So überwältigend kann Essen inszeniert werden
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Robert Harrison und Robbie Postma.

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Kunst

So überwältigend kann Essen inszeniert werden

Roh, irgendwie verstörend und gleichzeitig faszinierend: In dieser Fotoreihe wird ein ganzes Menü auf dem Gesicht eines Kochs serviert.

Die Fotoreihe MENU trägt den Untertitel „ein Essen durch die Augen eines Fotografen und eines Kochs". Doch das beschreibt das Projekt von Robbie Postma, dem Fotomodell und Koch, und Robert Harrison, dem Fotografen und Designer, nur ansatzweise. Beide arbeiten für J. Walter Thompson, eine Amsterdamer Werbeagentur: Postma ist dort Koch, Harrison arbeitet in der Kreativabteilung.

Mit einem Menü als Grundidee tobten sich die beiden auf Postmas Gesicht – beziehungsweise seinem ganzen Kopf als Leinwand – voll aus. Die Fotos sind bis ins kleinste Detail geplant, bei einigen hat es bis zu neun Stunden gedauert, ehe Robert überhaupt zur Kamera greifen konnte. Dieses MENU ist so ziemlich anders als alles, was du bisher als „Menü" kennst.

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Wir haben Postma und Harrison gebeten, uns mehr über den Entstehungsprozess zu erzählen und uns mitzunehmen in die surreale Welt von MENU.


MUNCHIES: Wie ist es zu diesem besonderen Projekt gekommen und wie war euer Verhältnis vor MENU?
Robbie Postma: Wir haben uns vor fünf Jahren auf Arbeit kennengelernt und uns sofort verstanden. Die ganze Zeit haben wir uns über Essen und coole Kunstprojekte unterhalten, die wir irgendwo gesehen hatten. Also dachten wir uns Wäre es nicht genial, wenn wir unsere unterschiedlichen Kenntnisse irgendwie kombinieren könnten, um etwas Neues zu schaffen? Das erste Shooting haben wir bei Robert zu Hause gemacht. Danach war uns sofort klar: Das ist es.

VEGETABLES. (Variety of carrots, radish and courgette.)

VEGETABLES – Karotten, Rettich, Zucchini

Die Porträts sind so detailliert und einzigartig – wie lange hat das „Make-Up" gedauert?
Robert Harrison: Durchschnittlich brauchten wir sechs Stunden für die „Maske". Wir wollten alles selbst machen und die Zutaten in den Mittelpunkt stellen. Robbie ist nach der Arbeit ins Studio gegangen, hat sich vor den Spiegel gesetzt und sich die Zutaten ins Gesicht geklebt. Dann kam ich, habe die Beleuchtung eingerichtet und Robbie noch geholfen, die Stellen, die er nicht erreichen konnte, vollzukleben – wir haben uns also ziemlich gut dabei kennengelernt. Wir wollten, dass die Fotos absolut echt sind, es sollte nichts nachträglich digital manipuliert werden. Das heißt also, dass wir je nach Shooting, nur eine begrenzte Anzahl von Fotos machen konnten. Bei WINE zum Beispiel hatten wir am Ende nur sieben Fotos, weil der Kleber irgendwann nicht mehr gehalten hat, nachdem Robbies Gesicht voll mit Wein war.

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Warum ist Robbie das Gesicht des Projektes geworden?
Robert: Er hat eine Glatze, tolle Augen und hatte keine Angst davor, sich auch mal schmutzig zu machen.

SEAFOOD – Tintenfischtinte, Hummer, Miesmuscheln, Makrelenhaut, Tintenfischsaugnäpfe, Seeigel und Schwertmuscheln

Warum habt ihr euch für unverarbeitete, einzelne Zutaten entschieden anstatt für komplette Gerichte?
Robbie: Wir wollten den Betrachter mit zurück zu den Wurzeln eines Menüs nehmen. Man könnte sogar sagen, dass wir ein traditionelles Menü auseinandergenommen haben und die unverarbeiteten Einzelelemente auf meinem Gesicht wieder zusammengesetzt haben. Die ganze Fotoreihe gleicht einem typischen Menü, es baut aufeinander auf. Zum Beispiel wird das Gemüse vor dem Fisch und der vor rotem Fleisch serviert.

