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Meeresfrüchte

Die Garnelenindustrie hat ein Sklavenproblem—und es ist noch schlimmer als gedacht

Weitere Recherchen der Associated Press haben gezeigt, dass Restaurants und Supermärkte auf der ganzen Welt—inklusive deutscher Ketten—Garnelen verkaufen, die von Sklaven geschält wurden.

Die Garnelenindustrie hat ein Sklavenproblem. Das wissen wir spätestens seit der umfangreichen Recherchen des britischen Guardian vergangenes Jahr, die zeigten, unter welchen unmenschlichen Bedingungen Arbeiter in Thailand gezwungen werden, auf Fischkuttern zu arbeiten. Gewalt, Missbrauch, Drogen und sogar Totschlag waren Teil ihres Alltags. Schon damals war klar: Die größten internationalen Lebensmittelhändler—Walmart, Carrefour, Costco and Tesco—handelten mit diesen schmutzigen Waren. Bei verdeckten Ermittlungen durch die Associated Press (AP) Anfang des Jahres stellte sich heraus, dass Meeresfrüchte, die in Myanmar von Sklaven gefangen wurden, in die europäischen und amerikanischen Supermärkte gelangen.

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Doch nicht nur die Fischerei setzt Sklavenarbeit ein: Weitere aufwendige Recherchen der AP haben jetzt gezeigt, dass Restaurants und Supermärkte auf der ganzen Welt, inklusive scheinbar gewissenhafter und pflichtbewusster Konzerne wie Whole Foods, Garnelen verkaufen, die von Sklaven gepult wurden.

Die Garnelen konnten auf Verarbeitungsfabriken in Thailand rückverfolgt werden. Bei diesen „Fabriken" handelt es sich um nicht mehr als Baracken, in denen Kinder wie Erwachsene 16-Stunden-Tage unter furchtbaren Bedingungen arbeiten, ohne eine Möglichkeit, dem System zu entkommen. Whole Foods ist aber nicht der einzige Übertäter: die Garnelen wurden in allen 50 Bundesstaaten der USA entdeckt; Deutschland und andere europäische Staaten sollen ebenfalls betroffen sein.

Die Bezeichnung „Sklave" ist hier keine Übertreibung. Die Recherchen zeigten, dass die Arbeiter verprügelt, misshandelt, beschimpft und mit einer Zahl statt mit den Namen angesprochen werden, dass sie keine Krankenversicherung bekommen und ausgehungert werden. Mit Worten lässt sich die Situation kaum beschreiben.

Die Journalisten der AP begleiteten Arbeiter der Gig Peeling Factory, einer der Baracken eine Stunde nördlich von Bangkok, und beschrieben die Lage folgendermaßen: „In der großen Lagerhalle quellten aus den Toiletten Fäkalien und der grässliche Geruch von ungeklärtem Abwasser stieg aus einem offenen Abfluss gleich bei den Arbeitsplätzen hoch. Junge Kinder rannten Barfuß durch stickige Schlafsäle. Gesamte Familien arbeiteten Seite an Seite entlang der Chromstahltische, auf denen sich die Wannen mit Garnelen türmten."

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Jeder, der schon einmal Garnelen gepult hat, weiß, dass das absolut keinen Spaß macht. Das dann auch noch 16 Stunden pro Tag unter elenden Bedingungen zu tun, ist noch einmal etwas ganz anderes. Die Flucht ist das Einzige, an das die Arbeiter denken können, aber viele von ihnen wurden buchstäblich an die Gig Peeling Factory verkauft und können sich die Freiheit nicht wieder erkaufen, so der Bericht.

Der Lohn in diesen Baracken ist davon abhängig, wie viele Garnelen die Arbeiter pro Stunde pulen. Einer der Arbeiter, Tin Nyo Win, und dessen Frau sagten zu AP, dass sie etwa 175 Pfund Garnelen für umgerechnet gerade einmal 3,60 Euro pro Tag schälten, dabei aber täglich die Gewalt und Beschimpfungen des Managers ertragen mussten. Laut des Berichts waren in der Gig Peeling Factory 17 Kinder beschäftigt, die neben Erwachsenen „weinend Garnelen pulten an Arbeitsplätzen, bei denen die Farbe von den Wänden bröckelte und das salzige Wasser auf den glitschigen Böden stand". Die Arbeiter stehen um 2 Uhr morgens auf, die Kinder um 3 Uhr. Einige Arbeiter erzählten, dass sie in die Fabrik geschlossen wurden und, als sie versuchten sie entkommen, verfolgt und verprügelt wurden.

„Eine Frau, die im achten Monat schwanger war, erlitt eine Fehlgeburt auf dem Boden der Baracke und wurde gezwungen, vier Tage weiterzuarbeiten, während sie Blutungen hatte. Einem bewusstlosen Kleinkind wurde die medizinische Versorgung verweigert, nachdem es aus etwa 3,5 Metern Höhe auf einen Betonboden gefallen war. Eine weitere schwangere Frau entkam, wurde dann aber aufgespürt, an ihren Haaren in ein Auto gezerrt und mit Handschellen an einen ihrer Mitarbeiter der Fabrik gefesselt", schildert die AP die Lage.

Wir kontaktierten Whole Foods, um ihre Seite der Geschichte zu erfahren. Eine Vertreterin des Unternehmens, McKinzey Crossland, sagte zu uns, dass Whole Foods „Menschenrechtsmissbrauch absolut nicht toleriert". Als Reaktion auf die Recherchen, sagte sie, habe Whole Foods „die eigene Lieferkette untersucht—über unsere bereits vorhandenen Kontrollen der Verarbeitungsfabriken über Dritte hinaus, indem wir unsere eigenen Inspektionen vor Ort der Thai Union-Einrichtungen durchführen." Über das Ergebnis dieser Kontrollen sagte die Sprecherin: „Wir sind zuversichtlich, dass die Garnelen von Thai Union, die an Whole Foods geliefert wurden, nicht in illegalen Einrichtungen gepult wurden." In der Realität ist es aber sehr schwierig nachzuweisen, welche Garnelen tatsächlich aus den Baracken stammen, da sie beim Verpacken mit Garnelen aus regulären Betrieben vermischt werden.

Doch nicht nur amerikanische Supermärkte wie Whole Foods und Walmart sind betroffen: Auch in Deutschland stieß die AP bei ihren Recherchen auf Garnelen aus den fraglichen Baracken. Dazu sind bislang aber noch keine genaueren Details bekannt.

Angesichts des Ausmaßes des Problems, das die AP aufgedeckt hat, bleibt nur zu hoffen, dass die Reaktionen von Unternehmen wie Whole Foods erst der Anfang einer Vielzahl an Maßnahmen sind, um dieses Problem im System zu bekämpfen. Wie ein Arbeiter, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt wird, so passend sagt: „Manchmal wenn wir arbeiten, flossen uns die Tränen die Backen hinunter, weil es so ermüdend war, dass wir es nicht mehr aushielten. Wir weinten, aber wir schälten weiter Garnelen … Ohne Pause. Ich finde, die Leute, die die Garnelen essen, die wir wie Sklaven schälen, sind tragen Mitschuld."