Die Geheimnisse eines berühmten Restaurantkritikers
Illustration: Manuel de Jong

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Restaurants

Die Geheimnisse eines berühmten Restaurantkritikers

Wie Restaurants versuchen, eine bessere Rezension zu bekommen, wie man mit wutentbrannten Köchen umgeht und wie man es schafft, anonym zu bleiben.

Anfang Juni feierte der Niederländer Mac van Dinther sein 20-jähriges Jubiläum als Restaurantkritiker. Er ist mittlerweile so lange in der Gastronomie unterwegs, dass er nicht nur der erfahrenste und bekannteste Restaurantkritiker der Niederlande ist, sondern auch der gefürchtetste. In den letzten 20 Jahren ist er jede Woche durch das gesamte Land gereist auf der Suche nach innovativen Gerichten, überraschenden Produkten und einzigartigen Restaurants. Nach dem Essen schreibt er und teilt dann seine ehrliche Kritik mit den Lesern der niederländischen Tageszeitung de Volkskrant.

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Fürs Essengehen bezahlt zu werden hört sich nach einem Traumberuf an, doch es geht um so viel mehr, als die schillernden Rezensionen in der wöchentlichen Beilage vermuten lassen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man mit Köchen mit Aggressionsproblemen umgeht, wie Gastronomen schon versucht haben, ihn zu bestechen, und wie er es all die Jahre geschafft hat, anonym zu bleiben.

MUNCHIES: Wie sind Sie Restaurantkritiker geworden?
Marc van Dinther: Vor 25 Jahren habe ich bei der Zeitung angefangen und über sozialwirtschaftliche Themen geschrieben, den Arbeitsmarkt und das [niederländische Arbeitsunfähigkeitsversicherungsgesetz] WAO. Wann immer ich Zeit hatte, konnte ich schreiben, worüber ich wollte. Ich schnappte mir dann eine Einladung zu einer Weinverkostung oder einer Restauranteröffnung, die bei uns immer im Papierkorb landeten – da ging nie jemand hin –, und schrieb dann einen kurzen Artikel darüber. Zuerst belächelten mich meine Kollegen, damals wurde in den Medien wenig über Essen berichtet. Irgendwann interessierten sich die Autoren bei de Volkskrant und die Leser mehr für Restaurantkritiken. Und immer öfter wurden die Einladungen an mich weitergereicht – irgendwann wurde es mein Beruf.

Letzte Woche haben Sie Ihr 20-jähriges Berufsjubiläum gefeiert. Haben Sie je erwartet, so lange dabei zu sein?
So war mein Plan. Von Anfang an habe ich meinem Chefredakteur gesagt, dass ich nicht nur der dünnste Restaurantkritiker sein würde, sondern auch der dienstälteste . Letzteres hat geklappt, beim Ersten bin ich nicht so sicher.

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Glauben Sie, dass Sie der gefürchtetste Restaurantkritiker sind?
Das fragen Sie besser einen Koch. Es ist ja so: Ein Restaurant in [der niederländischen Stadt] Arnhem hat vielleicht mehr Angst vor einer Rezension in der Lokalzeitung, während ein Restaurant, dessen Gäste eher de Volkskrant lesen, wahrscheinlich mehr Angst vor mir hat. Und den Restaurants von [der niederländlichen Hotel- und Restaurantkette] Van der Velk ist es, glaube ich, egal.


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Die wenigsten Leute wissen, wie Sie aussehen. Wie haben Sie es all die Jahre geschafft, dieses Geheimnis zu wahren?
Ich versuche alles, um anonym zu bleiben. Ich habe nie wie die anderen Kritiker Fotos von mir machen lassen. Außerdem gehe ich nicht zu vielen Veranstaltungen, auch wenn einige Köche mich vielleicht schon ein paar Mal bei der Vorstellung des Guide Michelin gesehen haben. Aber ich versuche, mich bedeckt zu halten, und schreie meinen Namen nicht laut heraus.

Wie schaffen Sie es, dass niemand Sie in einem Restaurant erkennt?
Ich reserviere unter falschem Namen, komme in Begleitung und versuche, so unauffällig wie möglich zu sein – das war's eigentlich. Meinen Notizblock lege ich neben den Teller und wenn der Kellner mich fragt, was ich da schreibe, antworte ich: "Ich schreibe mir immer auf, was ich esse." Und das stimmt ja auch im weitesten Sinne. Wenn sie dann weiter fragen, sage ich ihnen, dass es sie nichts angeht. Manche werden wütend, weil sie denken, dass ich ihre Rezepte stehle.

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Haben Sie sich jemals verkleidet?
Nein, ich arbeite nicht für den Geheimdienst, ich bin Restaurantkritiker. Ich werde mich doch nicht verkleiden.

Wenn mich das Personal erkennt, dann weiß ich einfach, dass das meine Bewertung beeinflussen wird. Meine Erwartungen sind dann höher.

