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Skandal

Zwei "Trinker" hacken Hartz IV – und die Bild dreht durch

Um den "Skandal" aufzudecken, wurde erst einmal observiert.

Ein Supermarkt in Berlin-Wedding, jemand sieht zwei Männer in dem Markt, macht Bilder von ihnen an der Kasse und draußen. Es scheint dem Beobachter nicht zu passen, was die beiden Trinker dort machen. Später steht in der Bild: Er (oder sie) hat eine "Masche" von "Jobverweigerern" beobachtet, die "offensichtlich der Trinker-Szene" angehören. Vor dem Markt schütten beide Männer zwölf Wasserflaschen aus, die sie gerade gekauft haben. Die Bilder landen bei der Bild-Zeitung, der Reporter der Zeitung schäumt: "Dieses Bild macht wütend!", denn es zeige, wie die beiden Wasser in Bier verwandeln. Der Bild-Reporter wähnt sich schon einem großen Sozialbetrug auf der Spur.

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Die Zeitung schreibt, einer der beiden sei im Anschluss wieder in den Supermarkt gegangen, habe das Pfand der zwölf Flaschen abgeholt, das macht drei Euro, und damit Bier gekauft: "29 Cent plus Pfand", rechnet der Bild-Reporter vor, fünf Dosen also. Damit ist die Beschattung der beiden "Trinker" erfolgreich gewesen, ein Skandal aufgedeckt.


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19 Cent kostet eine Flasche Wasser bei Kaufland, 2,28 Euro haben die beiden an Steuergeldern in den Boden geschüttet. Grund genug für die Zeitung, sie unverpixelt an den Pranger zu stellen. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass es sich um suchtkranke Hartz-IV-Empfänger handelt, die an Bargeld kommen müssen, weil ihnen das Jobcenter nur noch Lebensmittelgutscheine ausgibt. Nachgefragt hat allerdings niemand.

Die ganze Geschichte mit dem "Volkszorn"in der Bild | Screenshots: bild.de

Lebensmittelgutscheine werden nur verteilt, wenn Jobangebote abgelehnt werden oder wenn Arbeitslose anderweitig gegen Auflagen des Staates verstoßen. Darauf ist notiert, wofür sie eingelöst werden dürfen, "Alkohol und Tabakwaren" sind ausdrücklich ausgenommen. 2016 wurden gerade einmal 3,1 Prozent der Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen belegt. Das summiert sich allerdings: Seit 2007 hat das Amt deswegen fast zwei Milliarden Euro zurückgehalten. Aber die Bild rechnet vor: Wenn jemand, der alleinstehend ist, alle Jobangebote ausschlägt, bekommt er nur noch Gutscheine. Allerdings sind das etwa 200 Euro weniger als der normale Satz von 409 Euro, also nur noch 205 Euro.

Besonders hart getroffen werden Hartz-IV-Bezieher, die Suchtprobleme haben. Insgesamt gibt es 1,3 Millionen Alkoholabhängige im Land – aus allen Schichten. Interessiert die Bild aber nicht, für angebliche "Sozialschmarotzer" hat man dort wenig Verständnis. Der Artikel war gestern auf dem Premium-Platz ganz oben, in der Printausgabe immerhin auf Seite drei.

Dabei sind die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger schwer umstritten. Das Grundgesetz garantiert den deutschen Bürgern ein Existenzminimum und es ist fragwürdig, ob das bei Sanktionen noch gewährleistet ist. Die Chefin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher, bezweifelt das: "Es darf nicht sein, dass das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum immer wieder unterschritten wird."

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