Diese Schweine werden bis ins Paradies massiert

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Tiere

Diese Schweine werden bis ins Paradies massiert

Nicht alle Nutztiere, die ihre produktivsten Jahre schon hinter sich haben, müssen direkt zum Schlachthof gekarrt werden. Manche erleben ihre goldenen Jahre in friedlichen Altersheimen.

Über das Schicksal der meisten Zuchttiere ist schon entschieden, bevor sie überhaupt geboren wurden. Ich bin keine Vegetarierin, aber trotzdem mache ich mir oft Gedanken über die Tiere, die ich esse. Manchmal fahre ich an Lastwägen vorbei und sehe, wie ein Schweinerüssel oder ein Schwanz zwischen dem Gittern hervorschaut. Dann habe ich immer die leise Hoffnung, dass einem der Schweine eine heldenhafte Flucht gelingt—nicht weil ich als Kind zu oft Ein Schweinchen names Babe gesehen habe, sondern weil ich mir ganz ehrlich wünsche, dass wenigstens ein Schwein die Freiheit hat, alt zu werden.

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Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass manche Bauern nie eine emotionale Verbindung zu ihren Tieren aufbauen, also begab ich mich auf die Suche nach einer Alternative zu Schlachthöfen. Und es stellte sich heraus, dass manche Kühe, Pferde und Schweine in den Niederlanden auch die Möglichkeit haben, in den Ruhestand zu gehen—und ihre Seniorenheime sind im Vergleich zu den menschlichen gar nicht mal so übel.

Eine durchschnittliche niederländische Milchkuh produziert jedes Jahr 8.000 Liter Milch. Rein körperlich gesehen verbraucht ihr tägliches „Arbeitspensum" gleich viel Energie wie wenn ein Mensch jeden Tag acht Stunden gehen würde. Um weiterhin Milch produzieren zu können, müssen Kühe mindestens ein Mal pro Jahr Junge werfen. Schwangerschaften werden meistens künstlich herbeigeführt, Leidenschaft im Kuhstall ist also ausgeschlossen. Nach durchschnittlich 5,3 Jahren produziert die Kuh keine Milch mehr und wird dann zum nächsten Schlachthof gebracht.

Im niederländischen Viehzucht-Forum VeeteeltForum tauschen sich Milchbauern häufig über die manchmal schwierige Aufgabe, sich von ihren Kühen zu verabschieden, aus. Obwohl eine Kuh normalerweise zwischen 15 und 25 Jahre alt wird, würden die meisten Milchbauern wohl zustimmen: „Eine alte Kuh ist schön zu haben, aber eine ist genug", schreibt ein Bauer im Forum.

Aber für einige glückliche Kühe sieht die Zukunft weniger düster aus, zum Beispiel für die, die bei der Leemweg-Stiftung, ein Gnadenhof für Rinder von Bert Hollander, unterkommen.

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Bert Hollander krault eine Kuh. Foto von Susan Meijer.

Hollander ist auf einer Milchfarm aufgewachsen und hasste es als Kind, wenn eine Kuh zum Schlachthof gebracht wurde. Er weigerte sich, Fleisch zu essen aus Angst, seine Lieblingskuh könnte auf seinem Teller landen. Als er die Farm von seinen Eltern übernahm, wollte er sie ursprünglich in ein Musikstudio umbauen—bis er zwei alte Kühe sah, die auf der Wiese grasten und er beschloss, dass Kühen genauso ein angenehmer Ruhestand zusteht wie uns Menschen. Heute kontaktieren ihn Bauern, die eine Kuh vom Schlachthof bewahren möchten.

Hollander geht mit seinen Kühen sehr liebevoll um. „Die Psychologie einer Kuh ist im Grunde die gleiche wie die eines Menschen", sagt er zu mir. „Man kann eine sehr enge Beziehung zu einer Kuh aufbauen. Sie sind schlauer als Hunde oder Katzen. Sie hören auf ihren Namen und sitzen und stehen auf Kommando.

Die Unterkunft der Kühe auf der Farm ist teuer als ein konventioneller Stall. Kühe sind erst mit ungefähr acht Jahren ausgewachsen, also brauchen sie besonders große Ställe mit Sand am Boden, damit sie es sich gemütlich machen können. Ältere Kühe leiden oft an Arthrose und anderen unangenehmen altersbedingten Leiden.

„Eine alte Kuh ist wirtschaftlich gesehen für viele Farmer eine Last", sagt Hollander. „Eine einzige Kuh kostet jeden Monat 150 Euro." Die Pflege einer Kuh, die keine Milch mehr produziert, kostet insgesamt um die 18.000 Euro. Die Bauern, die ihre Kühe hierher bringen, bezahlen jedoch nur 40 Euro pro Monat. Der restlichen Kosten werden hauptsächlich von Spenden von Leuten, die eine Kuh adoptieren, abgedeckt.

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Momentan gibt es 43 Kühe in den Ställen der Leemweg-Stiftung. Sieben Plätze sind derzeit noch frei.

Pferde werden in den Niederlanden nicht als Nutztiere gezüchtet, aber alte oder schwache Pferde werden sie oft zum Pferdemetzger gebracht. Es gibt ungefähr 45.000 Pferde im Ruhestand in den Niederlanden, aber nur 32 Altersheime für Pferde. Nur eines davon—De Paardenkamp in Soest—ist kein kommerzieller Betrieb. Das Heim wurde vor mehr als 50 Jahren gegründet, als der Besitzer beobachtete, wie ein Pferd zum Schlachthof gebracht wurde und er beschloss, dass Pferde nach der harten Arbeit, die sie ihr ganzes Leben verrichten, etwas Besseres verdienen.