Einige Kritiker verheimlichen ihren Beruf, wenn Sie neue Leute treffen. Was erzählen Sie?
Ich sage meist, dass ich Journalist bin, und wenn sie weiter fragen, dann sage ich, dass ich als Kritiker für de Volkskrant schreibe. Manche sagen dann: "Ahhh, Sie sind der Mac van Dinther!" Die kennen also meine Rezensionen. Aber es ist ja nicht per se ein Geheimnis, meine Freunde und meine Familie wissen, als was ich arbeite.

Werden Sie überhaupt bei der Arbeit erkannt?
Auf jeden Fall. Einmal empfing man mich im Restaurant: "Hallo Herr van Dinther. Unter welchem Namen haben Sie heute reserviert?" Das war die wohl beste Begrüßung, die ich je gehört habe. Natürlich bleibe ich lieber anonym, weil ich das Restaurant so erleben möchte wie jeder andere Gast auch. Ich möchte keine Sonderbehandlung. Wenn mich das Personal erkennt, dann weiß ich einfach, dass das meine Bewertung beeinflussen wird. Meine Erwartungen sind dann höher.

Wie sehr versuchen Restaurants, sich die Gesichter von Restaurantkritikern zu merken?
Ich habe gehört, dass manche größere Restaurants in der Küche Bilder von bekannten Kritikern haben. Aber ich denke, das passiert meist im Ausland. Ich habe jedenfalls nicht oft davon gehört.

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Mit welchen Tricks versuchen Restaurants, Sie zufriedenzustellen?
Meistens bekomme ich extra Wein oder schenken mir ständig sehr teuren Wein nach, den ich nicht mal bestellt habe. Einmal servierten sie mir Wein und mir war sofort klar, dass das ein besonderer war. Später habe ich mir die Weinkarte angeguckt und festgestellt, dass eine Flasche 150 Euro kostet. So eine Flasche wird normalerweise nicht zu einem Menü gereicht. Diese Tricks sind so offensichtlich, dass man sie sofort bemerkt.

Einmal hatte ich auch mit einem Koch zu tun, der unbedingt wollte, dass ich die Getränke nicht bezahle, das war wirklich lächerlich. Ich sagte ihm: "Hören Sie, die Zeitung bezahlt die Rechnung, nicht ich." Doch er wollte unbedingt, dass die Getränke von der Rechnung genommen werden. Was soll ich da also machen? Ich kann ihm ja kaum ein Messer an die Kehle halten und sagen, dass ich auf jeden Fall alles zahle.

Einmal hat ein Koch jedoch nach einer schlechten Rezension einen wutentbrannten Brief an den Chefredakteur der Zeitung geschickt und verlangte quasi, dass man mich feuert.

An welche Reaktion auf eine Ihrer Rezensionen werden Sie sich ewig erinnern?
Ich bekomme eigentlich nicht oft Zuschriften – manchmal gibt es eine nette E-Mail nach einer positiven Bewertung. Einmal hat ein Koch jedoch nach einer schlechten Rezension einen wutentbrannten Brief an den Chefredakteur der Zeitung geschickt und verlangte quasi, dass man mich feuert. So nach dem Motto: "Was denkt dieser Kritiker eigentlich, wer er ist? Er hat keine Ahnung, wovon er redet." Ich schrieb ihm freundlich: "Hören Sie, ich mache diesen Job seit 20 Jahren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, worüber ich rede. Anstelle einen wütenden Brief an mich zu schreiben, nutzen Sie diese Energie und bringen Sie Ihr Restaurant voran. Davon werden Ihre Gäste wirklich profitieren."

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Welche Lehre haben Sie aus den letzten 20 Jahren gezogen?
Je mehr ich über Essen und Kochen weiß, desto differenzierter fällt mein Urteil aus. Ich war in der Vergangenheit etwas strenger und resoluter. Jetzt denke ich oft: Wie kann ich mir denn rausnehmen, solche Dinge zu sagen?

Gehen Sie noch außerhalb Ihres Berufes in Restaurants?
Ja. Manchmal ist das ein bisschen komisch. Einmal wollten meine Frau und ich in das Restaurant eines Freundes gehen. Weil das jedoch ausgebucht war, hat er uns einen Tisch in einem anderen Restaurant besorgt. Er sagte ihnen ausdrücklich, dass ich nicht da bin, um eine Rezension zu schreiben, doch als wir ankamen, war das gesamte Personal ziemlich nervös. Die Gläser wurden bis zum Rand gefüllt und sie kauten uns ein Ohr ab und waren die ganze Zeit angespannt – was am Ende natürlich überhaupt nicht schön war.

Haben Sie noch Tipps für angehende Restaurantkritiker?
Nein, diese Erfahrung muss man selbst machen. So lernt man am besten.

Vielen Dank für das Gespräch.


Dieser Artikel erschien ursprünglich bei MUNCHIES NL.