurde beschuldigt, das für Südostasien vorgesehene Fleisch in einer Fabrik in Minnesota verarbeitet zu haben, die nicht den Standards dieser Länder entspricht. Er soll dann das Etikett geändert und Dokumente gefälscht haben, damit die Importeure den Eindruck bekommen, das Fleisch wäre regelkonform verarbeitet worden. Wenn er für alle diese Anklagepunkte verurteilt wird, stehen Aossey 246 Jahre im Bundesgefängnis sowie eine Strafe in Höhe von 4,75 Millionen US-Dollar (umgerechnet ca. 3,8 Millionen Euro) bevor.

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Der Midamar-Fall ist nur der jüngste einer ganzen Reihe von medial groß inszenierten Skandalen zum Thema Halal-Fleisch. Obwohl dieser aktuelle Fall zwar auf amerikanischen Boden gewachsen ist, stammen die meisten Nachrichten über Skandale aus Europa. Hier steigt die muslimische Bevölkerung stark an: von 29,6 Millionen im Jahr 1990 auf 44,1 Millionen 2010. Die Prognose für das Jahr 2030 lautet derzeit über 58 Millionen. Halal-Schlachthöfe werden also in Ländern wie Frankreich und Deutschland, in denen die muslimische Bevölkerung exponentiell angestiegen ist, ein wichtiges Geschäft werden.

Falsche Kennzeichnung mal beiseite, die am häufigsten gestellte Frage im Zusammenhang mit Halal-Fleisch lautet: Ist die Schächtung tiergerecht? In konventionellen Schlachthöfen werden Kühe, Schweine und Schafe zuerst mit einem Schlachtschussapparat betäubt—ähnlich wie die krasse Waffe von Javier Bardem in No Country for Old Men—der gewaltvoll den Kopf des todgeweihten Tiers trifft und es so bewusstlos macht. Auf diese Art soll dem Tier der Schmerz erspart bleiben, wenn es anschließend getötet wird. Bei der Halal-Schlachtung ist die Betäubung vor der Tötung aber umstritten.

Das Wort halāl bedeutet so viel wie „erlaubt". Das Gegenteil davon ist haram, also „verboten". Damit ein geschlachtetes Tier als halal gilt, muss es gesund sein und darf vor dem Tod nicht gelitten haben. Es muss von einem Gläubigen mit einem scharfen Schnitt durch die Kehle getötet werden. Der Name Allahs muss zum Todeszeitpunkt gerufen werden und die Todesursache muss Verblutung sein. Weil Muslime kein Blut zu sich nehmen dürfen, muss man das Tier komplett ausbluten lassen bevor es gekocht wird. Manche muslimische Behörden befürchten, dass es bei einem Schuss mit einem Schlachtschussapparat eventuell bereits vor dem rituellen Durchschneiden der Kehle zu einem Herzstillstand kommen könnte. Dadurch wäre das Fleisch nicht mehr halal. Halal-Schlachthöfe, die diese Ansicht vertreten, verzichten auf das Betäuben vor dem eigentlichen Tod. Wenn beim Durchschneiden der Kehle etwas schief läuft—wenn es nicht schnell genug passiert, nicht sauber genug oder die Halsschlagader und die Halsvenen nicht richtig durchtrennt werden—und das Tier langsam verendet, stellt sich die Frage, wie tiergerecht diese Art der Schlachtung wirklich ist.

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Grandin ist der Überzeugung, dass traditionelle Schächtung ohne Betäubung durchaus tiergerecht durchgeführt werden kann, aber nur dann, wenn alles perfekt nach Plan läuft.

„Das ist kein einfaches Thema", sagt Dr. Temple Grandin, die bekannte Autismus-Advokatin und eine der wichtigsten Experten zum Thema tierisches Verhalten. Grandin arbeitet als Beraterin für die Viehzuchtindustrie und hat mehrere Schlachthöfe entworfen, die darauf ausgerichtet sind, den Stress, den das Tier vor der Schlachtung empfindet, zu minimieren. Grandin ist der Überzeugung, dass traditionelle Schächtung ohne Betäubung durchaus tiergerecht durchgeführt werden kann, aber nur dann, wenn alles perfekt nach Plan läuft.

„Wenn das Tier ruhig gehalten und der Schnitt richtig angesetzt wird, ist es möglich", sagt sie. „Aber man wird ziemlich schnell ziemlich schlampig."

Um eine tiergerechte Schlachtung von Vieh sicherzustellen, setzt sich Grandin für die Verwendung von senkrechten Gerätschaften zur Bändigung ein, die das Tier ruhig stellen und einen sauberen, schnellen Schnitt durch die Halsschlagader der Kuh erleichtern. Sie wies aber darauf hin, dass solche Gerätschaften teuer sind und kleinere Schlachthöfe mit weniger Einkommen eher auf den Kauf verzichten werden.

„Es ist legal, eine Kuh an den Beinen aufzuhängen, um sie zu bändigen", sagt sie. „Wenn das gemach wird, ist kein spezielles Equipment notwendig."

