Der mit dem Käse tanzt

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Käse

Der mit dem Käse tanzt

In der Brust von Clemens Castan schlagen zwei Herzen: eins für Techno und eins für Käse. Nachdem er jahrelang Technopartys organisiert und Drinks gemixt hat, wurde ihm klar, dass seine eigentliche Leidenschaft stinkender, würziger Käse ist.

In der Brust von Clemens Castan schlagen zwei Herzen—eines für Techno, eines für Käse. Jetzt eröffnet das Mitglied des Kollektivs Tanz durch den Tag mit Jumi Wien seinen eigenen Käseladen.

Vergiss das Bild, das du von Käsehändlern hast. Bei Clemens Castan, erfährst du nicht nur, wie die Schweizer Rohmilchkäse in der Vitrine seines Wiener Käseladens zu ihren kuriosen Namen gekommen sind, sondern auch wo die nächste wilde Technoparty steigt und mit welchem Käse du dir am Tag darauf genüsslich deinen Kater auskurierst.

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Ende März geht in Wien eine neue Käse-Crowd an den Start. In ihrer Heimat haben sich Jürg Wyss und Mike Glauser (=Jumi) mit ihren unkonventionellen Käsen längst einen Namen gemacht, für ihren dritten Standort nach London haben sie sich mit Clemens Castan zusammengetan. Der stammt nicht etwa wie Mike aus einer Käserfamilie, sondern hat zuvor in Wiens bekanntester Technobar Drinks gemixt und mit dem Kollektiv Tanz durch den Tag, einige der größten Outdoor-Technopartys im öffentlichen Wiener Raum mitorganisiert. Als Praktikant bei Jumi hat er tagsüber Käse an die Londoner Gastronomie verkauft und sich nachts die Füße auf geheimen Lagerhallenpartys wund getanzt. Danach war klar, dass sein Herz nicht nur im 4/4-Takt, sondern auch für gut gereifte Teile aus Rohmilch schlägt.

In dem rustikalen Laden im achten Wiener Bezirk wird Indie-Käsekunst abseits von populären Schweizer Sorten zelebriert. Die Käse stammen zum größten Teil aus den drei Käsereien der Familie Glauser und tragen lustige Namen wie Hanfmutschli, Blaus Hirni oder La Bouse, was soviel wie Kuhfladen bedeutet. Der wohl bekannteste Export ist aber die Belper Knolle. Ein 16 Wochen lang getrockneter Frischkäse mit Himalayasalz und Knoblauch in schwarzer Pfefferhülle, der nicht nur wie ein Trüffel aussieht, sondern sich auch ähnlich wie dieser über Gerichte hobeln lässt und Pasta, Gemüse oder Fleisch einen ordentlichen Würze-Bums gibt.

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Ich habe Clemens vor der Eröffnung in der Lange Gasse 29 besucht und mich von ihm auf seinen verrückten Weg von der Tanzfläche aufs Käseparkett mitnehmen lassen.

vitrine_jumi

MUNCHIES: Mal ehrlich, Clemens, stand Käsehändler werden jemals auf deinem Plan? Clemens Castan: Nein, das stand nie auf meinem Plan. Als Halbfranzose bin ich zwar ziemlich früh zum Käse gekommen. Wenn ich in Frankreich die Familie besucht habe, gab's schon als kleines Kind nach dem Essen immer Käse. Ich bin damit aufgewachsen, aber Job-Option war's für mich keine. Als ich vor acht Jahren nach Wien gekommen bin, hatte ich eine Bekannte aus einer Vorarlberger Käseproduzenten-Familie und wir haben rumgesponnen, mal einen Käsestand zu machen, mehr wurde daraus aber nicht.

Für Techno hat dein Herz schon immer geschlagen? Genau, Techno gehört hab ich schon seit ich zwölf bin. Früher war ich immer auf Techno- und auch Goa-Partys im Schwarzwald, später dann hab ich nebenher in der bekanntesten Techno-Bar in Wien, der Donau-Bar, gejobbt und bin in die Wiener Szene reingerutscht. Zu Tanz durch den Tag bin ich über einen Barkeeper-Kollegen gekommen. Damals waren wir noch recht klein und haben immer wieder Feste gemacht, auf denen ich neben dem Studium als Barkeeper oder Security mitgeholfen habe. Das Kollektiv und die lieben Menschen waren letztendlich auch ein Grund, warum ich in Wien geblieben bin. Sonst wäre ich vielleicht in Hamburg geblieben, wo ich meinen Zivildienst gemacht habe, oder nach Berlin in die Techno-Hauptstadt gezogen.

