Magnus Nilsson hat die Bibel über die Nordische Küche geschrieben

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Magnus Nilsson hat die Bibel über die Nordische Küche geschrieben

Magnus Nilsson betreibt eines der besten Restaurants der Welt, sammelt selbst hyperregionale Zutaten, kümmert sich um seine Familie und hat trotzdem noch die Zeit gefunden, ein Kochbuch zu schreiben: Nordic Cookbook—eine Sammlung von Rezepten...

„Ich sehe mich nicht als Wikinger, ich sehe mich als Entdecker. Vielleicht ist es an der Zeit, mir die Haare schneiden zu lassen."

Ich unterhalte mich mit dem schwedischen Chefkoch Magnus Nilsson. Es gibt Toast und Eier, ich schlürfe meinen Kaffee und warte darauf, dass ein Wanton in sein Eigelb fällt. Tut es aber nicht.

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Chef Magnus Nilsson. All photos courtesy Magnus Nilsson, The Nordic Cookbook.

Magnus Nilsson ist Chefkoch im Fäviken, ein Restaurant 800 Kilometer nördlich von Stockholm, das mit seiner roten Holzfassade wie ein Leuchtturm in der unberührten schwedischen Landschaft steht. Nilsson betreibt eines der besten Restaurants der Welt, sammelt selbst hyperregionale Zutaten, kümmert sich um seine Familie und hat trotzdem noch die Zeit gefunden, ein Kochbuch zu schreiben: The Nordic Cookbook. Darin hat er Rezepte aus ganz Skandinavien zusammengetragen und stellt die Leute, die Landschaft, die Zutaten und Zubereitungstechniken dieses pittoresken Teil der Welt vor.

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„Der Sinn hinter dem Ganzen ist, die nordische Esskultur in einen Kontext zu setzen", erklärt Nilsson und öffnet sein goldgelbes Ei. „Die meisten der Rezepte sind sehr zugänglich."

Wir sprechen anscheinend nicht über Blodplättar mit Rentierfett oder von gekochten Robbeneingeweiden mit Walfischspeck und schwarzer Krähenbeere.

„Ich habe nachgezählt. Es gibt ungefähr 50 Rezepte in dem Buch, die sehr schwierig nachzukochen sind", sagt Magnus Nilsson ganz ernst. „Aber sie gehören trotzdem in das Buch, um das kulturelle Phänomen der nordischen Küche zu erklären und den Kontext zu liefern. Die restlichen 680 Rezepte beinhalten kein Rentier und keinen Papageientaucher."

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Ist viel Fleisch dran an einem Papageientaucher? Schmeckt das überhaupt?

„Ja, das tut es", antwortet Nilsson. „Das Komische an diesen Seevögeln ist, dass sie nach Fisch schmecken, wie Hering oder Makrele."

Die Recherche dauerte drei Jahre und führte Nilsson nach Finnland, Norwegen, Dänemark, auf die Färöer-Inseln, nach Island, Grönland und natürlich durch sein Heimatland Schweden.

„Der Norden umspannt so ein großes Gebiet", erklärt er. „Das Besondere ist, dass ein Großteil der nordischen Küche zu Hause zubereitet wird und nicht in Restaurants. Wenn man in ein Restaurant in Madrid geht, dann wird man sehr wahrscheinlich auf der Karte ein typisch spanisches Gericht finden. Aber wenn man in ein Restaurant in Stockholm geht, dann wird man kein traditionell schwedisches Gericht auf der Karte finden. Deshalb kann es manchmal schwierig sein, den Zugang zur nordischen Küche zu finden. Man muss die richtigen Leute kennen, die einen zum Essen zu sich nach Hause einladen."

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Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als durch die Küchenschränke und Rezepte von netten Fremden zu stöbern. Hat er auf seiner Recherchereise irgendwelche unerwarteten Zutaten entdeckt?

„In Island habe ich von einer Zutat gehört, von der ich noch nicht mal wusste, dass es sie gibt", antwortet Magnus Nilsson. „Es ist die isländische Variante eines fermentierten Eis. Sie legen die Eier in Löcher, bedecken sie dann mit Asche aus ihren Öfen und räuchern sie so. Der Geschmack ist sehr intensiv und schwefelig. Diese Methode wird aber nur von ungefähr 400 Leuten in einem Teil der Insel benutzt."

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Das Geheimnis, Neues zu entdecken, liege darin, neugierig zu sein, so der Koch.

„Ich war ungefähr zwölfmal auf den Färöer-Inseln. Spannend wird es, wenn die anfängliche Aufregung weicht und man anfängt, die Nuancen festzustellen", sagt er. „Ich nehme mir extra ein paar Tage mehr Zeit auf meinen Trips. Man trifft man jemanden, kommt ins Gespräch und plötzlich sitzt man an ihrem Tisch uns isst eine Wildschwein-Wurst. Am nächsten Tag geht man mit jemandem Eier auf einem Felsen sammeln. Man muss sich für neue Dinge öffnen, dann passieren sie auch."