Das ist laut Grandin das größte Problem der Halal-Schlachthöfe. Da es keine zentralisierte Behörde gibt, die die Bedingungen kontrolliert oder sich klar gegen oder für eine Betäubung vor der Schlachtung ausspricht, kann jede Fabrik über ihre eigene Vorgehensweise bestimmen. In den USA stehen konventionelle Schlachthöfe unter der Aufsicht des U.S. Department of Agriculture. Seit 1958 sind koschere und Halal-Schlachthöfe aber von der Aufsicht durch diese staatliche Behörde ausgenommen—nachdem beide Praktiken der rituellen Schlachtung als tiergerecht erklärt worden waren.

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„Im Prinzip geht es also um die Einstellung des jeweiligen Managers", der bestimmt, wie der Betrieb geführt wird und ob die Betäubung vor der Schlachtung erlaubt ist oder eben nicht, sagt Grandin.

Größere Schlachthöfe, die große Ketten wie McDonald's und Whole Foods beliefern, haben einen Ansporn, Kontroversen zu vermeiden und deshalb wenden sie oft sicherheitshalber die Betäubung an, um dem Vorwurf der Tierquälerei vorzubeugen. Kleinere Betriebe hingegen verzichten gerne mal auf den einen oder anderen Aufwand und somit auf die Betäubung oder die tiergerechte Bändigung, um ihren Profit zu schützen, sagt die Expertin.

„In den ganz kleinen Betrieben habe ich die schlimmsten Dinge gesehen. Sie variieren von gut bis zu ganz furchtbar."

Laut Dr. Najam Haider, einem Islam-Professor am Barnard College in New York, scheiden sich die muslimischen Geister zum Thema Halal-Schlachtung. Deshalb können sich Schlachthöfe auf der ganzen Welt unmöglich an universelle Praktiken halten, weil diese nicht existieren.

„Es gibt [in der muslimischen Gemeinschaft] keine Standardmeinung zum Thema Betäubung", sagt Haider. Er merkte an, dass die sunnitischen Muslime—die ungefähr 85 Prozent der Muslime weltweit ausmachen—„die Vorstellung der Betäubung geringschätzen". Zwei der einflussreichsten schiitischen Muslime haben eine unterschiedliche Meinung dazu, sagt er. Ali Al-Sistani, Iraks Großajatollah, ist dagegen, während sich Ali Khameini, der Oberste Rechtsgelehrte des Iran, sich dafür ausspricht. Mit dieser Spaltung der internationalen muslimischen Gemeinschaft wäre es beinahe unmöglich, irgendeine zentrale Behörde einzurichten, die die Praktiken in den Halal-Schlachthöfen kontrolliert.

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In vielen Ländern kann die Entsetzung über Halal-Praktiken leicht als oberflächlich getarntes antimuslimisches Gedankengut interpretiert werden.

In Europa waren die Diskussionen um Halal-Schlachtung besonders brenzlig. Die Schweiz, Norwegen, Island und Dänemark haben alle die religiöse Schlachtung ohne Betäubung verboten und in allen Fällen wurden die Regierung beschuldigt, die Verbote aufgrund von Vorurteilen gegenüber jüdischen und muslimischen Gemeinschaften verhängt zu haben.

„Es ist nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Thema", sagt Haider. In vielen Ländern kann die Entsetzung über Halal-Praktiken leicht als oberflächlich getarntes antimuslimisches Gedankengut interpretiert werden. Haider nannte Frankreich als Beispiel, wo im Februar 2012 eine Fernsehdokumentation über die französische Fleischindustrie zeigte, dass die Mehrheit der Schlachthöfe um Paris Halal-Methoden zur Schlachtung anwenden, weil das billiger ist, als einen Teil davon nach konventionellen Methoden zu schlachten. Diese Enthüllung sorge für eine wilde nationalistische Debatte, die wahrscheinlich am besten durch Einstellung der damaligen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen zusammengefasst wird, die behauptete, Frankreich werde von Heeresscharen einfallender Immigranten erdrückt.

„Französische Sekularität verlangt Assimilation", sagt Haider. Und wenn es für manche den Anschein hat, dass sich Immigrantengruppen in Frankreich und Europa nicht anpassen wollen—indem sie Praktiken aufrecht erhalten wollen, die sie „anders" machen—wird die Debatte über Halal-Schlachtung gefährlich nahe an der Grenze zum rassistischen Territorium geführt.

Auf einer täglichen Basis sind die Details der Halal-Schlachtung—und wie tiergerecht sie sind oder nicht—für die meisten Einkäufer eher unbedeutend, sagt Haider.

„Diese Probleme dringen nicht zum durchschnittlichen Einkäufer durch. Sie wollen zwar, dass das Fleisch halal ist, aber dabei denken sie nicht an die Betäubung", sagt er. „Die meisten Muslime sind sich dieses Problems gar nicht bewusst."

Anmerkung des Redakteurs: In der Originalversion dieses Artikels stand, dass der Gründer der Midamar Corporation, Bill Aossey Jr., für 19 schwere Straftaten angeklagt wurde, weil er „angeblich plante, Fleisch nach Indonesien und Malaysia zu exportieren, das nicht den Halal-Vorschriften entsprach". Aossey Jr. wurde jedoch angeklagt, angeblich falsch gekennzeichnetes Fleisch exportiert zu haben.