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Vegan

Alle hassen Veganer: Stress ohne Grund?

„Ganz schöne Wurstfinger für einen Veganer haben Sie da“, sagt einer.
Foto von Je suis Samuelvia Flickr

Restaurantbesuch, mit Kollegen vielleicht. Alle bestellen, irgendjemand entscheidet sich für das vegane Angebot, Stille am Tisch. Ein Veganer in der Gruppe, die Stimmung kippt, man streitet sich. „Ganz schöne Wurstfinger für einen Veganer haben Sie da", sagt einer.

Doch Hauptplatz der Auseinandersetzung ist nicht der geteilte Tisch. Im Internet finden die Kämpfe statt, dort wird beleidigt, belehrt und es werden flache Witze gerissen. „Veganer essen meinem Essen das Essen weg"—dieses Niveau, man kennt das: Niemand mag Veganer, die moralsauren Kreuzritter, die Spielverderber.

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Es gibt Gründe, die diese ständigen Aggressionen erklären können, und zwar psychologisch.

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Jepp, gibt es wirklich. Bild via Imago

Fleischesser sehen normalerweise ein Stück Lebensqualität, eine leckere Wohltat auf dem Teller, wenn sie essen. Veganer sehen Zerstörung und Tod. Sie haben eine Moral, die über das private hinausreicht, es geht um die großen Zusammenhänge in der Welt. Es geht um Umweltzerstörung, Klimawandel, Massentierhaltung und Gesundheit. Diese Vorwürfe müssen Veganer noch nicht einmal äußern, ihre bloße Anwesenheit als Person ist genug. Die Fleischesser erwarten instinktiv, dass sie von den Abstinenten verurteilt und verantwortlich gemacht werden.

Niemand weiß so genau, wie viele Vegetarier und Veganer mittlerweile in Deutschland leben, optimistische Schätzungen gehen von acht Millionen Menschen aus, in etwa jeder Zehnte also. Es gibt einige Gründe, sich für eine fleischfreie Ernährung zu entscheiden, die Gesundheit, Unverträglichkeiten—und eben ethische Gründe. Der Wunsch, die Tiere und die Umwelt zu schützen, ein großer Teil der Treibhausgase geht auf Kosten der Agrarindustrie und der Viehwirtschaft. Tiere füttern, die dann Menschen füttern, das kostet. Und dieses Wissen hat sich vorgearbeitet, viele haben das zur Kenntnis genommen, haben schon einmal davon gehört. Vielleicht hatten sie auch schon mal ein ungutes Gefühl dabei. Die Zustände in vielen Betrieben der Massentierhaltung, in denen Tierschutz nicht das oberste Ziel ist, kennen wir. Wir wissen, was wir essen und warum das nicht immer gut ist.

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Jepp, und auch das gibt es. Bild via Imago

Und damit der Mensch damit zurechtkommt, mit dieser Ahnung, etwas zu tun, was manche als falsch empfinden, hilft ihm das Gehirn. Dr. Heidbrink ist Psychologe und Lehrbeauftragter an der FernUni Hagen, dort hat er zur Moralpsychologie geforscht. Das ist ein Feld das, anders als die Philosophie, versucht herauszufinden, wie Menschen in moralischen Situationen denken und handeln, ohne eindeutig sagen zu wollen, was richtig und was falsch ist.

Den psychologischen Mechanismus, wenn wir Fleisch essen, beschreibt Dr. Heidbrink so: In unserem Kopf verwandelt sich das Stück Tier auf dem Teller in ein Stück Fleisch, etwas, das nicht mehr einem Lebewesen ähnelt. Ist ein Veganer anwesend, gerät dieser Gehirntrick in Bedrängnis und das Verdrängen funktioniert nicht mehr. Wenn das passiert, reagieren die Menschen unterschiedlich, viele reagieren mit Wut, Abwertung, Spott oder Hass. Und zwar nicht auf sich selbst, sondern auf denjenigen, den sie als Schuldigen ausmachen. Sie gehen in den mentalen Schützengraben und fangen an, sich zu rechtfertigen. Es sei völlig normal, Tiere zu essen, schließlich habe man das immer schon so gemacht, es sei gesund und nahrhaft, natürlich ist es auch köstlich—manches Mal hört man sogar, dass es „männlich" sei. Diese Argumente dienen aber—psychologisch gesehen— vor allem auch dazu, sein positives Selbstbild zu schützen, sagt Dr. Heidbrink. Die Diskussion dreht sich also nicht um Inhalte. Es geht darum, dass wir eine Diskrepanz zwischen unserem Selbstbild und unserem gutem Gewissen wahrnehmen. Dieser Angriff auf ist nicht so leicht auszuhalten. Jeder Mensch ist darauf bedacht, sich selbst positiv wahrzunehmen. Das ist völlig normal.

Auf dieses Paradox reagieren alle anders: Man kauft Bio-Fleisch, beruhigt damit sein Gewissen, sucht nach Argumenten oder verändert sich. Oder man ist eben ignorant oder aggressiv. Der hohe Pulsschlag bei den Fleischessern rührt daher, dass der Veganer als jemand wahrgenommen wird, der sich moralisch über den Fleischesser stellt, der möchte, dass der Fleischesser sich schuldig fühlt. Jemand, dem die Welt nicht egal ist. Wie gesagt: All das spielt sich in den Köpfen ab, dafür muss noch nicht einmal ein Wort gesagt worden sein. Man weiß, dass Veganer das, was man tut, für völlig falsch halten. Und oft sagen Veganer eben doch ein Wort und reagieren ihrerseits ungehalten auf jemanden, der vor ihren Augen ein Stück Fleisch isst. Es geht für sie da um nichts weniger als die Welt zu retten, man tötet die Welt, man tötet Tiere und sich selbst, wenn man Fleisch isst. Und „wenn ich eine Sache für völlig falsch halte, ist es schwer, Kompromisse zu finden", sagt Moralpsychologe Dr. Heidbrink.