Anthony Bourdain hält nichts von deinem Handwerk

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Handwerker

Anthony Bourdain hält nichts von deinem Handwerk

Er hat eben eine Nase für Bullshit. Anthony Bourdain kann man nur schwer etwas vormachen.

In der Welt des Essens und des Alkohols bedienen sich Marketingexperten genauso wie Gastronomen selbst an schicken Wörtern wie handgemacht, hausgemacht oder „farm-to-table", um Gerichten und Produkten einen Hauch Authentizität und Handwerkskunst zu verliehen, die viele nicht einmal besitzen. Diese Begriffe sind aus der Slow-Food-Bewegung entlehnt und waren eigentlich für Produkte, die außerhalb der industriellen und profitorientierten Nahrungsmittelindustrie hergestellt wurden. Mittlerweile werden sie auf alles angewendet, von Ahornwasser bis hin zu Chips.

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Als Anthony Bourdain, die wohl beste Spürnase für Bullshit in der Welt des Essens, sich entschlossen hat, seine Webserie Raw Craft zu launchen, die echte Handwerker und Künstlerin den Vordergrund stellt, darunter Messerschmied Bob Kramer und Kunstschmiedin Elizabeth Brim, war ich sofort neugierig. Noch interessanter ist Bourdains Sponsorenwahl für dieses Projekt: die schottische Whiskybrennerei The Balvenie.

Ich habe mich mit Bourdain zwischen zwei Premieren zur zweiten Staffel der Webserie im Hinterraum eines Kinos in L.A. getroffen und mich mit ihm darüber unterhalten, wie der ganze „Handwerks-Hype" sich entwickelte, welche Rolle Food-Medien dabei spielten, welche Vor- und Nachteile es hat, alles selbst herzustellen, und warum die nutzlosesten Dinge manchmal die schönsten sind.

MUNCHIES: Hi Anthony. Du sagst, dass viele Leute mit dem Wort „handwerklich hergestellt" einfach nur so um sich schmeißen, das sehe ich auch so. Wie ist es dazu gekommen? Anthony Bourdain: Ich denke, das hat damit zu tun, dass große Unternehmen entdeckt haben, dass sie, sobald sie etwas „handwerklich hergestellt" nennen, mehr Geld dafür verlangen können. Sie haben herausgefunden, dass sich bessere Qualität besser verkauft. Also dachten sie sich: „Davon schneiden wir uns eine Scheibe ab. Wir müssen ja nur ein Etikett draufhauen."

Das Gleiche passiert auch in der Gastronomie, oder? Man hört doch immer wieder von „farm-to-table", selbst wenn das gar nicht so ist. Ja. Also ich denke ja, dass die meisten Produkte von einer Farm kommen und dann auf dem Tisch serviert werden. Auch dieser Begriff wird inflationär verwendet, und wie ich finde ist er auch ein bisschen prahlerisch.

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Sind Food-Medien deiner Meinung nach mit schuld daran? Ich denke, so wie sich der Journalismus verändert, ist der Druck nur verständlich. Durch visuelle Medien gab es eine wirklich interessante Entwicklung. Dadurch kann es ja mittlerweile ein Restaurant richtig zu etwas bringen. Das bringt eine interessantere Ausgangssituation, aber es setzt viele Leute auch immens unter Druck, die stundenlang vor der Tastatur sitzen, unterbezahlt in Großraumbüros, nur um erfolgreiche Storys zu generieren. Jeden Tag müssen sie eine bestimmte Anzahl an Wörtern schaffen, aber über Essen kann nur begrenzt geschrieben werden. Ein bisschen wie bei Pornos: Es ist immer wieder dieselbe Story. Meiner Meinung nach sind die Leute zögerlicher geworden, Dinge auch mal absoluten Bullshit zu nennen. Hätten wir dem ganzen Pumpkin-Spice-Wahn, dieses Kürbiskuchengewürz, schon früh ein Ende gesetzt, hätten wir der Welt damit einerseits einen großen Gefallen getan. Andererseits gäbe es jetzt auch weniger, über das man schreiben könnte: Keine Artikel, die sich über die Geißel des Pumpkin Spice aufregen, das neueste Pumpkin-Spice-Produkt in den Himmel loben oder wie komisch, abgefahren oder lachhaft das Ganze eigentlich ist.

