Von den Besten lernen: Wie man ein guter Koch wird
Illustration von Justin Hager

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Kochen

Von den Besten lernen: Wie man ein guter Koch wird

„Wenn du nur Koch wirst, um berühmt zu werden, dann ist das der falsche Grund. Das wird sehr wahrscheinlich nicht passieren.“—Kochlegende Jacques Pépin spricht mit uns über die Veränderungen in der Restaurantwelt und was einen guten Koch ausmacht.

Jacques Pépin ist eine lebende Kochlegende. Schon im Kindesalter fing er an zu kochen.

Mit 13 ist er zu Hause ausgezogen und fand eine neue Heimat hinter dem Herd: Während seiner dreijährigen Lehre im Grand Hôtel De L'Europe in seiner Heimatstadt Bourg-en-Bresse wurde er in die hohe Kunst der französischen Küche eingeführt. Ein paar Jahre später hat er in Paris bei so legendären Restaurants wie La Rotonde gearbeitet und für renommierte Gäste wie Albert Camus, Simon Beckett und Simone de Beauvoir gekocht. Im Plaza Athénée lernte er, wie man die Gäste stilvoll bekocht, fast schon wie bei einem riesigen, üppigen Bankett im 19. Jahrhundert.

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Während seines Wehrdienstes war er persönlicher Koch für insgesamt drei französische Staatspräsidenten, auch für Charles de Gaulle. Später zog er in die USA und kochte bei Le Pavillon in New York. Ein Angebot, als Koch für John F. Kennedy zu arbeiten, schlug er aus. Stattdessen zog er es vor, bei Howard Johnson anzufangen.

In Amerika ist Jacques Pépin eine Berühmtheit. Wer Kochshows kennt, kennt Jacques Pépin: Genauso wie andere Größen wie Julia Child und James Beard hat er als TV-Koch den amerikanischen Geschmack neu definiert.

Mit 80 Jahren ist er nun einer der letzten noch lebenden Kochlegenden, die es geschafft haben, alle Herausforderungen der Küche zu meistern, egal ob Sterneküche, TV-Shows oder Kochen für hochrangige Persönlichkeiten. Seit 60 Jahren arbeitet er in der Branche—länger als jeder andere Koch heutzutage. Ich habe mich mit dem Küchen-Guru über seine Biografie, The Apprentice: My Life in the Kitchen, unterhalten und ihn gefragt, wie man ein guter Koch wird und was er über die heutige Kochwelt denkt.

MUNCHIES: Als ich dein neues Buch, The Apprentice, gelesen habe, dachte ich die ganze Zeit, ich stehe neben dir am Herd. Jacques Pépin:Meine Ausbildung zum Koch liegt schon lange zurück, das war 1949. Damals hatten wir kein Telefon, keinen Fernseher, kein Internet und keine Computer. Mein Kochstil hat sich nur wenig von der Generation meines Vaters oder Großvaters unterschieden. Meine 12-jährige Enkelin hat mein Buch gelesen und für sie war das wie eine Reise ins Mittelalter. Allein in den letzten 25 Jahren hat sich das Kochen grundlegend verändert.

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Du erwähnst auch, dass du damals als junger Koch viel durch Zugucken gelernt hast. Glaubst du, dass deine Entwicklung zum Koch auch etwas mit deinem Alter zu tun hatte? Ja, absolut. Seitdem ich 13 Jahre alt war, habe am besten durch Zugucken und Ausprobieren gelernt. Wenn ich den Koch fragte: „Aber warum?" sagte er oft nur: „Weil ich das so sage." Das war's. Ich nenne diese Art des Lernens auch „visuelle Osmose". Heute ist das komplett anders, egal ob ich Köche an der Boston University oder am French Culinary Institute in New York ausbilde. Sie sind durchschnittlich älter, haben eine universitäre Ausbildung und wollen wissen, warum sie bestimmte Dinge tun soll oder warum bestimmte Dinge so sind, wie sie sind.