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j1

Wie kommt man als Human- & Sozialökologie-Student und Technoparty-Veranstalter zum Käse? Ich hab eigentlich ein Jahr Medizin studiert und danach Internationale Entwicklung. Dann bin ich zu Human- und Sozialökologie gekommen. Dort hat mich mein Studienkollege, Christian, angesprochen, ob ich Lust hätte, was mit Käse zu machen. Er hat mir damals die E-Mail mit dem Praktikumsangebot von Jumi für die Schweiz weitergeleitet. Christian hat mich übrigens auch dazu angestiftet, mit ihm die Aufstricher (Anm.: ein Catering mit kreativen Aufstrichbroten) zu gründen.

Du hast dich also zum Praktikum auf in die Schweiz gemacht, gelandet bist du dann aber in London, richtig? Zu Beginn des Praktikums dachte ich, ich würde mehr Käse machen. Aber durch mein Mundwerk bin ich ziemlich schnell im Verkauf gelandet. Weil der Bedarf am neuen Jumi-Standort in London gerade groß war, haben sie mich geradewegs nach England geschickt. Was natürlich supergeil war! Klar waren wir in London auch feiern und haben uns angeschaut, wie die Szene dort aussieht. Nach den Markttagen am Samstag haben wir uns in den roten Bus gesetzt, sind eingeschlafen, auf einer Party wieder aufgewacht und haben in den Sonntag reingefeiert. Ein paar Leute von den Partys haben uns dann sogar am Markt besucht.

Beim Feiern darf es für dich gerne mal bunt und glitzernd zugehen. Passt das zu einem bodenständigen Produkt wie Käse? Zum bunten Käse von Jumi auf alle Fälle, weil sich das Unternehmen von vornherein von vielen konventionellen und traditionellen abhebt. Jumi ist viel kreativer, freakiger und ausgeflippter. Dass ich jetzt einen Käseladen aufmache, hat überhaupt viel mit den Jumis zu tun. Weil sie eine coole Philosophie haben, was ihre Produkte und die Unternehmensführung angeht, und weil ich einfach hinter den Leuten stehen kann. Bei Jumi kommen die verschiedensten Leute zusammen—von Landwirten über Studenten bis hin zu Käsern, Köchen und Metzgern. Ein bunter Haufen, der gemeinsam etwas auf die Beine stellt. Auf ein normales Unternehmen mit einer 40-Stunden-Woche hätte ich keine Lust. Das, was ich mache, macht mich aber glücklich und so denk ich nicht daran, dass ich gerade arbeite.

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hanfmutschli_jumi

Was war dein verrücktestes Erlebnis als frisch gebackener Käseverkäufer? Meine erste Aktion bei Jumi in London war, dass ich beim Buckingham Palace angerufen hab, um der Queen die Belper Knolle zu verkaufen. Ich hab also mit dem Chefkoch der Queen geredet und der hat mich gefragt, ob ich überhaupt weiß, wo ich da anrufe. Und ich so: „Ja klar, beim Buckingham Palace, oder?" Er meinte dann: „Genau! Hier kann man nicht einfach so anrufen und Käse verkaufen, da muss man ein geprüftes Unternehmen sein und der Prozess dauert sehr lange." Im Endeffekt war er aber interessiert und hat gemeint, er schaut sich das mal am Borough Market an.

Wie bist du vom Käsepraktikanten zu deinem eigenen Käseladen gekommen? Während dem Praktikum war ich zirka sieben Monate größtenteils in London und ab und zu in Bern, zur Olympiade ging's dann noch mal für ein paar Wochen nach London. Nach einem Jahr zurück in Wien hab ich dann gemerkt, dass mir das am Markt stehen fehlt. Ich hab mich also mit Mike und Jürg, den beiden Gründern von Jumi, zusammengesetzt und geschaut, ob's möglich wäre, einen Käsestand auf einem Wiener Markt aufzumachen. So bin ich dann am Yppenmarkt gelandet und hab angefangen, Käse auf einer umfunktionierten Totenbare mit einer Kühlvitrine darauf zu verkaufen. Da in Wien auch einige andere Jumi-Praktikanten leben, haben wir uns dann gedacht, wir machen hier einen gemeinsamen Laden auf. Bern, London und Wien sind ja auch drei tolle Städte.