Man braucht Themen, über die man schreiben kann und gerade beim Essen ist das ziemlich schwer. Einen Salat kann man nur mit einer begrenzten Anzahl an Adjektiven beschreiben und es gibt nur wenige Akteure. Der Druck, erfolgreichen Content zu generieren, der ist da. Dieser Ballon wird also mit viel Gas vollgepumpt, doch keiner will das Ding zum Platzen bringen, denn damit hätte man eine Sache weniger, über die man schreiben kann. Das verstehe ich irgendwie.

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Raw Craft: Anthony Bourdain mit Kunstschmiedin Elizibeth Brim. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von The Balvenie

Was war das schlechteste angeblich handwerklich hergestellte Produkt, das dir untergekommen ist? Da fallen mir die berühmten handwerklich hergestellten Chips ein—keine Ahnung, welche Firma ihren Chips dieses Label verpasst hat, aber das kommt mir sofort in den Kopf.

Oder die hausgereifte Salami, feinste Wurstwaren. Ich finde es wirklich toll, dass viele da draußen ihre eigene Wurst machen und dass eine neue Generation heranwächst, die sich diese Kenntnisse selbst beibringt, aber vieles davon ist nicht wirklich gut. Es gibt einige, die wirklich gutes Zeug machen. Vieles spricht auch dafür sich seine Salami bei anderen zu kaufen, vor allem wenn man ein Gespür für gute Produkte hat. Ich will also niemanden entmutigen, denn je mehr Leute sich dafür interessieren und etwas erlernen, desto besser. Allerdings denke ich bei Wörtern wie „hausgereift" immer, dass man es auch wirklich vor Ort herstellt—wenn nicht, sollte das Produkt wirklich verdammt gut sein, ansonsten sieht man nicht wieder.

Absolut. Man kann auch hier in L.A. in kein Restaurant mehr gehen, ohne nicht „hausgemachte" Pasta auf der Karte zu sehen. Aber gleichzeitig gibt es bestimmte Saucen, bestimmte Gerichte, die man einfach besser mit trockener Pasta macht. Besser hätte man es nicht sagen können. Wer schon mal in Italien war, weiß, dass sie für viele, also wirklich viele, Gerichte getrocknete Pasta bevorzugen. Frische Pasta ist eher saisonal oder für einen bestimmten Anlass oder bei regionalen Gerichten üblich.

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So verkehrt ist eine Packung getrocknete Pasta also nicht, mir fallen einige Marken ein, die ziemlich in Ordnung sind. Das ist also nicht immer ein Vorteil. Geht es hier um das Produkt oder den Koch? Diese Frage muss sich jeder Koch stellen. Man sollte Dinge nicht tun, nur um damit zu prahlen: „Schaut mich an!"

Mir ist aufgefallen, dass in vielen Raw Craft-Folgen Menschen auftreten, die mit ihren Händen arbeiten. Wie hast du diese Leute ausgewählt? Diese Beispiele verdeutlichen einfach am besten, worüber wir in der Serie sprechen wollen. Diese Menschen lassen die Arbeit nicht von Maschinen machen, obwohl diese das oft billiger und schneller machen könnten. Es hat also etwas sehr Visuelles, etwas, das man leicht versteht und mit dem man sich leicht identifizieren kann, man sieht direkt, wie jemand arbeitet. Den einen Tag habe ich zugeschaut, wie jemand ein Paar Schuhe hergestellt hat und mir wurde klar, wie schwer es ist, ein paar Schuhe nur per Hand zusammenzunähen.