Damals musstest du deinen Geschmack an das Restaurant anpassen. Heute wollen Jungköche Gerichte mit ganz persönlicher Note kreieren, die unbedingt anders sein müssen.

Im Plaza Athénée in Paris hast du unter Lucien Diat gearbeitet und das Konzept des „geschmacklichen Gedächtnis" kennengelernt, also wie man den Geruch, das Aussehen und den Geschmack verschiedener Gerichte eines Restaurants gedanklich abspeichert. Sollten heutige Köche sich diese Fähigkeit antrainieren und beim Kochen einsetzen? Auch das ist gar nicht so verkehrt. Es stimmt: Ich kann meine Augen schließen, du servierst mir ein Gericht aus der Zeit, als ich in die USA kam und ich sage dir sofort: „Das ist der Wolfsbarsch aus Le Pavillon!" Oder eben das Hummer-Soufflé aus dem Plaza Athénée. Im „geschmackliches Gedächtnis" speichern wir unsere Rezepte ab. Bevor ich in die USA kam, hatte ich keine Kochbücher oder Rezepte. Als ich dann für Howard Johnson gearbeitet habe, habe ich angefangen, alles aufzuschreiben und zu sammeln—das war etwas vollkommen Neues. Vorher hatte ich so etwas nicht. Auch um in einem Restaurant gute Arbeit zu leisten, muss man eine Art „geschmackliches Gedächtnis" entwickeln, damit man den Geschmack sozusagen visualisieren kann. Du bist immer auf der Suche nach einem speziellen Geschmack und damit der auch in einem großen Restaurant jeden Abend gleich ist, musst du immer etwas abwandeln. Es gibt immer kleine, oftmals tückische Veränderungen. Das spielt sich alles im Unterbewusstsein ab: Du schmeckst ab und passt an. Abschmecken und ändern. Immer wieder, bis du den perfekten Geschmack getroffen hast. Denn deine Zutaten sind jeden Abend unterschiedlich: Einmal hat das Fleisch mehr, einmal weniger Fett. Einen Tag kochst du mit Gas, dann wieder mit Strom oder in einem Kupfer- oder einem Aluminiumtopf. Dann ist die Luftfeuchte höher oder geringer. Oder du bist einfach gut oder schlecht drauf. Das sind kleine Veränderungen, daher musst du immer etwas anpassen, damit das Gericht auch gleich schmeckt. Das ist das Schwierigste am Kochberuf.

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Das klingt ziemlich einleuchtend. Die Branche ist heute komplett anders als noch zu deiner Zeit: Heute gibt es ja richtige Starköche. Im Buch sagst du, dass die Küchenkultur ursprünglich eine „anonyme Maschinerie" war. Du warst umgeben von unglaublich vielen guten Köchen, aber keiner stand im Rampenlicht. Was denkst du, wie ist das heute? Wie du sagst, es ist komplett anders. Auf den Köchen lastet heutzutage ein höherer Druck und damals musste man sich eben einfach anpassen. Wenn ich mit Thomas Keller, einem der besten Köche hierzulande, zusammenarbeite, dann will ich ihm nichts beibringen oder mich beweisen. Man sollte einfach zugucken, zuhören und versuchen, seine Vorstellung von Geschmack und Ästhetik zu verstehen und nachzuahmen. Du sollst etwas von ihm lernen, nicht andersherum.

