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Munchies

Sommeliers und DJs haben mehr gemeinsam, als du denkst

Wein kann manchmal etwas sehr Formelles und Elitäres an sich haben. Man spricht über Geschmacksprofile, die Tiefe von Aromen und irgendwelche tropischen Früchte. Das muss nicht so sein.

Nachdem er für Nuno Mendez beim The Loft Project und als Chefsommelier beim Roganic-Pop-up von Simon Rogan gearbeitet hatte, sehnte sich Aaron Jolley nach einer neuen, erfrischenden Einstellung zu Wein—ohne die Exklusivität und die geschwollenen Namen. Vor zwei Jahren eröffneten er und sein Bruder Adam Satow (ein DJ mit einer 15.000 Platten großen Vinyl-Sammlung) Winyl: eine Londoner Wanderbar mit einer von Musik inspirierten Weinliste und live DJ-Sets, die passend zu den Getränken zusammengestellt werden. Wenn die Londoner Probleme haben, „Ebenauer Grüner Veltliner" auszusprechen, können sie bei ihm einfach ein Glas Folk bestellen. Oder doch lieber einen schweren und vollmundigen Rotwein? Dann solltest du es vielleicht besser mit Soul probieren.

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Wein wird immer die älteren Generationen anziehen. Ich wollte aber die Aufmerksamkeit der Leute, die normalerweise Bier, Shots und Gin Tonics trinken. So entstand die gesamte Philosophie.

Als Pendler in London beobachtet man oft, wie die Leute ihre Kopfhörer in ihre iPods stecken und mit der Musik ihre Umgebung ausschalten. Wir sind ständig von Musik umgeben; fast jeder hat eine Meinung dazu und wenn wir Musik hören, die uns gefällt, fühlen wir uns wohl. Dieses Gefühl wollte ich mit Wein verbinden.

Wie ich den musikalischen „Vibe" eines Weins bestimme, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise nenne ich Prosecco „Pop", quasi als Lautmalerei, wenn man eine Flasche öffnet. Es ist auch unser populärstes Getränk, also ist die Verbindung ziemlich offensichtlich. Manchmal hat es mehr mit dem Geschmacksprofil zu tun. Wenn ich einen schweren, harzigen Bordeaux mit Charakter habe, dann nenne ich ihn vielleicht „Soul". „Smooth" wäre ein Pinot Noir, „Reggae" sind würzige Weine und ein „Bluegrass" hat vielleicht grasige Noten. Biodynamische, ungefilterte Weine hingegen sind „Funk" und ein Chablis wäre „Klassik".

Vinyl-Platten funktionieren ähnlich wie Wein. Genau wie es einen Weinverkäufer gibt, gibt es auch einen Vinyl-Verkäufer. Es ist etwas Greifbares, man kann es berühren und das Etikett ist wie die Plattenhülle. Ich betrachte Wein als ein multisensorisches Erlebnis: Wein ist greifbar, man riecht ihn, man schmeckt ihn—nur hören kann man ihn nicht.

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Genau da kommt die Musik ins Spiel. Sie macht das ganze Erlebnis zu etwas Besonderem. Bei uns im Winyl haben wir DJs, die ihre Sets live spielen. Sie verstecken sich aber nicht in irgendeiner Box hinter einem Pult, es ist viel mehr wie eine offene Küche. Die Leute wollen sehen, was vor sich geht, wie im Theater.

Als ich mit Nuno Mendez zusammenarbeitete, war Wein sehr formell. Man spricht über den Geschmack, über die Tiefe der Aromen und über tropische Früchte wie Granatäpfel. Wer aber noch nie einen Granatapfel gegessen hat, wird dieses Aroma auch nicht im Wein erkennen. Es ist definitiv etwas Elitäres, aber ich glaube nicht, dass es ein Schwindel ist. Irgendwie sind Fine Dining, Musik, Architektur oder die „Künste" im weiteren Sinne sowieso alle Schwindel, weil alles nur viel Rauch ist. Theater eben.

Ich habe einmal gelesen, dass man wissenschaftlich gesehen durch einen Kuss bestimmen kann, ob man chemisch zusammenpasst oder nicht. Man tauscht Speichel als eine Art Schutzmaßnahme aus, um herauszufinden, wie groß das Risiko ist, wenn man mit dieser Person eine intimere Beziehung eingeht. Das klingt ziemlich furchtbar, weil so nichts Schönes mehr an einem Kuss bleibt. Aber eigentlich ist genau diese Schönheit der Schwindel an einem Kuss. Wenn man Fine Dining, Musik oder Kochen mag, akzeptiert man das einfach.

Wenn man sich mit Wein beschäftigt, lernt man, eine Person zu lesen und man beginnt zu verstehen, dass man dieser Person nicht einfach nur ein Glas Merlot einschenkt. Man denkt über ihr Alter nach, sieht sich ihre Kleidung an, ob die Person raucht oder nicht—es gibt unzählige Faktoren, die einem dabei helfen, herauszufinden, was einer Person schmecken könnte und was nicht.

Wenn mich also jemand fragt: „Was können Sie empfehlen?",antworte ich: „Was mögen sie?". So ist es einfacher, auf einen grünen Zweig zu kommen, weil Namen die Leute abschrecken. Wenn eine Person nicht weiß, wie man einen Wein ausspricht, dann ist das für die meisten peinlich und das will ich vermeiden. Deshalb möchte ich, dass sie ein Glas Soul oder ein Glas Pop bestellen.

Wenn man gerade scharfe Chicken Wings gegessen hat, laktoseintolerant ist, einen Kaffee getrunken oder eine Zigarette geraucht hat, verändert sich der Geschmack komplett. Es gibt einfach so viele Dinge, die die eigene Erfahrung und den Geschmack beeinflussen—ein bisschen wie Musik.

Von Aaron Jolley, aufgezeichnet von Phoebe Hurst