Wenn aus Essen surreale Kunst wird

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Food fotografie

Wenn aus Essen surreale Kunst wird

In ihrem Kochbuch ,Papalosophy‘ vermischen Joel Serra Bevin und Aldo Chacón Kochen, Fantasie und kindliche Neugier auf beeindruckende Art und Weise: Traditionelle Rezepte werden illustriert mit skurril-bizarren Fotos.

Manchmal entsteht geniale Kunst ganz zufällig.

Im August 2012 war Joel Serra Bevin noch Community Manager bei EatWith in Barcelona, damals noch eine Start-up-Plattform, die Menschen mit Interesse für besondere Gastro-Events miteinander vernetzte. Der 28-Jährige, der sich das Kochen selbst beigebracht hatte, hat außerdem seine eigenen Dinner-Partys, Kochkurse und Pop-Up-Events veranstaltet, alles unter seinem kulinarischen Pseudonym „Papa Serra". Zur gleichen Zeit fotografierte Aldo Chacón für Modemagazine in Barcelona, New York und Deutschland, suchte aber nach neuen Möglichkeiten, sich kreativ zu entfalten. Food-Fotografie erschien dem damals 25-Jährigen da genau das Richtige: Er kommt aus einer Kochfamilie, seine Mutter war professionelle Köchin in Mexiko und den USA.

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Die beiden haben sich im Januar 2013 getroffen und schnell kam ihnen die Idee eines gemeinsamen Projektes, obwohl sie beide wenig berufliche Erfahrung im Kochen, in Food-Fotografie oder im Verlagswesen hatten. Da sie zudem mittlerweile auf unterschiedlichen Kontinenten leben, kam die Zeitverschiebung erschwerend hinzu.Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist Papalosophy, ein beeindruckendes 210 Seiten starkes Kochbuch mit 80 Rezepten und einer Ansammlung skurriler und abgefahrener Fotos. Das Kochbuch, das noch im Februar auf den Markt kommen soll, konnte nur mithilfe einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne im letzten November auf die Beine gestellt werden.

Ich habe mich mit Joel und Aldo unterhalten, um herauszufinden, wie sie kulinarische Erfahrungen kreativ festhalten und wie sie die Leute zum Kochen anregen wollen.

MUNCHIES: Wie habt ihr euch kennengelernt? Stimmte die Chemie von vornherein? Joel Serra Bevin: Die Idee zu einem Kochbuch kam mir schon Jahre bevor ich Aldo beim Launch von EatWith traf. Aldo hatte mich angeschrieben, weil er für uns Fotos machen wollte. Wir waren ja nur ein Start-up ohne Geld, also meinte ich: „OK, fotografier das hier doch mal zur Probe." So haben wir uns kostenlose Fotos erschlichen. Die Fotos [die Aldo gemacht hat] waren irgendwie unrealistisch und ich wusste, dass er für dieses Projekt überhaupt nicht geeignet war. Er wollte verrückte Dinge tun, wir als Firma brauchten aber etwas Einfaches. Aber ich mochte seinen rohen Stil. Ich dachte, wir könnten gut zusammenpassen.

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Aldo Chacón: Obwohl Joel ja mein Auftraggeber war, habe ich mich nie gefühlt, als würde er mir als Koch einfach Vorschriften machen und das Werk dann am Ende als sein eigenes verkaufen. Ich konnte meiner Kreativität freien Lauf lassen und da ich nie [professionelle] Fotografie studiert habe, habe ich die Dinge einfach auf mich zukommen lassen. Relativ schnell hat uns die Küche als Location nicht mehr gereicht. Am Ende haben wir bei allen Fotos ein bisschen improvisiert.

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Welches war die größte fotografische Herausforderung im ganzen Prozess, also zwischen Konzept und Umsetzung? Aldo: Es war insgesamt ein wirklich langer Prozess, mehr als zwei Jahre hat es gedauert, weil wir beide noch als Freiberufler nebenher tätig waren und es schwer war, gemeinsam Zeit zu finden. Dann mussten wir uns auch über die Rezepte Gedanken machen, denn wir wollten etwas Cooles machen und brauchten dafür gute Locations und so weiter. Das hat auch viel Zeit in Anspruch genommen. Außerdem hatte Joel gut 400 Rezepte zur Auswahl…

Bei den Fotos war es dann schwierig, weil nicht immer das herauskam, was wir auch wollten. Bei einem einzigen Rezept hat es manchmal ewig gedauert, die perfekten Fotos zu schießen, also war es insgesamt unmöglich, sich an eine fixe Deadline zu halten. Aber dieses Chaos hat dann auch sehr einzigartige Momente geschaffen, Momente in denen einfach alles passte und wo wir es einfach durchgezogen haben.