Das hat etwas Romantisches an sich, das auch dir besonders wichtig scheint. Ist das bei allen Handwerkern so? Ich glaube, dass diese Storys bei uns allen etwas Romantisches auslösen. Diese Menschen haben den Mut, hart zu arbeiten und ein Produkt—von Hand—herzustellen, ohne dass sie wissen, ob sie genug verkaufen, damit sie für ihre Arbeitszeit entschädigt werden, dafür braucht man eine romantische Weltsicht. Und ich würde mich selbst auch als Romantiker bezeichnen. Ich bin zwarvon Natur aus zynisch, 30 Jahre in dieser Branche haben mich vor allem gelehrt, die Welt mit zynischen Augen zu betrachten. Dann ging ich ins Fernsehen, wo man denken würde, dass das noch den letzten Funken Romantik auslöschen würde, aber ich bin bestimmten Vorstellungen einfach treu geblieben, zum Beispiel dass es gute Menschen dort draußen gibt, für die es sich lohnt, sich einzusetzen und sie, wenn möglich, zu unterstützen. Es gibt noch Hoffnung, dass die Menschen aufrichtig sind und ihnen das Schöne wichtig ist—echte Liebe eben. Ich glaube immer noch daran, auch wenn das vielleicht falsch ist, aber ich nehme ihnen das ab.

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Elizabeth Brim bei der Arbeit.

Du warst ja immer extrem gegen das Establishment, warum also ein von Balvenie gesponsertes Projekt? Es ist einfach eine gute Zusammenarbeit. In den letzten 15 bis 16 Jahren wurde mir viel Sponsoringzeug angeboten. Dieses Produkt mochte ich echt und respektierte es und empfand es als cooles Projekt. Es war einfach eine tolle Idee, die auch in meinem Interesse lag. Mir ist es nicht peinlich, mich neben dieses Flasche zu stellen, ich kann ehrlich sagen, dass ich das Getränk mag und auch trinke. Egal was die Leute über diese Kombination denken, ich habe bisher noch von keinem auf Twitter oder Reddit gelesen, der diesen Whiskey absolut schlecht fand. Niemandem. Also: cooles Projekt, eine Marke, mit der ich mich wohl fühle, eine gute Zusammenarbeit.

Ich habe vor dem Interview einen Schluck probiert. Echt gut… Wirklich grandios, und wenn man sieht, wie er hergestellt wird, ist es einfach völlig genial. Ich liebe es, in diese andere Welt einzutauchen.

Wie unterscheidet sich so ein handwerklich hergestellter schottischer Whiskey von anderen? Das fand ich wirklich interessant. Ich weiß, dass er gut schmeckt, ganz sicher, ich habe einen ziemlich guten Geschmackssinn und in meinem Leben schon verschiedene unterschiedlich gereifte Spirituosen probiert. Aber das war es nicht, sondern die Tatsache, dass sie sich so unglaublich ins Zeug legen und ihn traditionell herstellen. Das hat mich wirklich begeistert.

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Sicher ist das nicht gerade kosteneffizient. Man weiß sofort, dass sie nicht wie alle anderen nachgegeben haben, die sich gesagt haben: „Wir sollten das outsourcen. Wenn wir hier noch ein Fließband reinbringen würden, könnten wir bestimmt viel Geld sparen. Wir sollten schneller produzieren." Natürlich gibt es einfachere, schnellere und billigere Möglichkeiten, aber sie halten sich an ihre Herstellungsweise und auch ihrem Personal gegenüber sind sie loyal—das passt einfach zu meinen romantischen Illusionen, wie die Welt sein sollte und könnte. Ich glaube nicht, dass wir wieder zurück ins 19. Jahrhundert gehen, und auch nicht, dass wir das tun sollten, aber wenn man so einen Ort sieht, wo die Zeit eingefroren zu sein scheint und die Leute stolz darauf sind und damit gut auskommen, dann finde ich das einfach toll.

