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Risiko

Poster warnt vor Hunderten angeblich tödlichen Lebensmittelkombinationen

Etwa: Kaninchenfleisch mit Pilzen bedeutet den Tod. Aber warum leben dann alle Menschen in allen anderen Ländern noch?
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Wenn man durch Myanmar reist, stolpert man mit Sicherheit irgendwann über das berüchtigte "Food That Shouldn't Eat Together"-Poster. Die massenproduzierten Prints zeigen auf, welche negativen Folgen es haben soll, wen man bestimmte Lebensmittel miteinander kombiniert. Von Übelkeit und Erbrechen bis hin zum Tod ist alles dabei.

Genauso vielfältig sind auch die Fleischarten, Früchte, Süßigkeiten und Getränke, die auf dem Poster zu sehen sind. Manchen Kombinationen läuft man eher selten über den Weg (Rhinozeros und Fisch soll tödlich sein), andere sind hingegen sehr geläufig (Milch und "saure Lebensmittel" bringen einen angeblich ebenfalls um).

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Natürlich basiert das Poster nicht auf wissenschaftlichen Fakten, sondern viel mehr auf Aberglaube. Das scheint der Popularität der Tabelle vor allem in den ländlichen Gegenden des südostasiatischen Landes aber keinen Abbruch zu tun. "Dort hängt die Aufzählung in vielen Küchen und die Leute glauben aus Angst an das, was darauf steht – obwohl es keine Beweise dafür gibt", erklärt die myanmarische Autorin Ma Thanegi, die mehrere Bücher über das Essen des Landes geschrieben hat.

Dabei ist das Poster nur die Spitze des kulinarischen Aberglaube-Eisbergs in Myanmar. Dort existieren noch unzählige weitere Überzeugungen dazu, wann und in welcher Kombination bestimmte Lebensmittel gegessen werden dürfen und wann nicht. Werdende Mütter sollen zum Beispiel Bananen und Chilischoten meiden – das Erstgenannte führt nämlich dazu, dass das Baby dick wird, das Zweitgenannte macht es später zum Glatzkopf. Bambussprossen verursachen angeblich postnatale Gesundheitsprobleme. Scharfem Essen wird unterstellt, Wunden und andere Verletzungen zu verschlimmern. Orangen seien schlecht bei Husten. Die Liste ist quasi endlos.

Matthew Walton ist Myanmar-Experte an der University of Oxford. Laut ihm denken sich viele Einwohner Myanmars selbst auch noch kulinarische Theorien aus – basierend auf eigenen Erfahrungen. "Viele meiner Freunde von dort meiden bestimmte Lebensmittel. Sie begründen das damit, dass einige ihrer Verwandten krank wurden oder gar starben, nachdem sie dieses und jenes gegessen hatten. Deswegen sind diese Lebensmittel innerhalb der Familie dann tabu", erklärt er.

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Die genauen Ursprünge solcher Annahmen bleiben aber unklar. Auch Ye Htut Win, der Gründer eines beliebten Restaurants in der myanmarischen Großstadt Yangon, kann da nur Vermutungen anstellen. Er sagt, dass die geografische Lage des Lands – eingequetscht zwischen China, dem indischen Subkontinent und dem Rest Südostasiens – zur Folge habe, dass viele "altertümliche Umgangsformen und Philosophien in Bezug aufs Essen" Myanmar beeinflussen. Als Beispiel nennt er den chinesischen Glauben an Yin-Essen und Yang-Essen, der in Myanmar bewusst und unbewusst zum Tragen komme.

"Ein Arzt sagte mal zu mir, dass ich sterben könne, wenn ich mit Fieber eine Banane esse."

Ye Htut Win fügt noch hinzu, dass einige der Lebensmittel, die dem Aberglauben nach schlecht sind, oft mit Lebensmittelvergiftungen und -allergien zusammenhingen – beispielsweise Milchprodukte, Schweinefleisch oder Pilze. Deswegen vielleicht auch der Argwohn. Dennoch seien die meisten dieser Ansichten laut Ye Htut Win Ammenmärchen: "Die Jungs von Mythbusters sollten sich da mal drum kümmern", sagt er lachend.

Was noch erschwerend dazukommt: Myanmar allgemein ein sehr abergläubisches Land. Saw Myat Yin hat das Reisebuch Culture Shock Myanmar geschrieben, darin heißt es, dass Zwischenfälle oft als Omen und Zeichen interpretiert würden. Außerdem nehme die Bevölkerung Gerüchte schnell für voll und gebe diese ungefiltert weiter. Menschen aus allen Bereichen – egal ob nun Bauern oder Politiker – träfen Entscheidungen häufig auf Grundlage von Hellseherei und Astrologie.

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Ein wichtiger Grund, warum Aberglaube auch im Myanmar des 21. Jahrhunderts so vorherrscht, ist die unterdrückende Militärherrschaft, die dort mehr als fünf Jahrzehnte lang existierte und (zumindest auf dem Papier) erst 2016 zu Ende gingen. In diesem Zeitraum entwickelte sich das Land zu einem Pariastaat, der von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten war. Kritisches Denken suchte man im Bildungssystem Myanmars vergebens und sowohl die Medien- als auch die Unterhaltungsbranche wurden von der Regierung kontrolliert. In einem solchen Umfeld ist es kaum möglich, langgehegte Überzeugungen anzufechten – selbst wenn es dabei um Eiscreme und Gurken geht.

Die 54-jährige Myint Wai Phyo ist in diesem Militärregime aufgewachsen und glaubt wie viele Vertreter ihrer Generation an die bizarren Essenstheorien. Laut ihr besteht die gefährlichste Kombination vom oben erwähnten Poster aus Enteneiern und Wassermelone: "Das bringt einen definitiv um!" Aber nicht nur Myint Wai Phyos Eltern haben ihr solche Ansichten eingebläut. Wie sie erzählt, sind auch örtliche Ärzte bis heute felsenfest von einigen Theorien überzeugt: "Ein Arzt sagte mal zu mir, dass ich sterben könne, wenn ich mit Fieber eine Banane esse."

Wahrscheinlich glaubt in ein paar Jahren niemand mehr an die altertümlichen Theorien in Bezug auf Lebensmittel.

Inzwischen fangen viele junge Myanmarer aber damit an, eigene Wege zu gehen – egal ob nun in Sachen Musik, Kunst oder auch Aberglaube. Der 24 Jahre alte Kyaw Soe Htet ist zum Beispiel überzeugt davon, dass das "The Food That Shouldn’t Eat Together"-Poster Quatsch ist. Seiner Meinung nach ist es gerade bei solchen Sachen wichtig, eher der Wissenschaft und tatsächlichen Experten zu glauben als alten Traditionen.

Diesen Worten hat der Zeitungsangestellte auch schon Taten folgen lassen: "Einmal habe ich zu Mittag Hühnchen und ein Bittermelonen-Curry bestellt. Der Restaurantbesitzer warnte mich und sagte, dass diese Gerichte zusammen den Tod brächten. Ich habe beide gegessen und lebe noch", erzählt er.

In Myanmar ist ein neues Zeitalter angebrochen. Die Presse wird nicht mehr zensiert, es gibt jetzt überall Internet und westliche Unternehmen wie KFC fassen in dem südostasiatischen Land Fuß. Wahrscheinlich glaubt in ein paar Jahren niemand mehr an die altertümlichen Theorien in Bezug auf Lebensmittel. Bis es soweit ist, wird man aber auch weiterhin kein Gericht mit Kaninchenfleisch und Pilzen in myanmarischen Restaurants finden.