Wir haben Muffins aus Hirn gebacken – um etwas Gutes zu tun
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Innereien

Wir haben Muffins aus Hirn gebacken – um etwas Gutes zu tun

Endlich geht es mal um die "inneren" Werte. Genug mit den Wortspielen, wir machen Omas Hirnpofesen!

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Österreich.

Als ich klein war, gab es bei meinen Großeltern sonntags immer das beste Essen. Der Moment, in dem mein Opa versehentlich seine Feiertagskrawatte in die Sauce tunkte, war genauso fester Bestandteil dieser Tradition wie feine Suppen in allen Variationen. Anstatt Buchstabennudeln oder Frankfurter Würstel bekamen wir oft Hirnpofesen als Suppeneinlage serviert. Und niemanden hat das gewundert oder gestört.

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Um zu beweisen, dass es sich bei so einem Gericht nicht um eine "Affenhirn auf Eis, Dr. Jones?"-Situation handeln muss, habe ich Omas Rezept ausgegraben und koche es nach. Familiennostalgie pur und Essen für Zeiten, in denen es ohnehin an Hirn fehlt.


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Auf Innereien, besonders auf Hirn, reagieren die meisten Menschen heutzutage eher skeptisch, wenn nicht sogar mit Ekel. Dabei gab es, wie man in vielen Kochbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts – nicht nur in Omas – herauslesen kann, besonders im mitteleuropäischen Raum viele alltägliche Speisen aus Herz, Nieren und anderen tierischen Organen. Und gerade Hirn beinhaltet eine erstaunlich hohe Menge an Vitaminen – beinahe 20 – sowie Eiweiß und einen Haufen Cholesterin. Ja gut, und Fett, aber Fett schmeckt, das ist Allgemeinwissen.

Für mich sind Innereien auf dem Teller relativ normal, in meiner um die Wette kochenden Familie stehen sie immer wieder am Speiseplan. Mit dem Bruder streite ich um die mitgeschmorten zarten Nierchen, eingewickelt im Fleisch von Mutters Kalbsbraten. Und aus den Knochen jeder Rindssuppe muss natürlich das Mark ausgesaugt werden, was klingt und aussieht wie eine Zombie-Attacke.

Lecker Schweinehirn in seiner natürlichen Form

Als ich als Kind vor Omas Hirnpofesen saß, fand ich den Gedanken, dass ich ein tierisches Cranium kaue, sogar lustig. Aber jetzt, mit dem ganzen rohen Organ in der Hand, bin ich doch etwas verunsichert.

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Beim Auspacken der eineinhalb Schweinehirne, die ich sehr günstig, aber nur auf Vorbestellung, beim Metzger bekommen habe, fällt sofort der Geruch auf. Er irritiert mich etwas, weil er wie rohes Fleisch riecht, nur süßer, und subtil beißend, ein bisschen wie Nasenbluten. Ich merke, dass die "mutige" Bereitschaft, mir außergewöhnliche Speisen in den Mund zu schieben – Insekten-Spieße im Urlaub und ähnliches – etwas anderes ist, als solche mittlerweile ausgefalleneren Gerichte selber zuzubereiten.

Ich wasche das Hirn und hacke es in kleine Stücke. (Auch kein Satz, den man oft von sich gibt.) Es hat eine schlabbrige Konsistenz, wie "Slimy", dieses Schleimspielzeug aus den 90ern.

Hirn hat einen speziellen biochemischen, ungewohnten Geruch

Erst röste ich fein geschnittene Zwiebeln und Petersilie in einer Pfanne an, dann menge ich das Hirn dazu. Da ist auch wieder dieser spezielle biochemische, ungewohnte Geruch. Einerseits erweckt er nostalgische Erinnerungen an damals in Omas dampfender Küche und andererseits scheint er deplatziert, als ob er mehr in ein Krankenhaus oder auf ein Pflaster gehört. Ich werde dadurch langsam skeptisch, weil ich weiß schließlich nicht, wie "schlechtes Hirn" riechen oder aussehen würde.

