In den Fleischfabriken der Zukunft wird nicht gestorben
Meat cultured in laboratory conditions from stem cells

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Zukunft des Essens

In den Fleischfabriken der Zukunft wird nicht gestorben

In naher Zeit werden sie mehr wie eine Brauerei und weniger wie ein Schlachthof aussehen.

Pack deinen Cheeseburger mal kurz beiseite, denn was du gleich lesen wirst, könnte ein bisschen unheimlich sein.

In Zukunft könntest du Kakerlakenmilch trinken oder künstliche Fleischbällchen essen—was genau passieren wird, ist schwer zu sagen. Eins ist allerdings sicher: Mit der sorglosen Fleischindustrie unserer heutigen Zeit, wo Tierschlachtung im Verborgenen stattfindet und das Endprodukt dann in braunen Papiertüten durch das Drive-in-Fenster gereicht wird, kann es so nicht weitergehen.

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Die heutige kommerzielle Fleischindustrie trägt erheblich zu Erderwärmung, Umweltproblemen und natürlich Übergewicht bei. Aber wie schafft man es mit solchen mittlerweile ausgeleierten Argumenten, dass die Menschen kein köstliches Rindfleischmehr essen wollen.

Glücklicherweise gibt es Alternativen, die auch die eingefleischtesten Fleischesser überzeugen könnten. Investoren, vor allem aus dem Technologiebereich, suchen in„sauberem Fleisch"—für das keine Tiere geschlachtet werden müssen, auch kultiviertes Fleisch oder „Laborfleisch" genannt—und in pflanzlichen Fleischalternativen (nicht die labberigen, faden Veggie-Pattys) nach Lösungen für die Probleme der kommerziellen Fleischproduktion.

Bruce Friedrich vom The Good Food Institute, einer Organisation, die Forschung und politische Initiativen für solche alternativen Lösungen im Lebensmittelbereich fördert, meint, dass man die Leute ganz einfach dazu bringen kann, auf „fleischfrei" umzusteigen: Die Verbraucher wollen etwas, das gut schmeckt und einen vernünftigen Preis hat; sie wollen nicht unbedingt die Welt retten.

Wir haben mit Bruce Friedrich über die Zukunft des Essens, Technologie und „sauberes Fleisch" gesprochen.

MUNCHIES: Was genau macht das Good Food Institute?
Bruce Friedrich: Das GFI nutztWissen über Märkte und Lebensmitteltechnologien, um die landwirtschaftliche Tierhaltung grundlegend zu verändern. Wir schauen uns an, welche zahlreichen Schäden dadurch entstehen und suchen dann nach Möglichkeiten, um den Verbrauch von konventionell produziertem Fleisch, Milchprodukten und Eiern zu reduzieren.

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Das GFI tut alles, um pflanzliche Alternativen und sauberes Fleisch, Milchprodukte und Eier so verbraucherfreundlich, lecker und preislich konkurrenzfähig zu machen wie nur möglich. Unsere Expertin für Lebensmittelrecht findet heraus, welche behördlichen Schritte für einen kommerziellen Vertrieb dieser sauberen Alternativen notwendig sind. Und sie versucht, faire Voraussetzungen für die pflanzlichen Alternativen zu schaffen. Ein Beispiel: Es ist derzeit verboten, Sojamilch auf der Verpackung auch „Sojamilch" zu nennen. Das ist ein Problem, mit dem wir uns beschäftigen und das wir lösen wollen.

Mosa Meats Clean Burger

Ein Burger aus kultiviertem Fleisch von Mosa Meat. Foto mit freundlicher Genehmigung von The Good Food Institute

Das gleiche Namensproblem wird irgendwann bei kultiviertem Fleisch geben, richtig?
Ich denke, das wird ein weniger großes Hindernis als bei der jetzigen festgefahrenen, bizarren Rechtslage. Wir haben uns die sogenannten Standards of Identity der FDA, also Bestimmungen, wann ein Produkt zum Beispiel Milch oder Fleisch genannt werden darf, noch nicht genau angesehen, aber wenn darin etwas zur Methode steht, wie Rind-, Hühner- oder Schweinefleisch produziert werden muss, sind wir in der gleichen Position wie bei Milchprodukten, Eiern oder anderen Produkten.

Wie ist Ihre Beziehung zu traditionellen landwirtschaftlichen Unternehmen—ist das eine Konkurrenz?
Nun, wir hoffen, dass sie die Zeichen der Zeit erkennen und ihr Portfolio diversifizieren. Wer wäre besser geeignet, die besten pflanzlichen und sauberen Schweineprodukte herzustellen als zum Beispiel der weltweit größte Schweinefleischproduzent Smithfield? Das Gleiche gilt für die großen Hühner- und Rindfleischproduzenten.

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Wir wollen keine Konkurrenz für diese Firmen sein, sie sollen in diesen neuen Technologien die Führungsrolle übernehmen.

Warum gibt es beim Essen derzeit eine technologische und nicht eher eine kulinarische Revolution?
Wenn man mal die Leute im Silicon Valley oder Leute, die sich mit Risikokapital an einem Unternehmen beteiligen, besonders im landwirtschaftlichen Bereich, fragt, warum sie in solche Technologien mit tieferem Beweggrund investieren, dann tauchen zwei Kernfragen auf: „Wir können wir 2050 9,7 Milliarden Menschen ernähren?" und „Was können wir gegen den Klimawandel tun?"