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Bei der Einrichtung in eurem Laden wart ihr kreativ und habt selbst Hand angelegt. Bei Jumi gibt's ein paar Tüftler, die für den Wiener wie auch den Londoner Standort selbst Kühlgeräte aus Holz gebaut haben. Wir haben uns dann entschieden, die ganze Elektrik auf Putz zu machen, weil das schön aussieht und praktischer ist. Zuerst hatten wir Hanfkabel geplant, da die aber zu dünn waren, haben wir jetzt kupferrote Textilkabel. Außerdem haben wir viele gebrauchte Sachen gekauft—von den Lampen bis zum Waschbecken—und echt viel selbst gebaut.

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Früher hast du Tage und Nächte zu elektronischer Musik durchgetanzt, jetzt verkaufst du Hanfkäse an Rohmilch-Freaks. Eine Wendung um 180 Grad oder gibt's da Parallelen? (lacht). Hui, hui. Also, ich hab nicht inhaliert, ich ess nur den Hanfkäse von Jumi! Viele sehen Hanf in erster Linie als Droge, gleichzeitig ist es aber eine Kulturpflanze, die seit langer Zeit auch anders genutzt wird und sehr gesund ist—ob in Form von Hanfsamen oder Hanföl, die beide im Hanfmutschli (Anm.: Schnittkäse mit gerösteten Hanfsamen) enthalten sind. Viele Leute bleiben bei uns wegen dem Hanfblatt-Aufdruck auf dem Käse stehen, einige kaufen ihn auch ohne ihn überhaupt probiert zu haben—lustigerweise auch oft Großmütter für ihre Enkel.

Bleibst du Tanz durch den Tag trotz neuem Laden weiterhin erhalten? Momentan ist es schwer, weil ich nicht mehr so viel Zeit habe und so flexibel bin wie früher. Mit meinem eigenen Käseladen kann ich mich nicht mehr wochenlang für TDDT engagieren. Dieses Jahr kann ich kaum Aufgaben übernehmen, was schon ein wenig weh tut, wenn die Freunde alle in der Vorbereitung sind. Aber ich werde sicher zumindest als Gast auf die Feste gehen und kann es bestimmt auch nicht lassen, irgendwo mitanzupacken. Soweit ich kann, bring ich mich ein.

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Wird's im neuen Laden auch Musik und Käsepartys geben? Ich hab zu meinen beiden Mitarbeitern Natalie und Veit gesagt: „Es gibt einen Laptop und die Playlist mach ich." Und klar wird das Techno sein. Zumindest wenn ich arbeite, wird im Hintergrund elektronische Musik laufen. Für mich passen Käse und Techno einfach gut zusammen.

Wer sind deine liebsten Techno-DJs und welchen Käse würdest du zu ihrer Musik empfehlen? Sehr geil find ich schon immer den Franzosen Laurent Garnier. Dazu müsste es schon was Härteres sein—ein 18 Monate alter Emmentaler zum Beispiel. Der schmeckt wesentlich würziger als das junge, gummiartige Zeug aus dem Supermarkt. Zu den alten Sachen von Johannes Heil vielleicht den Abe Rot, ein schöner Rotschmierkäse. Der dritte Raum galoppiert eher dahin mit der Musik, dazu fände ich einen Blauschimmelkäse wie den Blauen Schnee ganz schön.

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Welchen Kater-Käse empfiehlst du nach einer durchtanzten Nacht? Hanfmutschli passt da sicher nicht schlecht, Aarewasser oder Appenberger. Wenn ich einen Kater hab, find ich halbharte, cremigere Käse gut.

Jumi Wien, Lange Gasse 29, 1080 Wien Mi-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 9-15 Uhr Käse von 2,20€-7€ pro 100g