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Gentrifizierung

So denken Hiltl-Gäste über die Gentrifizierung der Langstrasse

Für manche ist das Hiltl in Zürich das perfekte Symbolbild der Langstrassen-Gentrifizierung, für andere bloss ein Ort fürs Mittagessen.
Foto von der Autorin (bearbeitet)

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.

Die Gentrifizierung der Langstrasse ist in vollem Gange und das gibt regelmässig Stoff für Debatten: Die einen freuen sich bei der Quartieraufwertung über die neuen Läden und Gastrobetriebe, die der nachtaktiven Feiermeile auch tagsüber ein hübsches Gesicht verpassen sollen. Andere aber kritisieren die mit der Gentrifizierung einhergehenden Nebenwirkungen: höhere Mieten und der daraus resultierende Wegzug alteingesessener Quartier-Bewohner, die vor allem aus sozial benachteiligten Menschen bestehen.

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Das perfekte Symbolbild der Gentrifizierung ist in diesem Quartier Zürichs für manche das Vegi-Restaurant Hiltl: Ein vermeintlich hipper Gastro-Betrieb am Puls der Zeit, der vor allem bei gut verdienendem Klientel super anzukommen scheint, nistet sich im beliebten Langstrassen-Quartier ein. Ein Quartier, in dem Prostitution, Drogenhandel und Obdachlosigkeit seit Jahrzehnten (halbwegs) friedlich neben feierwütigem Partyvolk und legalen Hanf-Shops koexistieren konnte.

Sechs Monate nach der Eröffnung, bei der es auch zu einer etwas anderen Demonstration kam, wollen wir wissen, ob und wie die Kombination aus Langstrassen-Charme und Health-Food-Tempel nun funktioniert. Wie isst es sich in einem Restaurant, das offenbar so sehr gehasst wird, dass an dessen Fassade immer wieder Farbanschläge oder Vandalismus verübt werden? Und was sagen eigentlich die Hiltl-Gäste selbst zu den Gentrifizierungsvorwürfen, mit denen Vegi-Papst Rolf Hiltl immer wieder konfrontiert wird?

Marcel (24)

MUNCHIES: Findest du das Hiltl passt hier an die Langstrasse?
Marcel: Anfangs war ich skeptisch, aber sie haben sich hier gut integriert, finde ich. Es sieht aus wie jeder andere Hipster-Schuppen, der neu aufmacht.

Warum warst du skeptisch?
Ich wohne in der Nähe und hab natürlich alles mitgekriegt: Vom Farbanschlag auf die Baustelle bis hin zu den Besoffenen, die sich da mal vor die Tür gelegt hatten. Da fragt man natürlich nach, warum so eine Aufregung darum gemacht wird.

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Und kannst du die Aufregung verstehen?
Klar! Das Haus, in dem ich wohne, soll bald saniert werden. Ich weiss nicht, ob ich mir dann die Miete noch leisten kann. Ich versteh also jeden, der sauer ist, dass die Aufwertung der Langstrasse der Grund für den Wegzug ist. Man will ja nicht gehen, bloss weil alles schöner wird. Aber ich kann mir so weder das Schöne noch das Wohnen an sich leisten. Das nervt gewaltig. Das Problem am Hiltl festzumachen ist aber kreuzfalsch.

Was schlägst du denn stattdessen vor?
Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Einerseits hätte ich gerne bezahlbaren Lebensraum in einer attraktiven Gegend der Stadt, andererseits find ich es auch geil, wenn meine Fenster dicht sind und ich nicht unnötige Heizkosten verursache. Offensichtlich haben Vermieter aber keine Skrupel und treiben den Mietpreis in die Höhe, sobald sie ein Haus sanieren, das sowieso saniert werden muss. Das ist die eigentliche Frechheit und es geht ja den Läden und Restaurants hier auch nicht anders. Die zahlen mittlerweile ja auch horrende Mieten.

Sollte man dann nicht eher an den Hauseigentümern und Vermietern der Langstrasse Kritik üben?
Absolut, aber ich glaube deren Macht ist zu gross, als dass sich die Leute wirklich wehren können. Wenn du denen zu aufmüpfig bist, werfen sie dich halt aus der Wohnung. Die kennen da keine Skrupel. Das ist Freunden von mir passiert. Denen konnte auch der Mieterverband nicht helfen. Das macht manchen vermutlich Angst.

