Wenn schon Thunfisch, dann nach dem Nose-to-tail-Prinzip
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Thunfisch

Wenn schon Thunfisch, dann nach dem Nose-to-tail-Prinzip

Es ist muss nicht immer das Filet sein: gesalzene Thunfischherzen, Thunfischmagen und in Öl eingelegte Reststücke zur traditionellen Küche auf einer sardischen Insel.

„Dieser Ort wurde mit Thunfisch aufgebaut", erzählt mir Daniele. Währenddessen wiegt der Fischer zwei vakuumverpackte Fischherzen in seinen Armen. Sein Geschäft liegt in einer ruhigen Straße in Carloforte, einer kleinen Stadt an der Küste der Isola di San Pietro, südwestlich von Sardinien. Hier verkauft er Thunfischprodukte—gesalzen und in Konserven—, der hier gefangen wurde.

Bis 1736 war die Insel unbewohnt, dann kamen genuesische Korallenfischer von der Insel Tabarca vor der tunesischen Küste.Der damalige König von Sardinien bot ihnen an, sich auf der Isola di San Pietro niederzulassen. Mit im Gepäck hatten sie ihr gesamtes Fischer-Know-how undden tabarchino-Dialekt, der noch heute von Einheimischen gesprochen wird. Und auch in den typischen Gerichten spiegelt sich der Weg der Fischer von Italien über Nordafrika wieder, zum Beispiel das cascà alla carlofortina, ein Couscous-Gericht mit Auberginen und Kichererbsen gewürzt mit Nelken und Zimt.

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Secondo Borghero, der Besitzer des Al Tonno di Corsa, hält gesalzenen Thunfischrogen, bottarga, in seinen Händen. Alle Fotos von der Autorin

Doch die Scharen von italienischen Touristen in den Cafés an der Hafenpromenade empfehlen noch eine andere lokale Spezialität: tonno rosso. Zwischen Mai und Juni wird vor der Insel Blauflossenthun mit einer tonnara gefangen, einem komplexen System aus Netzen, die am Meeresgrund mit Ankern befestigt sind und die die Fische in immer engere Kammern lotsen. „Die Thunfische kommen über Gibraltar ins Mittelmeer, schwimmen dann nach Korsika und dann runter nach Sardinien", erklärt Daniele und zeigt dabei ihren Weg auf einer Karte des Mittelmeers, die an der Wand hängt. Durch die traditionell kurze Fangzeit—dazu kommen jetzt auch noch strenge Quoten für die Fischerboote—war der frische Fisch immer nur für begrenzte Zeit auf der Insel verfügbar.Daher wurde jeder Teil des Thunfischs genutzt, alle möglichen Stücke und Innereien wurden mit Salz oder Öl konserviert, damit sie sich über den Winter halten.

Ich mache mich auf den Weg ins Al Tonna die Corsa, das sich abseits der hektischen Touristenströme in einem friedlichen Sträßchen mit pastellgetünchten Häusern befindet. Hier wird man gleich am Eingang von einem riesigen Stapel gesalzenem Thunfischrogen—bottarga—auf der Theke begrüßt. Eröffnet hat es 1980, in der Hoffnung die vergessene Tradition wiederzubeleben. „Früher hatte man keinen Kühlschrank, also hat man den Thunfisch hier auf der Insel ähnlich haltbar gemacht wie Fleisch. Wir wollten Essen kochen, das typisch für die Insel ist, das die Einheimischen zu Hause essen", erzählt der Besitzer Secondo Borghero. „Als ich klein war, gab es in jedem Haus einen extra Ort, um diese Dinge zu verarbeiten und Speisekammern für den haltbar gemachten Fisch."