Das machst du bei einem Koch für ein paar Jahre, dann bei einem anderen Koch und so weiter, bis du irgendwann unglaublich viel Wissen aufgesaugt hast—egal ob du derselben Meinung bist, was Geschmack oder Ästhetik betrifft. Wenn du das ein paar Jahre gemacht hast, kannst du dein Wissen zurückgeben, aber eben durch dein „geschmackliches Gedächtnis" gefiltert. Dann fängst du selber an zu kochen. Das passiert nicht bereits nach zwei Monaten in der Küche. Ich habe schon so oft von Köchen gehört „Hey, ich habe eine super Idee für ein Buch!" oder „Hey, das könnte eine tolle TV-Show werden"— und das nur weil andere Köche berühmt sind. Damit lastet eine große Last auf ihren Schultern, denn sie müssen irgendwie anders sein. Als ich im Plaza Athénée gearbeitet habe, konnte man nie herausschmecken, welcher der 45 Köche das Hummer-Soufflé gemacht hat. Und genau darum ging es: Du musstest deinen Geschmack an das Restaurant anpassen. Heute wollen Jungköche Gerichte mit ganz persönlicher Note kreieren, die unbedingt anders sein müssen. Einen solchen Druck hatten wir nicht, das gab es einfach nicht. Köche gehörten auch eher zu den unteren sozialen Schichten. Mütter wollten lieber, dass ihre Töchter einen Arzt oder Anwalt heiraten, aber auf keinen Fall einen Koch. Heute himmelt man uns an, das ist definitiv anders.

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Wenn du nur Koch wirst, um berühmt zu werden, dann ist das der falsche Grund. Das wird sehr wahrscheinlich nicht passieren.

Welchen Rat hast du für junge Köche? Auf jeden Fall solltet man sich aus den richtigen Gründen fürs Kochen entscheiden. Viele fragen mich nach Tipps, weil ihre Kinder Koch werden wollen. Ich sage dann immer: „Lasst ihn oder sie in einem Restaurant als Tellerwäscher, Kellner, Koch oder was auch immer arbeiten, um so hinter die schicken Kulissen blicken zu können!" Nach ein paar Monaten können sie dann für sich selbst feststellen, ob sie diesen Beruf lieben oder ob das doch nichts für sie ist. Wenn du gerne im Restaurant arbeitest, weil es dich erfüllt, weil du es liebst, für Menschen zu kochen und weil du dein Leben hier verbringen willst, dann werde Koch! Man kann eventuell auch berühmt werden—höchstwahrscheinlich aber eher nicht. Aber dann hat man sich auf jeden Fall für das Richtige entschieden und ist glücklich im Leben. Wenn du nur Koch wirst, um berühmt zu werden, dann ist das der falsche Grund. Das wird sehr wahrscheinlich nicht passieren.

Hasst du nach all den Jahren immer noch Artischocken? Oh ja. Ansonsten bin ich aber ein regelrechter Vielfraß. Setz mir irgendwas vor und ich esse es.

Es gibt diese perfekten Momente in der Küche. Viele Köche sagen, sie sind dann in einem „Flow", alles fügt sich einfach perfekt zusammen. Hast du das in all deinen Jahren als Koch jemals erlebt? Ja, auch mehr als einmal. An einen dieser Momente erinnere ich mich ganz genau: Der Gastrokritiker der New York Times, Craig Claiborne, wollte eine große Kochbuchreihe schreiben (Time-Life: Foods of the World) und bat mich und Pierre Franey für das Buch über typisch französische Küche um Hilfe. Ich habe dann in einem Studio gekocht, aber ich hatte keine Rezepte. Ich habe einfach nur gekocht. Ich sollte pommes soufflées machen und hatte keine Ahnung, was das war. Im Endeffekt nimmt man dafür Kartoffelscheiben, nicht einmal einen Zentimeter dick, die man in nicht zu heißem Öl kocht. Dabei plustern sie sich leicht auf. Dann kommen sie in sehr heißes Öl und die Kartoffel geht auf wie ein Ballon. Man macht 50 Stück und davon werden vielleicht 30 oder 40 gut. Das ist völlig normal. An diesem Tag habe ich gut 100 pommes soufflées gemacht und jede einzelne von ihnen war perfekt. Das ist mir noch nie zuvor passiert. Es war kein anderer Koch dabei, nur irgendwelche Leute, die sich Notizen machten, und die haben das nicht einmal mitbekommen und wertgeschätzt, weil sie dachten, dass ein berühmter Koch das einfach kann. Wenn so etwas passiert, wünschst du dir, dass noch ein anderer Koch dagewesen wäre, denn das wird dir so schnell nicht wieder gelingen.

Danke dir für das Gespräch!