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Restaurant Confessionals

Aus dem Leben eines Deliveroo-Fahrers

Von Hunden gebissen, von Autos angefahren, von Kunden angeschrien, angespuckt und bedroht: Das Leben als Lieferkurier ist nicht einfach.
Photo via Flickr user Fabrizio Lonzini

Willkommen zurück zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt. Dieses Mal erzählt uns ein Londoner Fahrradkurier von seiner Arbeit für Deliveroo, einen Lieferservice, der seinen Kunden Essen aus den besten Restaurants der Stadt in weniger als einer halben Stunde liefern will.

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Taxifahrer in London nennen die Deliveroo-Fahrer auch gerne „Flöhe", weil sie, wie sie sagen, überall kreuchen und fleuchen. „Ey, ist das da ein Sarg auf deinem Rücken?", rief mir ein Fahrer einmal zu und meinte weiter: „Den wirst du auch verdammt nochmal brauchen." Dann drückte er aufs Gaspedal und rauschte haarscharf an mir und meiner Lieferbox vorbei.

OK, ich verstehe schon. Deliveroo-Fahrer stehen sozusagen am unteren Ende der Nahrungskette der Straße, weil wir jeden einfach nur nerven. Wir schneiden den Leuten ständig den Weg ab und fahren riskanter als andere Kuriere—aber das müssen wir auch, um das 32-Minuten-Zeitfenster einzuhalten, das uns fürs Abholen und Ausliefern des Essens bleibt.

Letzten Monat hat mich ein Taxifahrer über den Haufen gefahren und sich dann einfach aus dem Staub gemacht. Ich lag da auf der Straße und hielt mir die Hand, die zum Glück nicht gebrochen war. Das wäre das Aus für mich und meinen Job gewesen. Allerdings musste ich mein Fahrrad für über 100 Pfund [circa 125 Euro] reparieren lassen, was ich natürlich aus eigener Tasche bezahlen durfte.

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Es gibt zwei Must-Haves als Deliveroo-Fahrer: ein Fahrrad (oder einen Roller) und ein Smartphone. Wenn du diese Anforderungen erfüllst, kannst du an einem sonderbaren halbtägigen Training im Deliveroo-Hauptquartier teilnehmen, gleich hinter den überteuerten Möbelläden der Tottenham Court Road.

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Ich ging also vor vier Monaten ins „Roo HQ", wie die Leute von Deliveroo es die ganze Zeit nennen, um dieses Training zu absolvieren. Zu siebt saßen wir in einem stickigen Raum und guckten uns das firmeneigene Einführungsvideo an, in dem immer wieder betont wurde, wie wichtig Sicherheit ist und dass wir unsere Helme abnehmen sollen, wenn wir den Kunden das Essen ausliefern. Die meisten Fahrer werden über kostenlose Anzeigen bei Gumtree oder durch Mundpropaganda angeworben. Es gibt keinen Vertrag, also ideal für Studenten, die flexibel arbeiten wollen, aber ich kenne auch ein paar Leute, die das als Vollzeitjob machen.

Am schlimmsten ist es, wenn man nach Mitternacht ausliefern muss, weil dann gut 85 Prozent aller Kunden besoffen sind. Einmal ist eine Gruppe von Kunststudenten, die es auf meine Deliveroo-Jacke abgesehen hatten, auf mich losgegangen, hat mich bedroht und verfolgt.

Beim zweiten Teil des Trainings hat mir ein Mann mittleren Alters dabei zugesehen, wie ich mit dem Rad durch Soho fahre, um festzustellen, ob ich für andere Verkehrsteilnehmer (und wahrscheinlich auch für die Anwälte von Deliveroo) eine Gefahr bin. Dann bekommst du von der Firma eine Outdoorjacke, Hosen, ein mobiles Ladegerät und eben die riesige Thermobox.

Ich hasse diese Box. In meiner ersten Woche habe ich in einem der Fächer mal einen Teil einer Bestellung vergessen. Bis ich das bemerkt hatte, war meine Box mitsamt Inhalt schon geklaut. Dem Kunden das schonend beizubringen war natürlich schwierig, aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was ich erlebt habe, wenn das Essen zu spät kam.

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Es ist nicht meine Schuld, wenn das Restaurant das Essen nicht schnell genug zubereitet, aber selbst wenn ich mich bei den Kunden dafür entschuldige, rasten einige komplett aus. Einmal hat mich eine Frau angeschrien: „Na vielen Dank, dass sie uns das letzte gemeinsame Abendessen für die nächsten Monate mit meinem Vater ruiniert haben!" Das wird mir ewig im Kopf bleiben.

Am schlimmsten ist es, wenn man nach Mitternacht ausliefern muss, weil dann gut 85 Prozent aller Kunden besoffen sind. Einmal ist eine Gruppe von Kunststudenten, die es auf meine Deliveroo-Jacke abgesehen hatten, auf mich losgegangen, hat mich bedroht und verfolgt.

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Ein Typ hat mich mal angespuckt, weil er meinte, ich sei „Stunden zu spät gekommen" (obwohl ich pünktlich war). Einmal stand ich vor der Tür, keiner hat aufgemacht, aber sie war einen Spaltbreit offen. Ich habe mich in die versiffte Bude geschlichen und fand den Typen im Flur bewusstlos auf dem Boden liegend, also habe ich die Pizza neben ihm hingestellt und bin gegangen.

Oft bitten dich Kunden auch, dass du für ein ordentliches „Trinkgeld" ein paar Extras für sie abholst, natürlich nicht von Deliveroo. Bisher war alles dabei: von Brötchen vom Backshop bis hin zu Gras. Viele der Kunden sind auch total bekifft und haben einen Fressflash—man könnte also ein Vermögen damit verdienen, wenn man als Zweitgeschäft noch Drogen und Alkohol ausliefert.

Andere Fahrer haben mir erzählt, wie sie von Hunden gebissen und von Autos über den Haufen gefahren wurden—einer humpelt deshalb jetzt. Der Job hat zwar nicht gerade viele Vorteile, aber einer der Fahrer hat so Frauen abgeschleppt und beim Ausliefern immer einen Anmachspruch parat gehabt. Freitags gibt es von Deliveroo kostenlos Mittagessen und sie bezahlen teilweise die Mitgliedschaft im Fitnessstudio, um so die besten Fahrer in der Stadt für sich zu gewinnen.

Aber bei einem Stundenlohn von 7 Pfund [circa 8,90 Euro], zuzüglich 1 Pfund pro Lieferung, 1,50 Pfund pro Liter Sprit [circa 1,25 bzw. 1,90 Euro] und Trinkgeld, werden das wohl nur Studenten und dickbäuchige Ex-Uber-Fahrer, die ihren Führerschein verloren haben, durchhalten können.

Aufgezeichnet von Emma Ledger.