Mich hat überrascht, dass eure Agentur einen Vollzeitkoch hat. Könnt ihr uns darüber etwas erzählen und welche Rolle Essen bei J. Walter Thompson Amsterdam spielt?
Robbie: Essen spielt eine zentrale Rolle in der Agentur, es ist ein Bindeglied für die Leute, die hier arbeiten. Jeden Tag sitzen alle bei einem hochwertigen Mittagessen zusammen, in den letzten fünf Jahren gab es nie dasselbe. Jeden Tag gibt es ein komplett neues Mittagessen. Essen ist aber auch eine ideale Leinwand für die Marken, mit denen wir zusammenarbeiten. Mit Essen kann man Firmen wirklich überraschen. Und sowas führt dann zu Projekten wie MENU. Essen hat also einen großen Einfluss bei J. Walter Thompson Amsterdam.

WINE – Gläser und Rotwein

Robbie, hat dein Kochstil die Herangehensweise an das Projekt enorm beeinflusst?
Robbie: Mein Wissen als Koch hat das Projekt definitiv geformt. Ich wusste genau, wie ein Menü aufgebaut ist und wie man mit den Zutaten umgeht. Das Gemüse sehr dünn zu schneiden, die Saugnäpfe des Tintenfisches nach außen zu stülpen, zu wissen, welche Stärkelieferanten gut zusammenpassen – solche Dinge weiß man nur als Koch. Außerdem richte ich seit mittlerweile 20 Jahren Gerichte an, ich habe also ziemlich viel Erfahrung mit Kompositionen. Allerdings war das das erste Mal, dass ich Essen auf meinem Gesicht angerichtet habe.

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MEAT – Holzkohle, Rauch und ein Dry-Aged-Steak

Einige Fotos sind auf den ersten Blick etwas verstörend, aber sie wirken immer natürlicher, je länger man hinsieht. War dieser Effekt beabsichtigt?
Robert: Ich wollte etwas Dunkles, etwas Verstörendes machen, aber gleichzeitig auch etwas Schönes. Ich wollte dieses „Wow"-Gefühl bei den Betrachtern auslösen. Ja, es sollte emotional, provokativ sein, man sollte darüber reden. Und ja, wie du sagst, dieses Gefühl, zweimal hinschauen zu wollen. SPICES zum Beispiel wirkt auf einem kleinen Bildschirm nicht so intensiv, aber im Großformat ausgedruckt kann man die Details beim Arrangement sehen, genauso wie die technisch-fotografischen Details.

SPICES – Vanille, Salz, Sternanis, Koriander, Muskat, Muskatblüte, weißer Pfeffer, Chilis, Kardamom, Zimt, und Curry

Hattet ihr Bedenken, als ihr die Zutaten für jedes Foto auf Robbies Gesicht arrangiert habt?
Robert: Wir haben mit Spezialkleber gearbeitet, der auch im Theater verwendet wird. Obwohl der Kleber speziell fürs Gesicht gemacht ist, hatten wir beim ersten Shooting irgendwie Angst, Robbies Augenbrauen mit abzuziehen, also haben wir diesen Bereich ausgelassen. Seine Brauen haben es größtenteils überstanden – sie sind nur etwas lichter. Das Schwierigste war wirklich, das Essen wieder runterzubekommen. Das Lösungsmittel für den Kleber hat Robbies Augen ziemlich gereizt. Und die Tintenfischtinte im Mund zu haben war auch nicht gerade ein Zuckerschlecken für ihn.

STARCH – schwarzer und weißer Reis, gelbe Erbsen, Borlotti-Bohnen Quinoa und Weizen

Gibt es ein Foto, das dich besonders fasziniert oder bei dem du vom Ergebnis überrascht warst?
Robbie: VEGETABLES. Wir dachten, das Foto sei nichts geworden. Auf dem Bildschirm der Kamera gefielen uns die Farben nicht so richtig und wir hatten nicht den Eindruck, dass es wirklich so eine intensive Wirkung hatte, wie wir uns erhofft hatten. Aber als wir es uns am nächsten Tag auf einem großen Bildschirm anschauten, waren wir ziemlich überrascht.

SWEETS. (White chocolate, dark chocolate and raspberries.)

SWEETS – weiße Schokolade, dunkle Schokolade und Himbeeren

Welche Botschaft vermittelt MENU?
Robbie: Diese Fotos zeigen die Liebe zum Handwerk. Man soll erkennen, dass hinter jedem Menü in einem Restaurant stundenlange Vorbereitung, Leidenschaft und Hingabe steckt – man kann nicht schnell tricksen. Das ist nicht einfach nur eine Abfolge von Gerichten, sondern ein durchdachtes und ausbalanciertes MENU.

COFFEE. (Six differently roasted burns of coffee beans.)

COFFEE – sechs unterschiedlich geröstete Kaffeebohnen