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Syrien

Wie man für 20.000 syrische Flüchtlinge Abendessen kocht

Das Bab al-Salam Binnenflüchtlingslager an der Grenze zur Türkei beheimatet tausende von Syrern, die durch den anhaltenden Bürgerkrieg aus ihren Heimatorten vertrieben wurden. Jeden Tag versuchen die Küchenarbeiter das Beste aus den geringen Ressourcen...

In der Küche, in der Hisham Khalifa arbeitet, ist es drückend heiß und laut. Das Gebäude ist ein Notbehelf mit Fliesen, die nicht zusammenpassen und überall stehen unheimlich große Kochtöpfe herum. Es ist eine der vielen Einrichtungen, die im Bab al-Salam Binnenflüchtlingslager, einer Zeltstadt an der türkischen Grenze innerhalb Syriens mit 20.000 Einwohnern, aus dem Boden schießen. Der Geruch von kochendem Fleisch vermischt sich mit Abwasser, Körpergerüchen und Benzin von den Generatoren des umliegenden Camps zu einem ekelerregenden Gestank. Staub, der unvermeidlich ist, wird in die Küche gewirbelt. Zum Glück machen Hisham und seine Köche den Gestank mit ihrem freundlichen Lachen wieder wett, mit dem sie uns begrüßen.

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Bab al-Salam ist ein elender, überlaufener Ort. Fast alle Binnenflüchtlinge kommen aus der Provinz Aleppo. Viele von ihnen kamen hierher mit der Hoffnung auf einen Zufluchtsort oder sogar in die Türkei zu flüchten. Um die Zeltstadt wurden neue Explosionsschutzwände errichtet, die häufig Ziel von Selbstmordanschlägen des IS sind. Hisham und seine Familie leben schon seit zwei Jahren in Bab al-Salam, obwohl ihre Heimatstadt Azaz nur gut einen Kilometer entfernt ist. Wie viele andere sind sie vor den Assad-Jets geflohen, die Azaz bombardieren. Die Stadt litt enorm unter den drei Jahren Krieg und viele, wenn nicht sogar die meisten, haben die Stadt verlassen. 2012 wurde Azaz zum Schauplatz einer berüchtigten Auseinandersetzung zwischen der FSA (Freien Syrischen Armee) und dem Assad-Regime. Später wurde sie vom IS eingenommen, der die Gegend sechs Monate lang beherrschte, aber schließlich von moderateren Streitkräften vertrieben wurde.

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Zum Kochen werden riesige Töpfe verwendet.

Wie alle hier, fühlen sich Hisham und seine Familie hier gefangen. Obwohl das Lager nie als permanente Lösung vorgesehen war, sind die weißen UNRWA-Zelte, in denen die Familien leben, mittlerweile vom Staub der letzten drei Jahren schon orange gefärbt. Die Flüchtlinge setzen sich langsam mit dem Gedanken auseinander, vielleicht eine ganze Generation unter diesen rauen Bedingungen aufziehen zu müssen. Sie müssen ständig um die Gnade der Natur sowie um Essen und Basisdienstleistungen von Hilfsorganisationen hoffen, denen die Bewohner komplett ausgeliefert sind. Die kleine Armee von Freiwilligen und Arbeitern wie Hisham haben Schwierigkeiten, die Zeltstadt am Leben zu halten. Wir beobachten sie, wie sie verzweifelt versuchen, den Müll wegzuräumen und mit offenen Kanalisationsröhren fertig zu werden, die eine ständige Gesundheitsgefahr darstellen. Das Essen in Bab al-Salams einziger Küche wird von der türkischen Regierung bereitgestellt, was die türkischen Flaggen auf der Arbeitskleidung mehr als deutlich machen. Die türkische Flagge weht über der Grenze im Wind, ein paar hundert Meter vom Lager entfernt, neben einer Flagge der FSA. Die Syrer haben hier den Glauben in den Westen schon lange verloren und die meisten sehen die Türkei und die Golfstaaten als einzige Wohltäter.

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Kinder stellen sich für das Essen an und machen das Friedenszeichen.

Zusätzlich zum Essen, das Hisham und seine Mitarbeiter zubereiten, hat ein provisorischer Markt am Rande des Flüchtlingslagers eröffnet. Hühner rennen frei umher, die früher oder später geschlachtet und verkauft werden, Zelte wurden in Süßigkeitengeschäfte umgewandelt, die außerdem einfaches Spielzeug für Kinder verkaufen. Unter einer blauen Plane verkaufen Kinder Eis aus einem Kühlschrank, der mit einem Generator betrieben wird. Es hat sich eine eigenartiges Wirtschaftssystem innerhalb der Grenzen der Zeltstadt entwickelt, aber nur die wenigsten können sich leisten, etwas zu kaufen. Der Großteil ist völlig auf das Essen aus Hishams Küche angewiesen.

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Eine improvisierte Metzgerei.

Die Essensknappheit ist in Bab al-Salam ist jedoch nicht annähernd so schlimm wie in den belagerten Teilen Syriens. Der Hungertod ist eine Lieblingstaktik des Assad-Regimes, die zu einer Knappheit im Yarmuk-Lager in Damaskus und mehreren anderen Orten führte. Die Leute in Bab al-Salam sind zwar froh, dass sie nicht wie viele andere ihrer Landsleute vor Hunger sterben, aber trotzdem werden sie bei weitem nicht satt.

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Kinder kratzen die letzten Reste aus einem Topf.

Das Abendessen kommt einer Raubtierfütterung gleich. Kinder kommen in Schwärmen angerannt und schaufeln das Essen auf ihre Teller. Manche essen mit ihren bloßen Händen und versuchen jeden letzten Bissen des Reis, Fleischs oder des Milcheintopfs auszukratzen. Das Essen sieht eher unappetitlich aus, es ist grau und körnig. Für die Kinder ist es aber ein Festmahl. Die schlechte Qualität des Essen spiegelt die limitierten Ressourcen wider. Hisham und seine Mitarbeiter geben ihr Bestes, um die Zutaten und Lieferungen aus der Türkei in etwas genießbares zu verwandeln. Während wir einige Fotos schießen, kommt eine alte Frau mit traurigen Augen auf uns zu und fragt uns, ob wir irgendetwas zu essen haben. „Nein, haben wir nicht. Das tut uns sehr leid", murmeln wir und blicken mit schlechtem Gewissen auf den Boden, weil wir genau wissen, dass wie ein richtiges Abendessen bekommen, sobald wir wieder über der Grenze in der Türkei sind. Wir mussten noch nie hungern, im Gegensatz zu ihr.

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Kinder verkaufen verschiedene Dinge für ihre Familien.

In der Küche will Hisham wieder zurück an die Arbeit. Bevor wir gehen, fragen wir ihn noch, was er über die Bombe denkt, die kürzlich ein Gebäude in Azaz zerstörte. „Darüber habe ich nichts zu sagen. Ich habe keine Hoffnung mehr für Azaz", antwortet er nüchtern. Als ich ihn frage, ob er vor hat, irgendwann aus dem Lager auszuziehen und mit seiner Familie zurück nach Azaz zu gehen, antwortet er nur mit einem „Inschallah".

Wie für Millionen von Syrern, ist eine Rückkehr nach Hause für Hisham derzeit zu gefährlich. Trotz der unsicheren Zukunft seiner Familie, kämpft er gerne für sein Heimatland und dient als Chefkoch tausenden von Landsleuten.

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Hisham öffnet einen riesigen Topf Milch.

„Wirst du jeden Tag so weiter machen?", fragen wir ihn.

„Jeden Tag", antwortet er mit stiller Entschlossenheit.