In Gaza wird um’s Überleben gefischt

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Fischerei

In Gaza wird um’s Überleben gefischt

In den 1990er Jahren konnten palästinensische Fischer bis zu 20 Seemeilen aufs offene Meer fahren und alle möglichen Meeresfrüchte fangen. Die Spannungen zwischen der Hamas und den Israelis haben aber dazu geführt, dass sie sich nur in maximaler...

Als die Sonne langsam über dem östlichen Mittelmeer in der Stadt Gaza aufgeht, wechseln der Fischer Feres al-Hessi und seine Neffen ihre Netze für den zweiten Durchgang an diesem Morgen. Der erste war nicht besonders erfolgreich und alles, was ihnen jetzt noch bleibt, ist die Hoffnung auf mehr Glück beim zweiten Mal. Die Verantwortung lastet schwer auf al-Hessis Schultern. Er muss mit seinem Einkommen das Benzin für das kleine Boot bezahlen und seine Familien und die Gemeinschaft ernähren.

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Fischer Feres al-Hessi

Bei den Gesprächen zwischen der Hamas und Israel in Kairo war einer der Hauptstreitpunkte, den Fischern mehr Platz zu geben, um ihnen zu ermöglichen, mehr und vor allem mehr verschiedene Arten zu fangen. Die Hamas verlangt, dass Fischer bis zu 12 Seemeilen von der Küste ins offene Meer fahren dürfen. Bisher dürfen sie nur ungefähr eine Seemeile weit hinaus. Wenn die israelische Marine sie jenseits des Limits erwischt, werden die Fischer scheinbar festgenommen oder erschossen.

Vor dem heimtückischen Konflikt, der einen Monat lang andauerte, konnten manche Fischer bis zu fünf Seemeilen hinaus, aber mit jeder Spannung zwischen Israel und der Hamas wird es weniger.

Doch al-Hessi weiß, dass er weiter machen muss. Sieben Tage die Woche fährt er mit seinem Boot aufs Meer hinaus auf der Suche nach Fischen, die Hauptnahrungsquelle im Gazastreifen. Durch die geringe Distanz von der Küste, in der sie Fischen dürfen, fangen sie nur Sardinen. Manchmal schwimmen größere Fische ein bisschen näher an die Küste, aber das kommt eher selten vor. Und jeder Fischer da draußen kämpft um denselben kleinen Bestand.

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Fischerboote im Hafen der Stadt Gaza

Als wir mit al-Hessis Boot ablegen, wird die Sonne immer heißer und heller. Die Fischer sind barfuß und auf dem kleinen Schiff befinden sich haufenweise alte Fischnetze und Fischinnereien. Auch andere Fischer drehen gerade ihre morgendlichen Runden. Es herrscht eine freundliche Rivalität, was oft dazu führt, dass sie sich gegenseitig in die richtige Richtung lenken. Sie werden aber auch versuchen, ein Feld von Sardinen zu fangen, bevor der nächste Fischer kommt. Die Boote sammeln sich alle in den gleichen Gebieten in unmittelbarer Nähe zur Küste an. Manchmal „schlafen die Fische" auch, wie Fares' Neffen gerne sagen, und es gibt nichts zu fangen.

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Nach einigen Stunden auf dem Meer—auch bei der zweiten Ausfahrt erfolglos—wirft al-Hessis Crew die Netze zwei Mal aus, als ein allerletzter Versuch, die Fische zu erwischen, die sie unter der Wasseroberfläche nicht sehen können. Sie haben Fische beobachtet, gewartet und sie gejagt.

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al-Hessi und seine Fischer-Crew

Ihre ganze Ausbeute besteht aus einem Eimer kleiner Sardinen, einem etwas größeren Fisch und einer Krabbe, die sich im Netz verfangen hat. Die Krabbe lassen sie wieder frei.

Vor dem Krieg, sagt al-Hessi, brachten sie ihren Fang auf den Markt, wo Händler mit ihnen um ihre Fische feilschten. Diese wiederum verkauften die Fische an Restaurants oder private Kunden. An guten Tagen, wenn sie einen großen Fang hatten, verdiente al-Hessi bis zu 750 Euro. In letzter Zeit sind es kaum noch 75 Euro. Das reicht gerade mal für den Sprit für das Boot, aber nicht für Essen für seine Familie.

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Fisch mit einem Sardinenfang

Der Markt hat sich verändert und die Fischer haben nichts mehr zu verkaufen. Al-Hessis Neffen nehmen die wenigen Fische, die sie gefangen haben und bringen sie direkt zu einem Händler, der für diesen kleinen Fang auch bezahlen kann. Für die Familie bleiben keine Sardinen übrig.

Wir folgen al-Hessi zu seinem Zuhause, das sich nur einige Kilometer vom Hafen entfernt befindet. Ein leerer Korridor führt in einen offenen Raum—einfach, sauber und klein mit Matratzen auf dem Boden, einigen Gartenstühlen und einem Fernseher, auf dem im Hintergrund die Nachrichten der Hamas über den Bildschirm flimmern.

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Photo by Ashley Gallagher

Der größte Fang des Tages für diesen Fischer.

Em-Abed al Hessi, Fares' Ehefrau, sagt, sie hasse die kleinen Fische, aber es gibt nichts anderes, also essen sie sie trotzdem. Fares kommt nach Hause und seine Frau hat Falafel und Hummus für ihn zubereitet. Das ist nicht viel, aber nach einem Morgen auf dem Wasser und unter der prallen Sonne ist er dafür dankbar. Sie bietet uns Plastikstühle an, bringt uns Tee und lächelt stolz, als ihre Kinder verstohlen um die Ecke kucken und kichern, als sie die Ausländer in ihrem Wohnzimmer sehen. Das Paar erzählt uns, dass die schon früh heirateten und sechs Kinder haben. Em-Abed erzählt uns, dass sogar die Kinder traurig sind, wenn ihr Ehemann nicht genügend Fisch nach Hause bringen kann und es nicht viel zu essen gibt. Wenn sie jetzt ein paar Fische hätte, würden sie uns zeigen, wie sie sie zubereiten.

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Die Veränderungen im und auf dem Wasser der letzten 20 Jahre haben enorme Auswirkungen auf al-Hessis Leben. In den 1990ern konnten palästinensische Fischer bis zu 20 Seemeilen aufs Meer hinaus und fingen dort alle möglichen Meeresfrüchte. Heute ist die Situation aber ganz anders—und der Konflikt zwischen Israel und der Hamas hat die Möglichkeiten der Fischer noch weiter eingeschränkt.

Es ist kein einfaches Leben. Al-Hessi sagt, wenn er weiter aufs Meer hinaus fahren dürfte, könnte er größere Fische mit seinem größeren Boot fangen und so für mehr finanzielle Sicherheit für seine Kinder sorgen. Sein Gesichtsausdruck ist bittersüß. Fares al-Hessi kennt nur ein Leben als Fischer. Er hat die letzten 20 Jahre auf einem Boot verbracht, wie alle Generationen seiner Familie vor ihm. So schwierig es auch sein mag, er und seine Frau haben die Hoffnung, dass die Verhandlungen zwischen der Hamas und den Israelis erfolgreich verlaufen, damit sie ihren Kindern alles bieten können. Bis es soweit ist, geht die Sardinensuche weiter.