Sobald das Hirn nicht mehr blutig und rosa ist, gebe ich drei gequirlte Eier dazu und rühre um, bis diese stocken. Salz und Pfeffer dazu, und dann nehme ich die Pfanne vom Herd. Mit dieser Masse Grauer Zellen bestreiche ich 5 bis 6 Scheiben aufgeschnittene Semmeln. Die belegten Brotscheiben tauche ich kurz in Milch und wende sie direkt in Ei und Semmelbrösel.

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Statt Semmeln kannst du auch Toastscheiben als Unterlage verwenden

Anschließend backe ich sie in Fett heraus – meine Empfehlung wäre Butterschmalz. Danach sehen die panierten Pofesen von oben plötzlich aus, wie man sich ein richtiges Hirn vorstellen würde – viel mehr als das echte Hirn am Anfang im schleimigen Rohzustand.

Die Hirnpofesen sind fertig und kommen in die Suppe, optisch erinnern sie an Muffins. Da "Pofesen" im österreichischen Sprachgebrauch hauptsächlich Süß- und Mehlspeisen beschreibt, scheinen sie dem Namen nach zu urteilen gelungen zu sein.

Rinderbouillon mit Gemüse passt am besten zu dieser saftigen Einlage. Ich muss gestehen, ich war bis zum Schluss unsicher, ob mir Omas Gericht gelingen und es denn auch essbar sein würde.

Das Original-Rezept von Oma

Wie sich jetzt herausstellt, völlig grundlos: Die Hirnpofesen schmecken ausgezeichnet. Es ist ein angenehmer und sehr voller Geschmack, ähnlich dem von Knochenmark, und zum Glück nicht gewöhnungsbedürftig intensiv, wie zum Beispiel bei anderen Innereien wie Leber. Die Textur ist auch nicht mehr slimy, sondern extrem cremig. Das Hirn zergeht mir auf der Zunge.

Ich mochte Innereien immer gerne. Als Kind, als mir einfach egal war, was da in meiner Suppe schwimmt, und als Erwachsener, da sie super schmecken und man sich irgendwie cool fühlt, Organe zu snacken. Erst beim Zubereiten von Innereien merkt man, wie sich die allgemeine Wahrnehmung wirklich verändert hat. Dieser Teil altbewährter Küche ist zu einer Außenseiterzutat mit exzentrischem Ruf geworden. Filet-Fleisch ist das Einzige, was zählt.

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In Österreich ist Innereienküche zum Glück noch verbreitet: Blutwurst oder Blunz'n ist beliebt, ebenso das Beuschel, quasi ein Eintopf aus Lunge und Herz.

So sehen die fertigen Hirnpofesen als Suppeneinlage aus

Auch Leberknödel, gebacken oder gekocht, sowie Milzschnitten – wie bei Oma – gibt es immer noch als Suppeneinlagen und Hausmannskost, wenn auch eher in ländlichen Regionen. Bei einem Besuch auf dem Bauernhof schwammen Dutzende Hühnerherzen in meiner Suppe, als wären es Backerbsen.

Suppe, also ausgekochte Essensreste wie Gemüseschalen und Knochen, ist schließlich das ultimative Arme-Leute-Essen. Delikate Einlagen dafür zu machen, aus den schmackhaften Resten des geschlachteten Vieh, ist eine einfache, urige Art zu Kochen, die Verschwendung ablehnt.

Natürlich wird bei diesem Gericht die Rindsbouillon selbst gemacht

Rinder werden bis zu 800 Kilo schwer und unsere eher pingelig und verwöhnt gewordenen Essgewohnheiten sind verantwortlich dafür, dass weniger als ein Drittel davon nach der Schlachtung für unseren Verzehr verarbeitet wird. Und das, obwohl die ganze Welt unter den Folgen der Massentierhaltung leidet.

Auch wenn es ungewohnt ist und vielleicht einen Moment Überwindung kostet, lasst uns Innereien eine Chance geben. Wir sollten uns wieder einen ökonomischeren Fleischkonsum anlernen, der auf Verarbeitung im maximalen Ausmaß basiert. Herz, Leber, Lunge, Magen, Milz, Blut und Hirn schmecken richtig zubereitet fantastisch. Also, fass dir ein Herz und koch mit Hirn!

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