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Tierrechte

Sind Veganer Menschenfeinde? Ein Interview mit Silke Ruthenberg von Animal Peace

„Darf man sich über den Tod von Menschen freuen?“ – „Natürlich darf man, kein Gesetz hindert einen daran.“
Protest gegen den Stierkampf von Aktivisten in Spanien. Bild via Imago.

Wir haben kürzlich eine Debatte aufgegriffen, die es so schon seit Längerem in veganen Kreisen gibt. Der Speziesismus ist die Idee, dass der Mensch letztlich nur ein Tier unter vielen anderen ist und ein jedes (tierische) Leben, ob Insekt oder Mensch, gleichwertig ist. Dieser Gedanke führt leider oft zu einer Rhetorik, die in den schlechtesten Momenten menschenfeindlich ist. Damit haben alle Veganer ein Problem, die sich als politische oder ethische Veganer verstehen. Denn der politische Effekt der immer größer werdenden veganen Bewegung ist gleich null, wenn es um die Massentierhaltung geht. Denn so wie die Zahl der Veganer, wächst auch die Zahl der getöteten Tiere, 2016 war ein Rekordjahr für die Industrie.

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Silke Ruthenberg ist ihrerseits eine echte Ikone der Szene, sie war schon vegan, als das in der öffentlichen Meinung noch einem Verbrechen gleichkam. Ihre große Phase hatte sie in den 90er Jahren (siehe auch das Video, welches weiter unten im Text eingebettet ist), in denen sie sich an alles kettete, was sie ablehnte. Sie provoziert weiterhin Justiz und Öffentlichkeit, vielleicht mehr denn je. Hier ist das Gespräch mit ihr in voller Länge.

Den entsprechenden Artikel dazu findet ihr hier.

MUNCHIES: Warum sprechen Sie von Menschen als Nacktaffen?
Silke Ruthenberg: Der Begriff Nacktaffe lehnt sich an den Titel eines weltbekannten Klassiker an, nämlich an das 1967 erschiene Buch „Der nackte Affe" von Desmond Morris, das die tierische Natur des Menschen zum Thema nimmt. Menschen sind schließlich auch Tiere, sie sind eine von etwa eineinhalb Millionen Tierarten, nicht mehr, nicht weniger. „Mensch und Tier" ist eigentlich so unsinnig wie „Fichte und Pflanze". Aber im Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe als Gegensätze verwendet und sie sind ideologisch besetzt. Uns ist wichtig, unsere Artgenossen daran zu erinnern, dass sie eine Tierart unter Millionen anderer Arten sind. Wir sind Tiere. Eine ideologische Überhöhung ist narzisstisch und unangemessen. Diese Kränkung tut not. Die Erkenntnis, dass wir Nacktaffen weder Mittelpunkt des Universum noch Herr im eigenen Haus sind, hat uns ja auch nicht geschadet.

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Es gibt gerade unter Tierschützern immer wieder Vorfälle, bei denen die Schoah/NS-Verbrechen als Vergleichsgröße herhalten müssen. Finden Sie das problematisch?
Wir haben kein Problem damit, Täter miteinander zu vergleichen, schon weil die Mechanismen, die einen Menschen zum Täter machen, überall relativ gleich sind. Wir vermeiden es, Opfer für einen Vergleich zu benutzen, das gebietet der Respekt vor ihrem Einzelschicksal und ihrem erlittenen Leid. Das führt auch dazu, dass wir zum Beispiel einen Herrn Asselborn kritisieren, wenn er Massenfolter und Massenmord von Tieren relativiert, indem er behauptet, Kriegsflüchtlingen gehe es in unserer Gesellschaft besser als Tieren. Dagegen verwehren wir uns ausdrücklich und vermissen entsprechende öffentliche Kritik.

Frustriert Sie der Mensch? Frustrieren Sie die wenigen Fortschritte, die das Tierrecht in den letzten Jahrzehnten gemacht hat?
Macht es Sie nicht traurig, wie unfähig sich z. B. die Kulturnation Deutschland zeigt, an er grauenvollen Massenfolter etwas zu ändern? Mich macht das schon traurig, weil es Schmerz und Verzweiflung, Ohnmacht und Tod für Milliarden bedeutet, weil der Nacktaffe unbedingt Täter bleiben will. Die Gewalt gegen die anderen Arten ist systemischer Natur, wir haben eine Täterkultur, wie es Arno Gruen gesagt hat, es ist die Geschichte unserer Art, auf den Knochen der anderen Arten zu leben. So etwas ändert sich nicht in wenigen Jahren, weil die Mechanismen, die es ermöglichen, uns alle zu Tätern zu machen, sehr tief gehen. Und schon gar nicht ändere ich es! Warum sollte ich also frustriert sein?

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Bild via Imago.

Bild via Imago

Darf man sich über den Tod von Menschen freuen?
Natürlich darf man, kein Gesetz hindert einen daran. Man darf Menschen sogar den Tod wünschen, die Literatur ist voll davon. Lesen sie mal Arno Schmidt. Wie sagte der so schön: „Hätte ich von den Göttern drei Wünsche frei, wäre einer davon, die Welt sofort von der Menschheit zu befreien." Oder Elias Canetti, der sich den Aufstand der Tiere gegen ihre Peiniger wünschte. Es wäre ja auch absurd, Menschen ihre Gefühle vorzuschreiben, wie soll das funktionieren? Und welch eine Heuchelei hätte das zur Folge? Unvorstellbar ekelhaft.