Du bist also um die Welt gereist, hast diese Menschen besucht, dir ihre Geschichten angehört. Viele von ihnen gehören aussterbenden Gewerken an. Bei einigen wusste ich nicht einmal, dass es so etwas gibt. Da gab es dieses Vater-Sohn-Gespann, das Origami-Skulpturen macht. Ganz ehrlich, wen interessiert schon Origami? Mich nicht unbedingt. Ich habe da nie drüber nachgedacht, bis ich es gesehen habe und mir einfach nur dachte: „Oh mein Gott was ist das?" Das muss schwer gewesen sein, aber warum würde man für so ein nutzloses Produkt so hart arbeiten? Weil es schön ist.

Nutzlos… interessante Wortwahl. Na ja, man kann keinen Tisch draus machen, es hat keine Funktion, es ist einfach nur schön. Der Anblick macht einen glücklich.

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Ist das nicht die wahre Definition von Schönheit? Ich weiß. Wann hast du das letzte Mal mit jemandem über dieses Ideal gesprochen, mit ernstem Gesicht, ohne ironischen Unterton?

Eliabeth Brim [aus der Serie] machte, was ihr ihre Eltern beibrachten: Sie packte alles zusammen, zog in die Berge North Carolinas und schmiedet dort glühend heißes Metall. Wunderschöne Dinge oder eben auch absolut funktionelle Dinge entstehen dabei, wie die Messer von [Bob] Kramer. Der Markt schreit nicht nach einem so guten Messer und ich glaube nicht, dass man bei so einem arbeitsintensiven Messer erwarten kann, dass man das bekommt, was man an Zeit reingesteckt hat.

Ich bin in meinem Leben, besonders in der Gastronomie, viele Kompromisse eingegangen: Ah, du brauchst einen Ceasar-Salad mit Hühnchen, einen Hamburger und wir müssen Brunch machen. So ist das Geschäft, da sind solche Sachen notwendig. Da ist es schön Menschen zu haben, die einfach sagen: „Nein, scheiß drauf, ich mache es so, wie ich denke."

All photos courtesy of The Balvenie.

Welche „kulinarischen Handwerker" da draußen bewunderst du? Victor Arguinzoniz vom Etxebarri in Nordspanien, der seine eigenen Grills entworfen hat. Sein Essen ist einfach, er verwendet perfekte Produkte und baut diese Spezial-Grills, die je nach Produkt unterschiedlich befeuert werden. Würde man zehn Köche aus Europa fragen, wo sie gern ihre Henkersmahlzeit essen würden, dann dort. Es ist einfach spartanisch, jedes Gericht besteht quasi aus drei Zutaten. Sein Prinzip: Eiweiß, Olivenöl und Salz. Sehr japanisch. Er fokussiert sich darauf, es perfekt zu kochen. Er grillt sogar Kaviar, dafür hat er ein spezielles Gerät gebaut, das wie ein Sieb aussieht. Er gibt einfach nur ein bisschen Olivenöl hinein, befeuchtet es, dann den Kaviar hinein und röstet ihn dann. Es sieht einfach abgefahren aus. Er grillt den Kaviar über Kohlenfeuer, die Kügelchen schwellen richtig an.

Jiro [Ono] gehört natürlich auch dazu. Jeden seiner Fische serviert er bei einer bestimmten Temperatur. Er holt ihn aus dem Kühlschrank und verwendet ihn erst an einem bestimmten Punkt. Seinen Reis behandelt und formt er mit einer unglaublichen Präzision. Er schaut dich an, die Form deines Mundes, deine rechte und deine linke Hand und macht dabei seine Nigiri. Er übt jeden Tag.

Meine Antwort auf deine Frage: Alle, die mit einer perfektionistischen Besessenheit über eine lange Zeit hinweg etwas machen, das täuschend einfach aussieht. Das finde ich spannend. Nicht Leute, die versuchen viele Sachen brillant zu machen oder immer wieder Innovationen erzwingen oder versuchen, den Turm von Babel zu errichten. Sondern: „Wie mache ich die perfekte Garnele, die beste verdammte Garnele, die man je gegessen hat?" Und es gibt Leute, die genau darüber nachdenken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview wurde aus Platz- und Verständnisgründen redigiert.