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Das internet

Ein Bauer und ein Wutbürger gegen Rewe – und 4 Millionen Menschen schauen auf Facebook zu

Der Bauer zerhackt seine Ernte und gibt die Produktion auf. Was ist da los?
Foto: imago | Karina Hessland

"So eine Scheiße", sagt der Mann hinter der Kamera, während der Bauer vor der Kamera mit seinen Trecker über tausende Minigurken fährt und sie in die Erde pflügt. Der Bauer in dem Traktor ist Franz Hagn aus Segnitz in Unterfranken. Er sagt, der Handel wolle sein Gemüse nicht unverpackt abnehmen, jetzt bleibe ihm keine andere Wahl als die Vernichtung seiner Ernte.

Das Video wurde am 10.06.17 aufgenommen, auf Facebook haben es sich bisher über vier Millionen Menschen angesehen und sie sind sauer. Entweder sind sie sauer, weil die Gurken vernichtet werden, obwohl sie auch an soziale Einrichtungen verteilt werden könnten. Oder sie sind über den Handel verärgert, der nicht ohne Plastik auskommt.

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Im Interview erzählt Hagn, dass er seit 14 Jahren Gurken produziert, immer die gleiche Menge und in guter Qualität. Im Mai dann hätte der Handel – er nennt hier explizit Rewe – entscheiden, nur noch in Plastik verpackte Gurken einzukaufen: "in Köln [wo Rewe seinen Sitz hat] bestimmen junge Leute, die Bachelor oder Master gemacht haben, die bestimmen jetzt vom Büro aus: Es gibt nur noch abgepackte Ware […]." Jetzt gerade beginnt die Erntesaison, der Bauer wollte damit beginnen, jeden Tag zwischen 1,5 und 2 Tonnen zu ernten. Den Anbau muss er komplett einstellen und die Ernte, die schon bei ihm in der Kühlung liegt, wegschmeißen. Hagn erwartet einen Schaden von mehr als 100.000 Euro.


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"Da siehst du mal, wie das in Deutschland läuft! Was dieser Handel kaputt macht, das ist unglaublich", sagt der Mann aus dem Off. Und später: "Siehst du mal der Handel, das ist ja nicht bloß unmöglich. Das ist ja fast kriminell, was die hier vorführen." Der Mann, der das filmt, ist Werner Krieger. Er betreibt die Seite "Fränkische Illustrierte" und mit der führt er schon einen langen Privatkrieg gegen den Handel. Es ist Krieger sehr ernst, er sieht das Land vor dem "Verderben": "Fakt ist, dass wir uns in Deutschland längst nicht mehr selbst ernähren können, also einer Abhängigkeit zusteuern, die fataler und unumkehrbarer sein wird als jeder Krieg und jede Seuche. Multikonzerne oder besser: 'Welternährer' wie Nestle, Monsanto & Co. steuern diese Entwicklung ganz bewusst." Die Apokalypse ist nah, das erklärt seinen dauerempörten Ton: "Das sog. 'Freihandelsabkommen' TTIP ist nur der Anfang, andere Probleme[,] wie z.B. der 'Flüchtlingstsunami'[,] die verdeckte Geldentwertung und vor allem die industrieabhängige Landwirtschaft, beschleunigen die Apokalypse und überall haben die Globalplayer [sic] ihre Finger im Spiel." Zusammengefasst ist sein Weltbild: "Alle diese 'Illuminaten' wissen, dass es am Ende nur ums Wasser und 'ums Fressen' geht und das Ende ist sehr nahe." 2008 hat Krieger einen Gastbeitrag für "Politically Incorrect" geschrieben, in der er vor der "Islamisierung" Deutschlands warnt. Das sei eine "bürgerliche Meinung". Meinungsstark ist er sicher: "Wir Deutschen sind die Dummfresser dieser Welt! Erzogen zu hirnlosen Fressschafen[,] die nicht einmal mehr blöcken [sic]."

Es ist nicht klar, ob Bauer Hagn weiß, wer ihn da gefilmt hat. Die vier Millionen Views haben Rewe allerdings dazu veranlasst, zu reagieren. Auf Anfrage von nordbayern.de sagt Rewe, der Bauer sei dem Unternehmen nicht bekannt, sei aber Teil einer Genossenschaft, die an den Konzern liefert. Es gäbe aber keine "vertragliche Abmachung" über die Abnahme vom Minigurken. Ohnehin würde der Konzern Gurken mit und ohne Verpackung verkaufen. Auch die Genossenschaft hätte Bauer Hagn versichert, dass die Ernte des Landwirts über sie hätte vermarktet werden können.

Das Problem der Verpackungen wird auch dem Handel zunehmend bewusst. Rewe testet den Einsatz von "Natural Brandings", bei denen ein Laser die Beschriftung direkt auf das Obst oder Gemüse einbrennt. Damit wird reichlich Plastik überflüssig. Trotzdem bleibt das Verhältnis zwischen Landwirten und den großen Supermarktketten angespannt. Rewe, Edeka, LIDL und Aldi beherrschen in Deutschland 90 Prozent des Marktes, was für die Bauern oft bedeutet, dass sie unter Preisdruck stehen.

Neun Tonnen Minigurken hatte Bauer Hagn noch in der Kühlung, als das Video erschien. Die Solidarität war groß, mittlerweile hat er alle Gurken verkaufen können. So viel Aufmerksamkeit hat man als Bauer selten. Und Werner Krieger? Der kann die Aufmerksamkeit auch gut gebrauchen. Bald soll sein Buch erscheinen: 95 Thesen 2.0 – Gegen die Wohlstandsverblödung.