Seine Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen gehört wohl zu seinen stärksten Charakterzügen. Ursprünglich fing er im Fäviken als Sommerlier an, nachdem er sich als Koch eine Auszeit genommen hatte, um über Wein zu schreiben. Wenn man ihm so zuhört, war Essen aber schon immer ein Bestandteil seines Lebens.

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„Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist, wie ich mit einem Buttermesser auf dem Bauernhof meiner Großmutter eine Gurke in Scheiben geschnitten habe. Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war, ungefähr drei oder vier", erzählt der Schwede und sticht mit einer Gabel in eine Kirschtomate. „Keiner aus meiner Familie hat etwas beruflich mit Essen zu tun. Mein Vater ist Physiotherapeut und meine Mutter kauft alte Möbel auf und restauriert sie. Im Herbst sind wir natürlich Blaubeeren sammeln gegangen und so etwas."

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Was sind fünf Zutaten, die der Koch, Abenteurer, Autor und Vater mit auf eine einsame Insel nehmen würde?

„Salz, Kartoffeln, eine große Tüte Brokkoli-Samen, Essig und einen großen Sack Getreide", antwortet Magnus schließlich. Das wäre ja eine ziemlich vegetarische Insel. „Das wäre OK. Solange ich Brokkoli habe, ist alles gut."

Brokkoli ist anscheinend nicht der einzige Vitaminlieferant im hohen Norden.

„Vitamin C ist auch in Walfischspeck enthalten. Ich weiß nicht wieso, aber es dort enthalten", erklärt er. „Ein Experte aus jeder Region hat mir geholfen. Die Frau aus Grönland war halb Inuit, halb Dänin. Sie erzählte mir, als sie klein war, wurde alles von der Robbe verwertet: die Fenster bestanden aus getrockneter und aufgespannter Robbenhaut, der Seifenstein wurde mit Robbenspeck geölt und zu essen gab es Robbenfleisch."

Zusammen mit Fotograf Erik Olsson fing der abenteuerlustige Koch die Romantik der nordischen Kultur mit den Stränden und Beeren, mit den steilen Klippen und den Holzhäusern ein. Was war das erste Gericht, das er für seine Frau zubereitet hat? Hat er sie mit Lachs oder Walspeck erobert?

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„Wir kannten uns schon länger", antwortet er und lässt seinen Kopf leicht nach hinten kippen, als würden die Erinnerungen hinter seinen Augen ablaufen. „Ich war damals 18 Jahre alt. Sie hat mich verlassen und ist nach London gezogen. Dann trafen wir uns auf einer Mittsommer-Party wieder. Das Erste, was ich für sie gekocht habe, war wahrscheinlich Hering oder Graved Lachs, einer dieser Smörgåsbord-Klassiker auf jeden Fall."

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Heutzutage ist Nilsson besser bekannt für Jakobsmuscheln, die über brennenden Wachholderzweigen gekocht werden, oder für den geschmorten Rentierknochen. Der wird in den kleinen Speiseraum des Restaurants getragen, am Platz zersägt und dann wird das Knochenmark herausgelöffelt.

„Wir haben damit aber vor ungefähr zwei Jahren aufgehört", sagt mir Magnus. „Das war ein tolles Gericht, ich mag es immer noch. Aber es wurde zu einem Problem, weil es ein fester Bestandteil der Karte wurde, sodass wir nichts anderes mehr machen konnten."

Das Gericht wurde zum Klotz am Bein?

„Ja, genau. Vielleicht bieten wir es bald wieder an", antwortet er. Man muss sich aber keine Sorgen machen, denn er hat viele andere spannende Rezepte.

„In Italien gibt es Panettone, was traditionellerweise mit Sauerteig mit Kuhkot hergestellt wurde", sagt er mit großen Augen. „Sie haben die Bakterien des Kuhdungs verwendet, um daraus Sauerteig zu machen. Im Laufe des Herstellungsprozesses wurde der Teig immer weiter verarbeitet, sodass am Ende nur der Sauerteig übrig blieb. Aber die Ursprünge sind interessant. Wir arbeiten momentan an einem ähnlichen Rezept, bei dem wir für den Sauerteig Silage verwenden."

Silage-Sauerteig, gesammelte Beeren, gehobeltes Rentiersteak und Eier von Klippen. Magnus Nilssons Leben als Koch ist aufregend und voller Abenteuer. Aber wie man in Schweden sagt: „Det kommer inga stekta sparvar flygande i din mun" — es kommen keine gebratenen Spatzen in deinen Mund geflogen.