Dann wird einem schnell klar, dass die derzeitigen Produktionsmethoden für Fleisch nicht die richtige Antwort auf diese Fragen sind, und dass sie auch sehr zur weltweiten Armut beitragen. Wir können mit unserem derzeitigen Produktionssystem für Fleisch, Milchprodukte und Eier 2050 niemals 9,7 Milliarden Menschen ernähren—außerdem trägt es ungemein zum Klimawandel bei.

MemphisMeats Cultured Meatball 2

Ein kultiviertes Fleischbällchen Memphis Meats. Foto mit freundlicher Genehmigung von The Good Food Institute

Es gibt ja den blutigen, fleischfreien Burger von Impossible Foods. Ist das nicht auch wieder ein Fall, wo wir alles auf einmal haben wollen, also Chips ohne Fett, Süßigkeiten ohne Zucker, statt darüber nachzudenken, uns selbst zu beherrschen?
Vielleicht. Ich glaube aber, dass wir, wenn wir die Möglichkeit dazu haben, Produkte herstellen sollten, die insgesamt besser sind. Natürlich sollten wir aus moralischerund philosophischer Sicht darüber diskutieren, aber ich habe die Vermutung, dass man solche Diskussionen leichter führen kann mit einem Veggie-Burger in der Hand, der nachhaltiger, umweltfreundlicher und so weiter ist, als mit einem Produkt auf dem Teller, das in entscheidendem Maße zu diesen Problemen beiträgt.

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Kultiviertes Fleisch oder auch Laborfleisch ist eine der derzeit bekanntesten Innovationen im Bereich der Agrartechnologie. Gibt es Innovationen, die genauso bedeutend sind, aber über die weniger gesprochen wird?
Eins vorweg: Der Begriff „Laborfleisch" irreführend. Wir nennen es „sauberes Fleisch", weil mehrere Studien darauf hingewiesen haben, dass sowohl Bio-Fleisch und konventionelles tierisches Fleisch unglaubliche viele Bakterien enthält, wie zum Beispiel Salmonellen, Campylobacter und E. coli.

Bei sauberem Fleisch, also Fleisch aus Kulturen ohne Tierschlachtung, gibt es diese Probleme nicht. Außerdem ist es nicht mit Hormonen oder Antibiotika aus dem Tierfutter verseucht. Jedes industriell verarbeitete Lebensmittel hat seinen Anfang in einem Labor, aber Cornflakes würde man auch nicht „Laborflakes" nennen, deshalb gibt es auch kein Laborfleisch. Wenn das saubere Fleisch irgendwann auf den Markt kommt und kommerziell vertrieben wird, dann wird es in Fabriken hergestellt werden, die einer Brauerei ziemlich ähneln.

Es wird keine riesigen Fleischlabore geben, genauso wenig wie es riesige Cornflakes-Labore oder Labore für andere verarbeitete Lebensmittel gibt. Im Übrigen ist das Fleisch naturbelassener als die Mehrheit der industriell verarbeiteten Produkte: Man nimmt nur Zellen, gibt Zucker hinzu und bringt die Zellen dazu, das zu tun, was sie in der Natur auch tun würden, zu wachsen und sich zu vermehren. Es ist also ähnlich wie bei der Joghurtherstellung oder beim Bierbrauen. Im Grunde ist es ein Fermentierungsprozess.

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Die Fleischfabrik der Zukunft wird wie eine Brauerei aussehen: Große und und auch sehr kleine Fleischfabriken mit Fleischgärtanks.

Artificial meat in gloved hand and OK sign

Fabriken für kultiviertes Fleisch werden eher wie Brauereien und weniger wie Labore aussehen, meint Bruce Friedrich. Foto mit freundlicher Genehmigung von The Good Food Institute

Sie denken also, dass man so verschiedene Produktionsmengen, den vereinzelten und regionalen Bedarf abdecken kann—für Geschäftsleute und Köche gleichermaßen sozusagen?
Auf jeden Fall, ja. In Israel steht eine Firma gerade in den Startlöchern, Super Meat. Sie produzieren Fleisch und haben die Idee, dass die Leute irgendwann kleine Fleischgärtanks zu Hause haben. Man kann sich dann die Zellen und den Zucker kaufen und mit dem eigenen Fleischmacher einen Burger, Hühnerfleisch oder was auch immer kreieren.

Das war jetzt eine etwas umständliche Erklärung, warum es kein Laborfleisch ist.

Dieses Wort gefällt Ihnen nicht so?
Na ja, es ist einfach nicht korrekt. Ich mag es nicht, weil es ein unrealistisches Bild vermittelt. Der Prozess ist viel natürlicher, als aus Mais Cornflakes zu machen.

Man nimmt einfach nur Tierzellen, gibt Zucker hinzu und lässt sie sich vermehren.

Jetzt zurück zu den anderen, weniger bekannten Innovationen: Es gibt so viele pflanzliche Proteine, die noch nicht dahingehend erforscht wurden, inwieweit man aus ihnen pflanzliches Fleisch machen kann. Das wohl innovativste pflanzliche Protein, das tierischem Fleisch am nächsten kommt ist Lupineneiweiß—in Europa schon verbreitet, in den USA verwendet das niemand.

Dann finde ich die Technologien interessant, mit denen versucht wird, die Textur von Fleisch nachzuahmen. Bisher arbeitet man bei Fleischersatzprodukten vor allem mit einem Extruder, eine Technologie, die sich seit den letzten Jahrzehnten nicht verändert hat. Wir suchen nach weiteren potenziellen Technologien, die in der Lage sein könnten, die Textur von verschiedenen tierischen Fleischprodukten zu imitieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview wurde aus Platz- und Verständnisgründen redigiert.