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Bier

Das halluzinogene Bier der Schamanen—ein Selbstversuch

Bierbrauer verwendeten alle möglichen halluzinogenen Pflanzen für ihre Biere. Ob die dann tatsächlich high machen, davon wollte sich unser Autor selbst überzeugen.

Fast alle Biere haben eine Zutat gemeinsam: ein kleines grünes Pflänzchen namens Hopfen. Die pinienzapfenförmigen Knospen des kletternden Humulus lupulus verleihen jedem Bier dieser Welt den bitteren Geschmack. (Er ist außerdem der Cousin von Cannabis.) Die Vorstellung, ein Craft Beer ohne Hopfen zu trinken, ist besonders abwegig, aber uralte Brauereien verstärkten früher den Geschmack ihrer Waren mit allem, was sie finden konnten.

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In Schottland wurde beispielsweise Heidekraut verwendet, in Norwegen Wacholderbeeren, in Ägypten Kamille und in Vermont Kiefernadeln. Wenn Hopfen nicht wuchs, wurde einfach etwas anderes verwendet. Außerdem dachten die Leute bis vor gar nicht so langer Zeit, dass Hopfen giftig ist. Die mittelalterliche Äbtissin und christliche Botanikern Hildegard von Bingen schrieb, dass Hopfen „nicht sehr nützlich ist". Sie „macht die Seele der Menschen traurig und belasten seine inneren Organe." Bevor die Pflanze für die Herstellung von Extra Special Bitters und IPAs verwendet wurde, hassten die Briten Hopfen—gehopftes Bier, spottete ein Autor „macht den Mann fett und bläst seinen Bauch auf, wie man an den Gesichtern und den Bäuchen der Niederländer erkennen kann." (Ironischerweise wurden die Niederländer zu einem der größten Importeuere, nachdem Hopfen in der britischen Bierbrauerei Einzug gefunden hatte.)

Aber wieso sollte man Hopfen überhaupt verwenden? Kurze Begründung: schales Bier. Die bitteren Öle im Hopfen enthalten sehr viele konservierende Chemikalien, die das Bier frisch halten und es vor der Verunreinigung durch Bakterien bewahren. Als sich Bier von einem selbstgebrauten Erfrischungsgetränk zu einer internationalen Ware entwickelte, war unverdorbenes Bier ein absolutes Muss und somit verschwanden weniger konservierende Kräuter wie Beifuß und Wacholder mit der Zeit.

Alternative Kräuter und Gewürze wurden nicht nur aus Bequemlichkeit verwendet. Manche hatten magische Kräfte und Brauer verwendeten sie, um aus ihren Getränken nicht nur Bier, sondern Medizin und eine Pforte in die spirituelle Welt zu schaffen. Hopfen, beispielsweise, wirkt beruhigend. (Versuch es mal mit einer Tasse Hopfentee bevor du ins Bett gehst oder schlafe mit einem Säckchen Hopfen unter deinem Kissen.) Andere Kräuter wie Teufelsapfel, Beifuß oder Sumpfporst haben die Wirkung eines Schmerzmittels, können Träume erweitern und halluzinogene Effekte hervorrufen.

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Die Ägypter (und später Ärzte im Mittelalter) machten sich den Rauch von brennenden Bilsenkrautsamen zunutze, um Zahnschmerzen zu heilen. Einige nordische Schamanen verwendeten Bilsenkraut (und eine Opferjungfrau—„sie lassen sie die Pflanze mit dem kleinen Finger der rechten Hand ausgraben", berichtete ein Anthropologe), um Stürme heraufzubeschwören. Die Götter bevorzugten sehr wahrscheinlich die Jungfrau, das Bilsenkraut war für die Schamanen. „Die Einnahme verursacht auditive Halluzinationen, die dem Geräusch des Regens nahe kommen."

Wenn das Kraut mit Bier eingenommen wird, ist es nicht unbedingt tödlich, aber nahe dran. Bilsenkraut enthält die gleichen Tropan-Alkaloide wie die tödlichen Nachtschatten und Teufelsapfel, in minimal geringerer Konzentration. „Es bringt das Nervensystem gewaltig durcheinander", schreibt William Boericke in seinem Werk Materia Medica. Betrunken vom Bilsenkrautbier beschäftige er sich mit „dem perfekten Bild des Wahns. […] Unscheinbar und unanständig in ihrem Verhalten, ihren Gesten und ihrem Ausdruck. Sehr redselig und besteht darauf, sich zu entkleiden oder ihre Genitalien zu entblößen." (Trotzdem war Bierbrauen mit Bilsenkraut noch so verbreitet, dass Pilsen, eine der ersten Bierhauptstädte Europas, ihren Namen an die Bezeichnung des Krauts anlehnte.)

Auf einer frühen Bierbrauereistätte in Skara Brae, Schottland, fanden Archäologen Rückstände eines Biers, das mit Bilsenkraut, Schierling, Mädesüß und Nachtschatten hergestellt wurde. Bilsenkraut ruft scheinbar ein Gefühl des Fliegens hervor und war deshalb eine häufige Zutat in den Zaubertränken, die Hexen zum Fliegen verhelfen sollten. Nachtschatten befördert dich in ein halluzinogenes Delirium. Es kam auch während der Inquisition zum Einsatz, um Hexen durch Folter zu einem Geständnis zu zwingen.