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Cuore di tonno: Fischer verkaufen in Carloforte eingesalzene Thunfischherzen

Zum Mittag gibt es als Vorspeiseeine Auswahl der hausgemachten Thunfischspeziliatäten: musciame in Scheiben, ein gesalzenes Filet ähnlich wie Prosciutto; gehobelte, stark salzige Herzen; und buzzonaglia, ein wilder Mix verschiedenerReststücke in Olivenöl. Danach nehme ich noch belu, in Streifen geschnittenen Thunfischmagen gekocht mit Tomaten und Kartoffeln in Weißwein, und cassulli, gnocchiähnliche Pasta mit einer köstlichen Tomatensauce mit einem Hauch Basilikum. Eine Spezialität des Hauses, die sich Borghero ausgedacht hat, genauso wie die Thunfisch-Pastete, um noch mehr sonst eher unbeliebten Teile vom Fisch zu verwenden.

Für mich ist es das erste Mal, dass ich Blauflossenthun esse. Als Australierin ist er für mich gleichbedeutend mit der Zerstörung von Ökosystemen und sollte daher gemieden werden. Für mich ist es komisch, dass zwar jeder in Carloforte von traditionellen Thunfischgerichten schwärmt, aber kein Wort über Nachhaltigkeit verliert. Ich frage Secondo Borghero, was er von der Thunfisch-Tragödie hält.

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„Dieser Ort wurde mit Thunfisch aufgebaut", erzählt Daniele der Fischer.

„Den Verbrauchern muss klar werden, dass Thunfisch etwas Saisonales ist. Genauso wie man im Winter keine Pfirsiche essen sollte, gilt das auch beim Fisch." Im Sommer gibt es die guten rohen Cuts, danach serviert er nur noch die konservierten Sachen. „Ein Jahr müssen wir warten, dann gibt es wieder frischen Thunfisch. Man muss sich an den biologischen Kreislauf halten. Roher Thunfisch ist mittlerweile Mode, aber für uns war Fisch immer gekocht oder in Salz eingelegt. Viele Gäste fragen nach Tartar, da muss ich sie immer enttäuschen. Anfangs sind sie total entrüstet, wie ein Thunfischrestaurant kein Tartar haben kann, aber viele sind dann doch glücklich, weil sie etwas Neues entdecken."

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Gar nicht essen, Verzicht, diese Option erwähnt er jedoch nicht.

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Tonno salato, in Salz eingelegter Thunfisch

Früher ging es bei den Thunfischinnereien nicht einfach nur darum, zu sparen, sondern darum, zu verstehen, wie eine Methode bestimmte Teilstücke noch besser machen kann. „Thunfische sind groß, also ist es wie mit Tieren vom Land: Beim Kalb ist die Hachse anders als das Filet", erklärt er. Drei Sorten Thunfischfleisch gibt es: zarte rosa Stücke, die tiefroten und die dunkelbraunen. „Die sind gut für die Pastete und den sugo für die Pasta. Die haben einen starken Geschmack und verleihen dem Gericht Struktur."

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Cassulli, dazu eine Sauce mit Reststücken vom Thunfisch im Al Tonno di Corsa

Nach meinem Besuch im pittoresken, ruhigen Carloforte lerne ich, dass der Thunfischfang ein blutiges, brutales Spektakel sein kann. Ich weiß nicht, ob das so ist, weil man sich an die alten Fangmethoden hält oder um so die Aufmerksamkeit der Touristen zu bekommen. Das Bewahren von kulturell wertvollen Essenstraditionen einerseits und der Kampf für die Nachhaltigkeit andererseits: ein angespanntes Verhältnis.

Die Tradition Carlofortes, weniger beliebte—aber nicht weniger leckereCuts wertzuschätzen, ist definitiv keine Lösung für die missliche Lage, in die wir den Thunfisch gebracht haben. Aber es ist auf jeden Fall eine respektvollere Art, Fisch zu essen. Wir essen knusprige Schweineohren, Knochenbrühe und geschmorten Ochsenschwanz. Warum gilt also nicht auch bei Fischen das Nose-to-tail-Prinzip?