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Merde! Im chinesischen Little Paris ging einiges in die Hose

Im chinesischen „Little Paris" wurde an fast alles gedacht—sogar an den Eiffelturm. Nur wo sind die Menschen?
All photos courtesy of the author

Die chinesische Stadt Tianducheng, ein paar Autostunden von Shanghai entfernt, ist eine Art Little Paris im Reich der Mitte. Oder—besser gesagt—soll es sein. Darum darf auch ein Eiffelturm nicht fehlen, der hier immerhin stolze 108 Meter misst (das Original kommt auf 324 Meter). Aber hey, auf die Größe kommt's ja Gott sei dank nicht an. Außerdem locken schicke Gebäude im typisch Pariser Haussmann-Stil, Bronzestatuen griechischer Götter und Göttinnen und westlich angehauchte Brunnenanlagen.

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Das Ganze könnte vielleicht sogar ziemlich überzeugend sein, wenn, ja wenn die Stadt nicht so ausgestorben wirken würde. Denn nur ein kleiner Teil der Wohnungen ist vermietet. Die Straßen sind fast menschenleer. Außerdem sind die Springbrunnen abgeschaltet. Und das Café mit dem schönen Namen Cristina? Alles Fake und Fassade. Die Stadt wurde für eine Milliarde Dollar aus dem Boden gestampft, um Wohnraum für bis zu 10.000 Menschen zu schaffen. Bisher kamen aber nicht einmal 2.000.

Geisterstädte dieser Art sind keine Seltenheit in China, wo Stadtentwickler gerne mal mit viel zu rosigen Wachstumsprognosen hausieren gehen. Während ich durch die Straßen wandere, höre ich weder das zugegeben nervige Dauerhupen, noch sehe ich irgendetwas von dem geschäftigen Treiben einer typischen Stadt in China. Das Einzige, das ich überhaupt höre, ist das entfernte Dröhnen vom nervtötenden „Gangnam Style".

Ziemlich eigentümlich das Ganze. Aber es sollte noch komischer werden.

Im schlossähnlichen Tianducheng Resort ist das Provence Restaurant untergebracht, das einzige französische Restaurant in dieser besonders frankophilen Stadt. Welcome to Little Paris! Da ich vor einiger Zeit mal in Frankreich gelebt hatte, musste ich natürlich unbedingt dorthin.

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Im Provence wurde—mit viel Wohlwollenfür französisches Flair gesorgt. Gleichzeitig war es aber immer noch ein typisch chinesisches Restaurant samt LED-Leuchtstoffröhren an der Decke und Kellnerinnen in liebloser, uniformähnlicher Einheitskleidung.

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Dafür war der Service wenigstens großartig. Aber ich vermute, dass man das auch erwarten kann, wenn man bedenkt, dass ich—trotz Mittagszeit—der einzige Gast war. Mir wurde ein iPad gereicht—die Speisekarte des Restaurants—und während ich so hin und her scrollte, um mir einen Überblick über das Essensangebot zu verschaffen, schaute mir die eine Bedienung die ganze Zeit über die Schulter und gab mir unentwegt Empfehlungen. Hinter ihr standen noch drei weitere Schaulustige im Gewand von Kellnern. Endlich mal VIP sein, yeah!

Das Essensangebot war übrigens keinesfalls französisch, sondern erinnerte vielmehr an ein besseres chinesisches Restaurant: Entenzunge, verschiedene Fischsuppen, Hotpots mit Rinder- und Schweinefleisch (köstlich!), gebratenes Gemüse mit Nudeln sowie Delikatessen wie Seegurken und Haifischflossen. Es erschienen aber auch ein paar westliche/französische Gerichte auf meinem schmucken Display wie etwa gegrillte Jakobsmuscheln oder Foie gras, die leider aus war (bei dem Andrang eigentlich kein Wunder…). Und Brathähnchen, das echt gut schmeckte, auch wenn es samt Füßen serviert wurde. Fazit: Das, was ich probiert habe, war echt lecker, wenn auch nicht wirklich französisch.

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Nachdem ich fertig war, wollte ich wissen: „Haben Sie Brot?"

„Was?", fragte mich die Kellnerin entsetzt.

Zugegeben war das ein Test. Ich war mir schon vorher recht sicher, dass Little Paris so ziemlich nichts mit dem Original zu tun hatte. Jetzt brauchte ich nur noch eine letzte Bestätigung. Denn in Frankreich musst du nicht nach Brot fragen. Es wird dir selbstverständlich zum Essen gereicht. Köstlich schmeckendes Baguette in einem rot-weiß karierten Brotkorb. Nicht aber so im Restaurant Provence, wo die verwirrte Kellnerin angesichts solch einer verrückten Extrawurst gleich den Geschäftsführer herbeirufen muss. Am Ende bekam ich dann doch noch mein Brot, eigenhändig und mit großem Tamtam vom Chef gereicht. Vier Scheiben Toast. Très authentique!

Man kann aber wohl einem Restaurant—irgendwo in der Nähe von Hangzhou—keinen Vorwurf dafür machen, keine echte französische Cuisine anzubieten. Vielmehr sind es die Bauunternehmer, die sich folgende Sinnfrage stellen sollten: Warum habe ich in einem dünn-besiedelten chinesischen Vorort ein Möchtegern-Paris errichten lassen? Und warum zieht dort niemand hin?

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Autorin