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Es gab aber noch potenteres Bier. Mutterkornpilze, beispielsweise, sind extrem wirkungsvoll. Einige nordische Bierbrauer fanden an diesem schmarotzerischen Pilz mit dem lateinischen Namen Claviceps purpurea Gefallen, der auf verfaulter Gerste und Weizen wuchs. Archäologen fanden die verräterischen, aufgeblasenen, blasslilafarbenen Körner in den Därmen von vergrabenen Moorleichen. Der Pilz enthält zum Teil die gleichen chemischen Inhaltsstoffe wie LSD, was wilde Halluzinationen hervorrufen kann und den Konsumenten tanzen lässt. Die Ärzte nennen es „konvulsiver Ergotismus." Die schlechte Form davon—als gangränöser Ergotismus bekannt—verursacht Schmerzen im Unterleib, Krämpfe, ein Gefühl von brennenden Gliedmaßen, Antoniusfeuer genannt, und führt schlussendlich zum Tod.

Bierbrauer ware gleichzeitig Schamanen und deshalb für diesen potenten Apothekergarten zuständig. Sie waren nicht nur Heiler oder Priester, sondern Vermittler, Übersetzer zwischen der physischen und der spirituellen Welt. „Der Schamane ist zugleich Heiler und Hexenmeister, Mensch und Gott, Mensch und Tier, männlich und weiblich", erklärt der Ethnograf Piers Vitebsky in seinem Ratgeber über schamanische Glaubenssysteme auf der ganzen Welt. Der Schamane war ein Weichensteller und Bier war sein Schlüssel zu einer anderen Welt. Die schamanischen Biere waren sehr stark mit ihrer Herkunft verbunden—sie wurden aus dem hergestellt, was verfügbar war und was gerade saisonal erhältlich war—aber sie waren auch ein Pfad in eine andere Welt; das, was Ethnografen als Entheogen bezeichnen. Dieses Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Gott im Inneren schaffen". Ein Entheogen ist eine Droge, die in einem religiösen Kontext verwendet wird und als Werkzeug oder Pfad zu einem mystischen Verständnis der heiligen oder spirituellen Dimension dient. Biere wie diese bringen uns unseren Trinkkameraden, aber auch den Pflanzen, dem Ort, den Jahreszeiten und dem Unbewussten näher.

Ich fragte mich, ob ein solches Gebräu auch in unserem modernen Zeitalter etwas taugen kann und probierte es deshalb selbst aus: Bilsenkraut fühlte sich als ersten Schritt etwas zu gewagt an und Mutterkorn würde ich auf gar keinen Fall probieren. Also entschied ich mich für Beifuß (Artemisia vulgaris), der mit Salbei verwandt ist, nur stärker und Wermut (Artemisia absinthium) ähnlich ist, nur milder. Berichten zufolge soll es stark anregend auf Träume wirken. Indigene Völker in Kalifornien verbrannten es als heilenden Weihrauch. Eine Dosis Beifuß-Bier brachte mich zwar nicht zum Fliegen, aber sorgte zumindest für einen schönen, luziden Schlummerschlaf. Das Beste daran ist, dass es sogar in hohen Dosen scheinbar nicht tödlich ist. Wie ein anachronistischer Heimbierbrauer mir empfahl, „Belasse es rein, sorge für viel Alkohol und spare nicht mit dem Beifuß!"

Also ging ich in den Hippie-Supermarkt und kaufte mir eine Tüte voll von diesem Kraut. Zu Hause braute ich ein normales Pale Ale und ließ es mit ein paar Unzen der flaumigen, olivgrünen Blätter und Stiele ziehen. Er roch furchtbar—nach widerlichem, süßlichen Weihrauch—also vermischte ich es mit einer Handvoll Lavendel, die ich auf dem Weg nach Hause gepflückt hatte. Ich ließ das Gebräu eine Woche lang zum Fermentieren in einem zweckentfremdeten Cidre-Krug, dann noch eine Woche in Flaschen, damit Kohlensäure entstand und dann war es endlich Zeit für die Kostprobe.

Ich schenkte mir ein Glas ein—ein bisschen süß (Vergiss den Lavendel nächstes Mal, dachte ich mir), aber nicht schlecht. Ich schenkte mir noch ein Glas ein. Und noch eins. Ich flog zwar nicht, aber ich sank immer tiefer und tiefer in meine Couch bis … ich von einem erfrischenden, aber enttäuschend traumlosen Schlaf aufwachte und das ganz ohne Kater. Genau das könnte das Geheimnis der Schamanen sein. Der Beifuß spielte keine Rolle. Das Bier selbst wirkte wahrscheinlich mehr als der Beifuß und der Löffel Zucker war wahrscheinlich wirksamer als das Kastoröl, das er enthielt. Das eigentliche Zauberelixier ist also der Alkohol, dachte ich mir.