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Joel: Wir dachten natürlich, dass es einfacher wird. Wir machen die Fotos, finden einen Verleger, die machen dann ihr Ding und schicken uns am Ende das Geld. Am schwierigsten war die Crowdfunding-Kampagne für uns.Sowas hatten wir noch nie gemacht und das war wirklich anstrengend.

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Viele der Fotos sehen ziemlich surreal aus. Ist das beabsichtigt? Aldo: Wenn Fashion, Fantasie und kindliche Neugier zusammenkommen, entsteht immer ein surrealer Effekt. Das ist, als würde ein Kind zum Fischmarkt gehen, nur um mal die Innereien eines Fisches zu sehen. Oder beim Foto mit der Schinkenkeule: Kinder verkleiden sich gern und tun dann den ganzen Tag so, als seien sie Superhelden, als wäre das völlig normal. Solche Kindheitserinnerungen geben einem dann auch als Erwachsenen Lust darauf, mit Essen zu spielen.

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Joel: Ich denke dabei immer an Künstler wie Dalí, Gaudí und Magritte, meine Lieblingskünstler aus dem Surrealismus, die mich auch am meisten beeinflusst haben. Wir haben versucht, das in die Bilder einfließen zu lassen, aber manchmal ist das auch einfach spontan entstanden. Die Tomaten am Strand zum Beispiel: Wir haben sie einfach hingelegt und dann ging auf einmal diese alte Frau daran vorbei. Das hat das Foto perfekt gemacht.

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Welches Fotoreihe magst du am meisten und warum? Joel: Die Lachse am Strand. Wir haben zuerst die Lachskrawatte fotografiert und dann den Lachs zwischen U-Bahn-Türen. Das hat uns wirklich inspiriert. Wir hatten diesen riesigen Lachs und haben einfach immer weiter gemacht. Am Strand haben wir dann sozusagen Baywatch nachgespielt und ich habe den Lachs gerettet. Aldo filmte mich für das Video beim Sprinten. Um uns herum waren diese ganzen Touristen, die sich alle entspannten und dann kam ich auf einmal angerannt, sprang über sie drüber und tauchte ins Wasser, um dann mit dem Lachs in der Hand wieder hochzuschnellen. Wir mussten immer wieder woanders drehen, weil uns die Leute teilweise bedroht haben. Einfach unglaublich.

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Aldo: Wenn ich mich jetzt so zurückerinnere, ist das Cover glaube ich mein Lieblingsbild. Als Joel diese Baby-Tintenfische gekauft hatte, dachte ich sofort, die sehen aus wie kleine Finger. Also wollten wir etwas mit Händen machen. Das hat aber mit der Beleuchtung irgendwie nicht funktioniert. Jedes Mal, wenn wir in einer Sackgasse feststecken, beziehungsweise eigentlich bei jedem Foto, habe ich Joel gezwungen, die Situation irgendwie zu retten. Beim Cover habe ich ihm gesagt, er soll die Tintenfische in seinem Gesicht reiben. Dann hat er aber nicht aufgehört und hat mit seinen Haaren und seinem ganzen Kopf weitergemacht.

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Wie sollen eure Leser Papalosophy verstehen? Aldo: Die Leute sollen zu ihrem Kühlschrank gehen und sich fragen: „Was könnte ich heute kochen?" Es soll Erinnerungen an ihre Zeit als Studenten wachrufen, als sie nur vier Zutaten und eine Packung Spaghetti im Haus hatten, aber unbedingt etwas Gutes kochen wollten, weil sich ein Date angekündigt hat. Das Buch ist sozusagen die visuelle Interpretation von Joels Kochstil vermischt mit meinen eigenen Kocherinnerungen.

Joel: Wir wollten ein Kochbuch machen für Menschen, die Fotografie, Kunst, Barcelona und Essen lieben. Aber sie sollen nicht einfach in ihrer Küche sitzen und die Rezepte kochen, sondern das Buch aufmerksam durchlesen und dabei lachen, vor Erstaunen platzen und so weiter. Wir zwar meist sehr bescheiden, aber das Buch hat ein paar starke kulinarische Momente. Zwanzig Prozent der Rezepte kommen aus der traditionellen spanischen Küche. Das Buch soll Leser ansprechen, die fantasievoll sind und aus den Rezepten etwas wunderbar Kreatives machen.

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Aldo: Ja genau. Denn am Ende ist es eben ein Kochbuch.

Vielen Dank für das Gespräch!