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Backwaren

Die Arbeit als Konditor ist eine Wissenschaft für sich

Wie ticken Konditoren? Wir brauchen für unsere Arbeit einen eingebauten Taschenrechner und haben allesamt eine gesunde Portion Zwangsneurose abbekommen.
Foto: Fabian Von Hauske

Achtung, Verwirrungsgefahr: Ich bin Konditor und ich mache mir nicht allzu viel aus Nachtisch—vor allem wenn ich ihn selbst kosten muss. Aber keine Sorge, dafür zerbreche ich mir umso lieber den Kopf über das nächste Dessert-Rezept.

Meine wichtigste Inspirationsquelle ist dabei die Welt der Farben und Formen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt für all meine Rezepte. Bevor ich mich entschied, Koch zu werden, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, Grafik-Design zu studieren. Dafür hätte ich aber Geld fürs College benötigt, das ich letzten Endes nicht auftreiben konnte. Das war aber gar nicht so schlimm, da ich glücklicherweise von Natur aus die Fähigkeit besitze, die Dinge in meiner Umgebung auf eine äußerst kreative Sichtweise wahrzunehmen. Sobald ich zum Beispiel Heidelbeeren sehe, wird in meinem Kopf eine Gedankenlawine losgetreten, die sich darum dreht, welche anderen Ingredienzen am besten zu Heidelbeeren passen würden. Bei Violett schießen mir sofort braune oder weiße Töne in den Kopf; in unserem Restaurant Contra haben wir vor Kurzem einen Nachtisch aus Heidelbeeren und Kartoffeln zubereitet, der das Ergebnis von genau dieser Assoziationskette war. Übrigens: Als ich meinem Vater damals mitteilte, dass ich Grafik-Designer werden wolle, brach er nicht gerade in Jubelstürme aus. Im Gegensatz dazu war er von meiner Entscheidung, es doch erstmal als Koch zu versuchen, weitaus mehr angetan. Daraufhin sicherte ich mir einen Job in einem französischen Restaurant, behielt aber die Option College weiterhin im Hinterkopf. So oder so war ich überzeugt davon, dass mir Kochen weitaus weniger abverlangen würde. Diese Meinung musste ich aber schnell wieder revidieren, als ich im Jean-Georges an der Seite von Konditor Johnny Iuzzini meine Arbeit aufnahm.

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In Mexiko haben ganz andere Aromen und Geschmäcker das Zepter in der Hand als etwa in den USA oder in Europa. Ich bin im Süden von Mexico City aufgewachsen. Darum war der Umzug in die USA ein ziemlicher (kulinarischer) Kulturschock für mich—der noch bis heute anhält. Ich bin immer noch im Begriff, mich den Geschmacksvorlieben der Amerikaner anzupassen. Als ich klein war, hat meine Mutter nicht gekocht, weswegen sich mein Bruder und ich um das Essen kümmern mussten. Wir haben uns besonders ausgeflippte Kreationen einfallen lassen, und viele der Experimente von damals lasse ich in meine heutige Arbeit einfließen. Heidelbeeren und Kartoffeln mögen sich für viele (Nichtmexikaner) nach einer ungewöhnlichen Kombi anhören, aber für mich ergibt sie durchaus Sinn, da beide erdig und säuerlich im Geschmack sind. (Zu deiner Info: In Mexiko sind so ziemlich alle Gerichte recht säurehaltig.) Sobald du Mexiko bereist, wirst du feststellen, dass vielerorts Scharfes mit Süßem kombiniert wird, was in Europa und den USA recht ungewöhnlich ist. Wenn ich nach einem Heimaturlaub mit reichlich Süßigkeiten—vor allem den scharfen—im Gepäck auf der Arbeit erscheine, verdrehen meine Kollegen jedes Mal von Neuem die Augen. Doch für mich sind Süßigkeiten dieser Art nichts Besonderes.

