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Kopenhagen

In Kopenhagen kann man gratis einkaufen

In Kopenhagen eröffnet der erste „gratis” Supermarkt, in dem Online-Rezensionen über Produkte als Zahlungsmittel verwendet werden. Kurz gesagt, ein begehbarer Werberaum für alle Marken, die in den Regalen vertreten sind. Ist dieses neue „Tryvert...

Unsere Welt erstickt nahezu an Rezensionen über Essen.

Restaurantkritiker beschreiben ausführlich ihre jüngsten Restaurantbesuche in ihren Kolumnen und sorgen entweder dafür, dass die Lokale aus allen Nähten platzen oder für Wochen keine Gäste mehr zu sehen kriegen—je nach dem, ob es ihnen geschmeckt hat oder eben nicht. Auf TripAdvisor gibt es über 200 Millionen Rezensionen und Meinungen über fast zwei Millionen verschiedene Restaurants und eine endlose Zahl an Foodbloggern tun unverblümt ihre Meinung über alles von Michelin-Sternerestaurants bis hin zu Popcornpackungen mit ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen, die sie von irgendeiner übermotivierten PR-Firma gratis zugeschickt bekommen haben, kund. Jeder, der ein bisschen Vergewisserung braucht, was er essen soll und wann, findet online irgendwo eine Rezension zu jedem x-beliebigen Lokal.

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Stell dir aber mal vor, es gäbe Rezensionen über die Geschäfte, in denen du täglich einkaufen gehst. Stell dir vor, dein Supermarkt des Vertrauens hätte einen Kommentarfeed in Echtzeit und die Kunden könnten ihre Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) mit ihren Einkäufen bewerten. Stell dir vor, du könntest deine Einkäufe mit Online-Rezensionen bezahlen.

Der erste „gratis" Supermarkt (mit dem Namen Freemarket) eröffnet dieses Wochenende im Kopenhagener Stadtteil Frederiksberg. Das Konzept nennt sich „Tryvertising"—kein unbekannter Ausdruck in der Welt der Trends. Die Kunden registrieren sich vor ihrem Einkauf online, gehen dann ins Geschäft und nehmen sich, was auch immer sie wollen oder brauchen. Das Limit liegt bei zehn Artikeln pro Monat. Anschließend müssen sie die Produkte probieren und innerhalb eines gewissen Zeitraums eine Rezension verfassen. Falls sie das nicht tun, müssen sie eine Strafe von 19 kroner (ca. 2,50 Euro) bezahlen. Noch einmal so viel wird jedem Kunden monatlich verrechnet, um die physischen Betriebskosten des Supermarkts zu decken.

Warum macht man so etwas? Für einen objektiven Beobachter wie mich, ermöglicht dieses Konzept Leuten einfach, neue Dinge gratis auszuprobieren. Was mit dem minimalen Aufwand verbunden ist, anschließend eine kleine Rezension verfassen zu müssen.

Vielleicht auch nicht. Konsumenten haben heutzutage enorme Macht—auf Social Media, Blogs, in Kommentaren und in Foren für Kundenfeedbacks. Das Internet kann für den Erfolg eines Produkts ausschlaggebend sein und Hersteller haben das mittlerweile auch schon gerafft. Die meisten erfahrenen Online-Shopper verlieren bei Pop-Ups, Ad-Bannern und aufdringlichen Werbungen, die mitten im Bestellvorgang auftauchen, die Geduld. Das nervt unglaublich. „Tryvertising" ist eine neue Art, Leute dazu zu bringen, verschiedene Dinge vor dem Kauf auszuprobieren (Autos, Kaffee, diese albernen Snackboxen, die man sich zuschicken lassen kann) und so mehr Leute zu erreichen.

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Für einen objektiven Beobachter wie mich, ermöglicht dieses Konzept Leuten einfach, neue Dinge gratis auszuprobieren.

Es ergibt durch aus Sinn. Die Generation C (C steht für Content) will keine invasive Werbung, die das neueste Bier anpreist, während sie gerade dabei sind, sich Proteinpulver im Internet zu bestellen. Sie wollen sich die Meinung auf der Basis eines greifbaren Produkts bilden und es dann kaufen, weil es ihnen gefällt.

Ich frage mich unweigerlich, wohin dieses Konzept möglicherweise in der Zukunft führen wird. Werden die Leute wirklich ein Joghurt oder ein Käse von der Marke kaufen, die sie vom Freemarket kennen und die ihnen ganz gut schmeckte? Darauf zu zählen, erscheint mir relativ riskant, obwohl es auf die Verhaltensmuster der Konsumenten von heute aufbaut. Auch wenn den Leuten ein bestimmtes Produkt gefallen hat, würden sie nicht einfach zurück zum Freemarket gehen und es sich gratis holen? Ich bin mir sicher, dass ich es so machen würde.

In der Welt der Restaurants ist das Blogger-essen-für-eine-Rezension-gratis-Konzept immer noch sehr verbreitet. Das Restaurant oder die PR-Firma übernimmt die Kosten für das Essen in der Hoffnung, dass ein Blogger mit einer annehmbaren Follower-Base die Leser dazu bringt, ebenfalls dort hinzugehen. Oft geht das auch nach hinten los (in manchen Fällen in gigantischem Ausmaß) und—ob du dem zustimmst oder nicht—in der Gastronomie ist man sich allgemein einig, dass manche Blogger das schamlos ausnutzen.

Macht das aber nicht jeder ein bisschen mit Dingen, die gratis sind? Wir kennen alle jemanden—alle meine Freunde und Familienmitglieder sind insgeheim soziopathisch veranlagt—, der ein bisschen geschwindelt hat, um etwas von einer Firma gratis zu bekommen? Eine meiner Freundinnen aß einmal ein KitKat Chunky, das ausschließlich aus Schokolade bestand. Keine Waffel. Was machte sie? Sie aß das ganze Ding (nachdem sie ein Foto davon gemacht hatte) und schickte einen Brief an Nestlé, indem sie ausführlichst beschrieb, wie enttäuscht sie darüber war, dass sie ihr die tägliche Nascherei versaut haben. Sie schrieb, ihre Erwartungen an KitKat Chunkys wären dadurch zerstört worden und dass sie deswegen sehr traurig ist. Daraufhin schickte Nestlé ihr ein ganzes Paket voll KitKat Chunkys und einen Brief, der vor Reue nur so strotzte.

OK, meine Freundin ist vielleicht ein Arschloch, aber für eine bestimmte Generation—prä-Generation C, also die vor 1988 Geborenen—funktioniert Tryvertising auf lange Sicht vielleicht nicht. Wir mögen Sachen, die gratis sind, einfach viel zu gerne. Ich bin gespannt, wie die Geschichte ausgeht.