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Die kurze Geschichte der Würze – Was wird aus Maggi?

Die in ihrer Form typische Maggi-Flasche ist eine Ikone. Die Universalwürze ist zwischen dem Saarland und Ghana beliebt. Doch wer besitzt noch eine Flasche?
Bild: Imago

Wer würzt eigentlich noch mit Maggi?

Frühjahrsputz in der WG-Küche. Meine Mitbewohner räumen das Gewürzregal auf: „Die olle Maggiflasche kann direkt in den Müll wandern, oder?" Irgendwie haben sie ja Recht. Aber neulich konnte ich nicht anders, als ich die braun-gelb-rote Flasche mit dem langen Hals im Supermarktregal stehen sah: Ich habe sie gekauft, wollte mich einfach mal wieder vom „gewissen Tröpfchen Etwas" verzaubern lassen.

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So wie früher an Omas Küchentisch, als Maggi der Universalwürzer für beinahe jedes Essen war: vom Frühstücksei bis zur Festtagssuppe. Doch man sieht die Maggiflasche nur noch höchst selten. Zumindest kenne ich niemanden, der eine zu Hause hat. Dass ich meine Maggiflasche überhaupt noch besitzen darf, ist übrigens meinen kompromissbereiten Mitbewohnern zu verdanken: „Okay, du darfst dein Maggi behalten, aber bitte stell die Flasche etwas weiter hinten ins Regal, damit das niemand sieht." Die Maggiflasche ist in der WG-Küche das schwarze Schaf in einer Herde aus laktosefreier Milch, Bio-Flohsamenschalen und Chia-Samen.

Unter dem Namen „Boullion Extract" fing 1886 alles an

Wenn das der alte Julius Maggi (eigentlich „'madʒi" ausgesprochen, sein Vater war Italiener) gehört hätte. Dem Schweizer gelang im Jahr 1886 eine Erfindung, die seinen Namen in die Welt hinaus getragen hat: „Maggi's Suppenwürze", die anfangs noch „Bouillon Extract" hieß.

Wenige Tropfen der Würze gaben selbst der fadesten Speise einen herzhaften Geschmack. Seit 130 Jahren würzt Maggi Suppen, Saucen und Salate. Und das mittlerweile weltweit, vom Saarland bis nach Afrika. In Deutschland sind, laut Maggi-Pressestelle, im Jahr 2015 fast 18 Millionen Flaschen der Würze verkauft worden.

Ein Fleischwurstkringel mit vier Maggi-Flaschen

Ein Großteil davon, so der Volksmund, geht ins Saarland: Das Saarland gilt als deutsche Maggi-Hochburg. In den Fünfzigerjahren verhalfen die dort ansässigen Bergbauarbeiter der Würze zum Erfolg. Denn sie liebten kräftiges Essen, das sie fast immer mit Maggi abrundeten. Der „saarländische Adventskranz" zeugt bis heute von dieser besonderen Leidenschaft: Er besteht aus einem Fleischwurst-Kringel und vier Maggi-Flaschen anstelle der Kerzen. Das ist ziemlich sicher kein Scherz.

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Und auch in Westafrika kennt man Maggi, wie das WDR-Verbrauchermagazin „Markt" herausfand: In Ghana schmecke alles nach Maggi—zu Hause, im Restaurant und an der Straßenecke. Sogar Sterneköche schwören darauf. Dahinter steckt der Nestlé-Konzern, zu dem Maggi seit 1947 gehört. Nestlé, der größte Lebensmittelhersteller der Welt, schickt Promoterinnen auf Märkte im ganzen Land, um die Würze feilzubieten. So ist Maggi in Ghana dermaßen allgegenwärtig, dass viele Ghanaer sogar glauben, dass es eine afrikanische Marke sei.

Maggi inspiriert Künstler

Die in ihrer Form typische Maggi-Flasche ist eine Ikone. Wenn es nach dem Künstler Thomas Bayrle geht, ist die Tischwürze sogar so etwas wie die deutschsprachige Antwort auf Coca-Cola: „Sie ist ein Archetyp in Form und Substanz, Elixier im modernen Industriezeitalter, tropfend und klebrig. Die Amerikaner haben sich Coke, die Deutschen Maggi geschaffen."

Auch Joseph Beuys ließ sich für sein Objekt „Ich kenne kein Weekend" (1972) von der Maggi-Flasche inspirieren: In einem Koffer befestigte er eine Maggi-Flasche neben einem Reclam-Heft mit Kants „Kritik der reinen Vernunft" und wollte—nach Deutung von Sachkennern—damit die Verwandlung von Materie in Geistiges darstellen.

„Deutsche Sojasoße": Kappe auf, Tropfen raus

Maggi steht für Einfachheit. Wenn man ein Maggi-Produkt kauft, ist es die größte Herausforderung, die Packung zu öffnen. Im Falle der Tischwürze bedeutet das: Kappe auf, Tropfen raus—fertig. An der Rezeptur der Maggi-Würze habe sich in den vergangenen 130 Jahren nur wenig verändert: „2006 haben wir die Rezeptur leicht verändert. Diese Umstellung führte zu einer leichten Veränderung des Geschmacks, der ein bisschen an Sauerteig erinnert. Zahlreiche Geschmackstests mit Verbrauchern bestätigen uns aber, dass der charakteristische Geschmack der Maggi-Würze unverändert ist", gibt die Maggi-Pressestelle Auskunft. Die Herstellungsweise erinnert dabei ein wenig an die von Sojasauce: „Es handelt sich bei der Basis unserer Maggi-Würze um biologisch aufgeschlossenes Pflanzeneiweiß. Bei der Herstellung wird dieses in seine Bausteine—die Aminosäuren—zerlegt und das charakteristische Aroma der Würze entsteht."

18 Millionen Maggi-Flaschen lügen nicht

Dass Maggi vom Aussterben bedroht ist, davon könne keine Rede sein. 18 Millionen verkaufte Flaschen lügen nicht, der Umsatz sei stabil. Doch wer kauft diese zig Millionen Maggiflaschen? Alte Leute? „Im Gegenteil: Die Einführung der ‚Maggi-Würze Hot' zeigt, dass es noch viel Potenzial gibt. Maggi ist auf kein Alter beschränkt und wird von jüngeren und älteren Verbrauchern geschätzt und verwendet." Meine Mitbewohner schätzen Maggi jedenfalls nicht so sehr. Zurück in der WG-Küche. Es ist drei Uhr morgens. Ich bin angetrunken, drei, vier große Bier müssen es gewesen sein. Die Mitbewohner schlafen schon längst. Ich öffne die Backofentür—Jackpot! Kalte Quiche! Und ich weiß auch, was ganz hinten im Gewürzregal steht. Mein „guilty pleasure" nachts um drei heißt seit kurzem Maggi.

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