Mein Eindruck von dem, was den amerikanischen Gaumen und seine Vorlieben auszeichnet, steht noch nicht endgültig fest. Auf jeden Fall sind immer mehr ethnische Ingredienzen und Speisen auf dem Vormarsch. Im Contra zu arbeiten bedeutet, dass meine Kollegen und ich—ganz so wie in einem hermeneutischen Zirkel—ständig die Bedeutung von zeitgenössischer New Yorker Cuisine aktualisieren. Momentan bereiten wir einen Pudding aus geröstetem Buchweizen und Amaranth zu, den wir mit verschiedenen Getreidesorten reichen, die umhüllt sind von einer Schicht aus Karamell und Schokolade. Abgerundet wird das Ganze von einem Schuss Kaffee sowie einem würzig-scharfen Joghurt-Sorbet. Es handelt sich hierbei um ein Dessert, das auf die mexikanische Süßigkeit alegría—ein leckeres Laster, das in vorspanischer Zeit im Rahmen spezieller Zeremonien den Göttern gereicht wurde—zurückgeht.

Meiner Meinung nach leben viele Menschen in dem Irrglauben, dass die Zubereitung von Backwaren eine Frauendomäne sei. Worauf es aber eigentlich ankommt, ist ein organisiertes und akribisches Arbeiten. Für Spontanität bleibt hingegen (leider) kaum Platz, da es bei Backwaren auf höchste Präzision ankommt. Es ist eine Wissenschaft für sich. Ich bin auf jeden Fall wie geschaffen für den Job. Denn ich hasse das Gefühl, mich den Aufgaben des Tages unvorbereitet zuzuwenden. Kurzum: Ich bin ein echter Control Freak. Für die Arbeit als Konditor brauchst du nämlich einfach einen eingebauten Taschenrechner—samt einer gesunden Portion Zwangsneurose—und den täglichen Willen, über formelhaftes Arbeiten stets zu demselben Ergebnis zu kommen.

Doch die Welt der Backwaren-Bosse hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Heutzutage sind immer weniger von meinen Kollegen daran interessiert, Geschmacksrichtungen in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen und ihre Kreationen so geometrisch, ästhetisch und ursprünglich wie möglich aussehen zu lassen. Stattdessen sind wir stets auf der Suche nach neuen interessanten—und vor allem minimalistischen— Geschmackskombinationen.

Die Arbeit als Konditor in einem kleinen Restaurant erfordert—heute mehr denn je—die Bereitschaft, sich auch in den anderen Stationen der Küche tatkräftig einzubringen. Na klar, es gibt sie noch, die großen Restaurants, in denen Chefkonditoren ein schier grenzenloses Budget, eine separate und toll ausgestattete Küche sowie bis zu 20 Mitarbeiter unter sich haben. Aber die Tage von diesem Modell sind wohl gezählt. Wenn du also mal den Vorspeisen zugeordnet wirst, kümmerst du dich eben um die Zubereitung von Vorspeisen. Und wenn von dir erwartet wird, dass du—einem (verstimmten) Dirigenten gleich—mittels klarer und vor allem lautstarker Ansagen dem To­hu­wa­bo­hu in der Küche den Kampf ansagst, spielst du eben mal den Brüllaffen. Warum? Weil du keine andere Wahl hast. Denn deine bloße Tätigkeit als Konditor wird oft genug in Frage gestellt, da du auf dem Papier ja nur für einen sehr kleinen Teil der Speisekarte verantwortlich bist. Ich finde diese Entwicklung insgesamt aber gut, denn je mehr wir Konditoren auch mit den anderen Abteilungen zusammenarbeiten, desto eher wird sichergestellt, dass die Speisekarte am Ende zu einem homogenen Ganzen wird. Und je mehr Beschränkungen deinem Arbeitsalltag auferlegt werden, desto leichter kannst du dich aufs Wesentliche konzentrieren. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge.