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Bakterien

Wissenschaftler widerlegen die Fünf-Sekunden-Regel

Eine aufwendige experimentelle Studie zeigt: Bakterien übertragen sich auf Lebensmittel, die auf den Boden gefallen sind, egal, wie schnell du sie wieder aufhebst. Trotzdem können Freunde der Regel auftrumpfen.
Bild via shutterstock

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei MOTHERBOARD.

Trotz verhältnismäßig ausgeprägter motorischer Fähigkeiten ist auch der erwachsene Homo sapiens nicht davor gefeit, dass ihm ab und an Nahrung unglücklich aus der Hand flutscht. Einmal kurz nicht aufgepasst, und das Butterbrot landet (selbstverständlich mit der gebutterten Seite) nach einem eleganten Salto Mortale auf dem Boden.

Aber das macht ja nichts, ruft der Mitbewohner des hungrigen Homo sapiens zwischen zwei großen Müllsäcken hervor und fordert ihn auf, das Stückchen Brot einfach schnell wieder aufzuheben und zu essen. Denn erstens sähe der Boden doch noch total sauber aus; zweitens würde hier schließlich die sagenumwobene Fünf-Sekunden-Regel ihre Magie entfalten—ein Klassiker der Populärwissenschaft: Sie besagt, dass kurz in den Dreck gefallene Lebensmittel einwandfrei zum Verzehr geeignet bleiben, weil schädliche Bakterien innerhalb von fünf, je nach Befragten auch drei Sekunden, noch keine Zeit gehabt hätten, sich ordentlich daran festzuhalten.

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Ob diese Regel tatsächlich greift und ob man sie überhaupt Regel nennen kann, ist seit jeher umstritten. Die Wissenschaft will die Erforschung dieses allgemein bekannten Gesetzes nicht halbgaren Selbstversuchen in Vorabendsendungen überlassen, sondern hat nun selbst experimentelle Hand angelegt. Mit forscherischer Gründlichkeit hat sich ein Team aus Ernährungswissenschaftlern in der bislang größten durchgeführten Studie der Rekonstruktion dieses Phänomens gewidmet, um ein für alle Mal zu einer gültigen Aussage in Sachen Lebensmittelrettung zu gelangen.

Die Wahl des Untergrunds spricht gegen den Verzehr, die Konsistenz der Jelly Beans eher dafür. Bild von Incase via Flickr

In den Laboren der Rutgers University wurden Melonen, Gummibärchen, Butterbrot und nicht gebuttertes Brot vorbereitet und aus einer einer Höhe von 12,5 Zentimeter auf diverse (rostfreier Stahl, Keramikkacheln, Holz und Teppichboden), mit salmonellenähnlichen Bakterien in einer Trägerlösung verseuchte Oberflächen plumpsen gelassen. Dort ruhten die Testobjekte jeweils für Kontaktzeiten von weniger als einer Sekunde, fünf Sekunden, 30 Sekunden oder sogar 300 Sekunden lang, bevor sie entfernt und auf ihren Bakterienübertrag untersucht wurden.

Hängen blieben: Bakterien, und das auch schon bei Liegezeiten von unter einer Sekunde. „Bakterien können Objekte sofort kontaminieren", schreiben die Autoren in der Studie. Ganz besonders gut klappte das bei sehr glatten Oberflächen wie Kacheln und Stahl. Den Preis als Dreckmagnet durfte die Melone entgegennehmen, denn Bakterien—die keine Beine haben—reisen besonders leicht in Flüssigkeit, die es in einem feuchten Lebensmittel wie einer Wassermelone ja bekanntlich zur Genüge gibt.

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Alles in allem wurden 128 Unfallszenarien mühsam rekonstruiert und jeweils 20 mal wiederholt, die zu einer beeindruckenden Zahl von insgesamt 2.560 verschiedenen Messungen führte—in der Wissenschaft geht es eben auch um Reproduzierbarkeit eines banal scheinenden Experiments, um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen. Und das lautet: Die Fünf-Sekunden-Regel ist wirklich ein Mythos.

„Übertragungen fanden sofort statt, manchmal in unter einer Sekunde, was die Fünf-Sekunden-Regel widerlegt"

Die Topographie, also Oberflächenstruktur und Konsistenz des verunfallten Lebensmittels und des Bodens spielen also eine viel größere Rolle als die Zeit, in der die beiden in innigem Kontakt stehen. Klar, dass sich heruntergefallene Chips oder Salzstangen eher eignen, unbedenklich gegessen zu werden als ein Stückchen klebriger Camembert.

Ein weiteres interessantes Ergebnis: Teppiche kommen im Test sehr gut weg; ihre Bakterien-Übertragungsraten sind deutlich geringer als bei glatten Böden und Holz.

Ein einsamer Sterilitäts-Überraschungssieg aus dem Abseits geht in der Untersuchung an die Kombination Gummibärchen/Teppich—die fusselige Struktur des Untergrunds verhindert die Bakterienübertragung auf die glatte Süßigkeit zu einem gewissen Maße. Die Autoren mahnen allerdings, dass sich dieses Ergebnis möglicherweise durch einen Sturz des Bärchens aus größerer Höhe verändern könnte.

Und es stimmt trotzdem: Je länger der Kontakt mit dem Untergrund, desto höher der Bakterienübertrag.

Aber es gibt trotzdem einen Lichtblick für Anhänger der Fünf-Sekunden-Regel. Denn an dem Prinzip der Regel konnte auch die aufwändige Studie nicht rütteln: Je länger Essen auf dem Boden liegt, desto mehr Bakterien übertragen sich. Das heißt aber im Umkehrschluss leider noch lange nicht, dass ein sofort aufgehobenes Lebensmittel unbedenklich genießbar ist: „Übertragungen fanden sofort statt, manchmal in unter einer Sekunde, was die Fünf-Sekunden-Regel widerlegt", heißt es in der Untersuchung.

Ein plötzlicher Tod ist zwar unwahrscheinlich, doch durch eingeschleppte Hundehaufenreste unter der Schuhsohle kann es aber schon mal passieren, dass sich auf Wohnungsböden e.coli-Bakterien tummeln. Die sind gefährlich und verursachen Durchfall.

„Die Fünf-Sekunden-Regel", bilanzieren die Autoren, „vereinfacht zu stark, was eigentlich passiert, wenn sich Bakterien von einer Oberfläche auf Lebensmittel übertragen". Daran sollte nach 2.560 Messungen nun wirklich kein Zweifel mehr bestehen.