Das Entscheidende ist doch, was man mit seinen Gefühlen macht. Und wir haben bis heute keinem einzigen Nacktaffen auch nur eines seiner wenigen Haare gekrümmt. Aber zum Beispiel die Bauern und Schlächter, die haben Milliarden auf dem Gewissen. Und sie machen weiter. Für uns zählen Taten, nicht Worte. Und noch was: Statt uns mit denunziatorischer Absicht eine Freude über den Tod von Menschen zu unterstellten, sollten man auch lieber am Leseverständnis arbeiten: Bis heute haben wir uns immer nur über ein Opfer gefreut, das sich wehrt. Das sich die Gewalt nicht länger gefallen lässt. Es lohnt sich, unsere Texte, die Sie vielleicht als Ausdruck von Menschenhass deuten, anders zu lesen, nämlich vor dem Hintergrund, dass wir wirklich auf der Seite der Tiere stehen als solidarische Brüder und Anwälte. Und nicht nur so tun. Das ist unser Auftrag, es ist unser Mandat, unser Job. Alles andere wäre Verrat.

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Was bedeutet veganes Leben für Sie?
Ich lebe seit 30 Jahren vegan, es ist selbstverständlicher Bestandteil meines Lebens. Aber die Welt ändert sich dadurch nicht für die Tiere, es ist nur eine Frage der Haltung und auch der Selbstachtung. Die Welt ändert sich erst dann für die Tiere, wenn man ihnen ihre natürlichen Rechte zurückgibt, die ihnen von Tyrannenhand vorenthalten werden. Die anderen Arten verdienen Grundrechte nicht weniger als wie wir sie für uns selbst in Anspruch nehmen und ihr Leben hat einen höheren Wert, als dass es der gönnerhaften Entscheidung des Einzelnen überlassen wird, ob es geschont wird oder nicht. Und mehr ist vegan nicht, es bleibt ein Gnadenakt. Aber es ist das Mindeste, was wir tun sollten. Es ist das, was uns bleibt in einer Welt der Gewalt gegen Tiere, einer Welt der völligen Rechtlosigkeit der Tiere, wenn wir nicht Teil dieser Welt sein wollen.

Nach all den Jahren, sind Sie da noch wütend?
Meine Empathie habe ich nicht aufgegeben, wenn Sie das meinen.

Wie viele Katzen haben Sie gerade?
Deutlich weniger als der hochgeschätzte Manfred Deix, der im Juni neben seiner geliebten Frau auch viele geliebte Waisenmiezekatzen zurückließ und der den wunderbaren Satz formulierte: „Ich scheiß auf die Menschheit." Sowas trauen wir uns noch nicht ganz. Aber die Hybris des Menschen hat solche Sätze nötig, um zu einem gesunden Maß zurückzufinden.

Sind Sie radikal?
Ich bin geneigt, mit Arno Schmidt zu antworten: Ich kenne einfach niemanden, der so häufig Recht hat wie ich. Aber es ist doch völlig uninteressant, wie ich mich selbst einschätze. Es ist eine Bewertung und das soll jeder für sich entscheiden. Das hängt auch damit zusammen, wie ich das Wort „radikal" definiere. Für mich ist die Frage nicht relevant. Und die Antwort darauf übrigens auch nicht, egal, von wem sie kommt.

Wie ist ihr Verhältnis zu anderen Tierrechtsorganisationen?
Manche Parteifreunde nennen mich den Donald Trump der Tierrechte. Eine Unverschämtheit, ich habe keine Wurstfinger. Man hasst uns halt wie eh und je und das soll auch so bleiben. Wenn man von der Öffentlichkeit gelobt wird, hat man etwas falsch gemacht. Die anderen lieben uns, da kann man ja auch nichts machen. Wir heischen nicht nach Applaus, wer das tut, betreibt Wohlfühltierschutz, das ist nicht unsere Sache. Nicht meine Sache. Wenn ich den Zeitgeist vorantreiben will, muss ich eine Antithese zum Zeitgeist setzen, sonst bewegt sich gar nichts. Das hat ja schon Hegel erkennt, das ist einfach nur Dialektik. Mir hallt heute noch das Hohnlachen der 90er Jahre über uns „Veganer" in den Ohren. Und heute? Machen sie alle in „vegan" und vergessen, dass das ein langer harter Weg war. Das wurde nicht geschenkt.

Sie sind sehr besorgt um die Sprache. Dem Spiegel haben Sie vor Jahren gesagt, man dürfe Mörder nicht Schweine nennen, weil das dem Ansehen der Schweine schade und zu einem Klima beitragen würde, in dem es akzeptabel ist, diese Tiere zu töten. Warum ist ihre Sprache über Menschen dann so hart?
Das habe ich gesagt? Aber es stimmt. Ich würde auch nie ein Schwein als „Bauer" beleidigen. Im Übrigen differenziere ich stark. Meine Sprache ist scharf, und zwar genau dann, wenn es sich um Täter handelt, aber sie ist immer noch nicht scharf genug. Ich übe noch. Und es wird Ihnen sicher nicht entgangen sein, dass Nacktaffen, die sich als Partner und Freunde der anderen Arten beweisen, den uneingeschränkten Applaus bekommen. Aber die Gewalt der Täter, die unter jedem Menschenmörder stehen, weil sie noch nicht einmal eine Strafe für ihren Mord, für ihr Foltertreiben befürchten müssen und zur Brutalität auch noch die Feigheit kommt, verdient nicht Relativierung und erhobenen Zeigefinger, sondern die ehrliche Ächtung. Es gibt ja noch kein Recht, das ihnen gerecht wird und die Antwort gibt, die an der Tat gemessen wird. Und was wäre das auch für ein Anwalt, der die Seite der gegnerischen Partei vertritt ? Ein Waschlappen. Ein Mandantenverräter.

Vielen Dank für das Interview, Frau Ruthenberg.