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Das Hiltl kann sich teure Mieten offensichtlich leisten. Stört dich das?
Ach komm, da kann doch das Hiltl nichts dafür. Die haben Erfolg mit ihrem Konzept und das gönn ich denen auch. Sonst würd ich jetzt auch nicht hier essen, oder?

Henrike (33)

MUNCHIES: Warum gehst du ins Hiltl an der Langstrasse essen?
Henrike: Ich habe Samstags Schule und verbringe meine Mittagspause manchmal hier, um nicht die immer gleichen Snacks und Salate vom Supermarkt essen zu müssen.

Findest du, das Hiltl passt hier ins Quartier?
Naja, nicht so richtig eigentlich. Andererseits ist dieses Quartier im Wandel und warum sollten die Leute hier kein vegetarisches Restaurant haben dürfen? Ich denke, der Name Hiltl wirkt ein wenig zu posh, weil man ihn halt sonst eher von der Innenstadt kennt. Andererseits ist das Bier hier auch nicht billiger als im Seefeld.

Was denkst du darüber, dass manche das Hiltl als ein Zeichen der Gentrifizierung der Langstrasse sehen?
Ich sehe da eher die Europaallee mit dem 25h Hotel oder die Neufrankengasse mit dem Club Heile Welt und der Schickeria als Anstoss dieser Gentrifizierung. Ausserdem gibt es hier in den Seitengassen auch schicke Restaurants, die viel teurer als das Hiltl sind. Und das Lily’s, The Bite oder auch die Stubä hier gegenüber gibt’s ja auch nicht erst seit einem halben Jahr.

Kannst du die Wut derer verstehen, die noch vor der Eröffnung Farbanschläge auf das Hiltl verübt oder danach auch demonstriert haben?
Bis zu einem gewissen Grad schon, aber ich bin da wohl nicht radikal genug. Ich kann schon nachvollziehen, dass du wütend wirst, wenn du hier 20 Jahre gelebt hast und dann durch hohe Mietpreise sozusagen vertrieben wirst. Andererseits bringen solche Quartieraufwertungen auch wieder mehr Arbeitsplätze in den neuen Geschäften und Restaurants.

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Lena (25) & Lucy (27)

MUNCHIES: Warum seid ihr heute hier im Hiltl an der Langstrasse?
Lena: Wir hatten eigentlich ein Restaurant in der Nähe ausgesucht, aber das hatte geschlossen. Ich kenne das Hiltl von der Innenstadt und finde es super. Also hab ich das vorgeschlagen. Und weil ich Vegi bin, kann ich hier bei allem zugreifen, was gefällt mir.
Lucy: Ich bin nur zu Besuch in Zürich und das erste Mal hier. Ich finde es aber super, das Essen war gut.

Findet ihr, das Hiltl passt an die Langstrasse?
Lena: Wieso nicht? Es ist toll, dass man hier so viele verschiedene kulinarische Optionen findet.

Ich frage vor allem, weil das Hiltl immer wieder im Zuge der Gentrifizierungsdebatte zum Gesprächsthema wurde. Habt ihr das mitgekriegt?
Lena: Ich weiss gar nicht, um was es gerade geht. Was ist Gentrifizierung schon wieder?

Im Grunde ist Gentrifizierung ein anderes Wort für Yuppisierung. Sie findet dann statt, wenn eine Gegend aufgewertet wird, um zahlungkräftigeres Klientel anzulocken. Und diese neuen Leute vertreiben in der Folge dann meistens die, die vorher da gewohnt haben. Versteht ihr, was ich meine?
(beide nicken)

Könnt ihr also die Wut mancher verstehen, die vor dem Hiltl demonstrieren oder Farbanschläge verüben?
Lena: Nein, so radikal zu sein finde ich unnötig. Vor allem Vandalismus kann ich nicht nachvollziehen. Demonstrationen kann man ja abhalten. Aber ob es da nicht wichtigere Themen gibt, über die man diskutieren kann, ist dann eine andere Sache.
Lucy: Ich versteh auch gar nicht, was das Problem an Gentrifizierung sein soll. Ist doch schön, wenn ein Quartier besser wird, oder?

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