Ich sprach mit der Leiterin Ijsbrand Muller, die mir schilderte, wie ein Tag eines Pferdes im Ruhestand ausseht. Sie werden inspiziert und gepflegt, hinterlassen hier und da mal einen Haufen, atmen die frische Morgenluft auf der Wiese ein, fressen und entspannen. Alte Pferde brauchen 18 Stunden pro Tag, um ihr Fressen zu kauen, weil die Zähne als erstes verfallen. Die Haare werden grau, der Rücken fällt ein und sie sehen knochiger aus. Kolik, Arthritis und diabetesähnliche Symptome sind typische Alterungsmerkmale.

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Pferde im Paardenkamp. Foto von Nikki de Kerf.

Pferde werden um die 35 Jahre alt, bei Paardenkamp gab es jedoch einmal ein Shetlandpony das 50 wurde. Ab 20 Jahren gilt ein Pferd offiziell als alt, aber die Besitzer müssen schon lange davor um einen Platz auf der Warteliste ansuchen. Die Einrichtung beherbergt 120 Pferde, während 800 noch auf der Warteliste stehen. Wer sein Pferd auf die Warteliste setzen möchte, wird automatisch zum Spender und bezahlt 15 Euro pro Jahr. Wenn ein Pferd einen Platz im Paardenkamp bekommt, muss der Besitzer die emotionale Verbindung abbrechen, besuchen darf er sein Tier noch. Aber nicht nur Besitzer, jeder darf auf die Farm kommen und die in die Jahre gekommenen Pferde streicheln.

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Auch alte Schweine müssen nicht zwangsläufig auf Tellern landen. Sie können ihre letzten Jährchen im Het Beloofde Varkensland (Gelobtes Land der Schweine), einer Non-profit-Organisation, die von Dafne Westerhof gegründet wurde, verbringen. Die Organisation nimmt Schweine auf, die sonst dem Untergang geweiht wären, egal ob sie zu alt, zu groß oder einfach zu dick sind. Sie leben zusammen mit ein paar alten Kühen und Stieren, mit denen sie im Dreck wühlen, in der Sonne baden, kämpfen, oder im Schlamm herumtollen wie eine große glückliche Familie. Und jede Woche kuscheln sie mit Fremden, die sie besuchen kommen, und werden von ihnen massiert.

An einem Sonntag besuchte ich Westerhof, um mir aus erster Hand anzusehen, wie das Leben eines Schweins im Ruhestand aussieht. Zwei Mal rutsche ich im sumpfigen Matsch fast aus, als ich versuche, über die Zäune zu klettern, um die Tiere zu umarmen.

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‚Tapferer Dodo' gefällt meine Massage. Foto von Rik Beune.

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m Schweinemassagesalon springt Tapferer Dodo—ein riesiges dickbäuchiges Schwein—plötzlich aus einem Haufen Heu hervor und geht auf mich zu. Westerhof rettete das Schwein mit der Schweineambulanz, einem ehemaligen Bus, der zu einem mobilen Operationsraum umgewandelt wurde, in dem Schweine kastriert, mit Mikrochips versehen und getestet werden. Dodo mag mich; er reibt sich so stark an mir, dass ich aus meiner Hockstellung auf den Hintern falle. Ich lasse es einfach passieren und streichle ihn weiter, bis er neben mir mit einem zufriedenen Grunzen auf den Boden plumpst.

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„Darf ich das älteste Schwein auf deiner Farm umarmen?", frage ich Westerhof. Bald schon liege ich in Löffelstellung neben La Mamma, einem riesigen Mutterschwein, das in ihrem Leben 170 Ferkel auf die Welt brachte. Sie hat hart gearbeitet und ihren Platz hier redlich verdient. Ihr letztes Ferkel durfte sie behalten und seither sind die beiden unzertrennlich. „Schweine sind wie Menschen. Sie leben lieber in Gruppen", erklärt mir Westerhof.

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Selten war ich so entspannt. Foto von Photo: Rik Beune.

Überall um mich herum sind Schweine am Chillen. Eines kackt direkt neben meinen Kopf hin, aber der Haufen wird schnell mit einem Eimer aufgesammelt. Ganz unauffällig rieche ich an dem Tier, das in meinen Armen liegt, und denke mir, dass Schweine gar nicht so stinken, wie man denkt.

Auf der Farm gibt es auch ein altes Haus, in dem Schweine mit Demenz und Gelenkproblemen rumhängen. Sonntags bekommen sie warme Apfelsauce und Apfelsaft zu futtern. „Weil Schweine den Menschen so ähnlich sind, verabreichen wir ihnen die gleichen Medikamente", sagt Westerhof, während sie einem Schwein eine Arthritis-Pille in einem Erdnussbutter-Sandwich verfüttert.

Ich habe also ein altes Schwein umarmt, wurde von einer 18-jährigen Kuh abgeschleckt und verwendete einen riesigen Stier als Rückenlehne, während mein Arm über einem seiner Hörner baumelte. In diesen intimen Momenten war ich meinem Essen näher denn je.