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Französische küche

Warum die Franzosen dringend einen kulinarischen Neuanfang brauchen

Das Problem ist der Guide Michelin.

Leg dich nie mit Franzosen oder ihrem Essen an. Das musste ich auf die harte Tour lernen.

Ehrlich gesagt wollte ich anfangs gar nicht nach Lyon. Ich bin eigentlich nach Europa gekommen, um eine Art kulinarische Pilgerreise zu machen: Ich wollte jedes Land bereisen, in jedem Michelin-Restaurant essen und alles sehen. Doch am Ende kommt es im Leben meist anders als man denkt.

Einen Job zu finden war echt schwer. Ich habe mich wirklich überall in Frankreich beworben, doch niemand wollte mich nehmen, was daran lag, dass ich kein einziges Wort Französisch sprechen konnte und weil wir in Australien keinen Guide Michelin haben. Doch die französische Mentalität ist so: Wenn du nicht in einem Sternerestaurant gearbeitet hast, dann bist du nicht gut genug. Das ist verdammter Schwachsinn. Es geht nicht darum, wo du gearbeitet hast, sondern darum, was du weißt und was du kannst.

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Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des Autors

Irgendwann habe ich dann einen Job in einem der berühmten Lyoneser Restaurants bekommen. Dieser Laden war ein Schock für mich: Der zuständige Koch schrie die ganze Zeit rum und warf mit Löffeln nach den Leuten, er schubste sie teilweise sogar, sodass sie irgendwann kündigten, weil sie den Druck nicht mehr aushielten. Ich blieb und dachte mir nur: „OK, das ist wohl eine klischeehafte französische Küche, in der es hart zugeht." Angefangen habe ich als Jungkoch, weil ich kein Französisch sprach, aber ich habe mich schnell nach oben gearbeitet und wurde irgendwann Souschef.

Meine Kollegen in der Küche waren ziemlich dumm. In Australien sind Köche wirklich bei der Sache und wissen, was sie tun. Hier in Lyon reden sie nur sinnlos rumund spielen die ganze Zeit auf ihrem Handy rum. Als redet man gegen eine Wand. Sie sind faul und bewegen sich keinen Schritt aus ihrer Komfortzone, aus ihren Routinen heraus. Die Karte hat die Küche perfekt widergespiegelt: Sie war einfach nicht stimmig, ohne Zusammenhang.

Anfangs habe ich die meiste Zeit damit verbracht, kleine Garnituren zu machen, deren Sinn ich nicht wirklich verstanden habe, zum Beispiel eine Karotte mit einem Anspitzer in eine Mini-Karotte verwandeln. Dann macht man ein Loch und steckt irgendwelche Kräuter rein. Das nannte sich in dieser Küche Kreativität. Der Chefkoch hat sich sein berühmtestes Gericht ausgedacht, als er eines Tages im Kühlschrank einen Hummer und einen Kalbskopf gefunden hat. Da wurde es mir schlagartig klar: Will ich mir wirklich für diesen Typen jeden Tag 15 Stunden lang den Arsch abrackern?

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Das Ding ist: Hier in Frankreich steht man als Koch im Schatten vieler großer Namen. Das Michelin-System ist wie eine Mafia. Deshalb entstand auch in Paris die „Bistronomie-Bewegung", die in Lyon weiterlebt: junge Köche, die genug haben von biederem Service und weißen Tischdecken, eröffnen ihre eigenen Restaurants. Sie wollen machen, was sie wollen, Spaß haben, kreativ sein und mit Essen experimentieren. Ich koche, seitdem ich 13 bin, und habe mehr als mein halbes Leben in der verdammten Küche verbracht. Wenn man keinen Spaß daran hat, warum sollte man es sich überhaupt antun?

Nach einer Weile bat mich der Koch dann, eines seiner Restaurants zu übernehmen, das nicht so gut lief. Sobald ich anfing, mein eigenes Ding durchzuziehen und Essen zu kochen, das nicht schmeckte wie von hier, stieß ich auf ziemlichen Widerstand der Gäste. Ich wollte die Leute mit unerwarteten Aromen überraschen und sie ein bisschen aus dem Konzept bringen, indem ich traditionelle Rezepte einfach modernisierte und kreativer zubereitete.

Zum Beispiel riz au lait, Milchreis. Die Menschen denken dabei an etwas Weißes, ich habe dem Ganzen einen japanischen Twist verpasst und den Reis mit schwarzem Sesamsamen und schwarzem Sesammus gemacht. Die Dame, der ich das Gericht serviert habe, ließ es mich nicht einmal erklären, und meinte nur: „Das ist schwarz, das esse ich nicht." Ich antwortete: „Madame, Sie haben es noch nicht einmal probiert. Möchten Sie es vielleicht doch probieren? Ansonsten bereite ich Ihnen gern etwas anderes zu." Sie entgegnete mir nur: „Nehemen Sie das weg. Ich esse das nicht, es ist schwarz."

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Die Gäste haben mir gezeigt, dass man nicht immer das servieren kann, was man will. Man ist eingeschränkt durch den Ort, man muss die Menschen, für die man kocht, genauestens beobachten. Lyon ist eine traditionelle, bürgerliche Stadt, die Leute hier sind einfach nicht bereit für diese Art von Essen. Viele mochten, was ich gemacht habe, aber es gab immer auch Kunden, die solche Gerichte einfach nicht essen wollten. Also habe ich noch mal von vorn angefangen, diesmal mit einer etwas weniger gewagten Karte: Ich musste mich erst ein wenig vortasten, um zu wissen, wie weit ich gehen kann.

Heute arbeite ich im La Bijouterie, wo wir mit Leib und Seele kochen. Arnaud, Noé und ich machen alles zusammen: Wir kochen, suchen die Weine und die Biere aus und mit welchen Lieferanten wirzusammenarbeiten wollen.

Michelin-Sterne sind uns mittlerweile scheißegal. Wir wollen experimentieren, neue Wege finden und so kreativ sein wie nur möglich—und dabei wirtschaftliche und Umweltaspekte respektieren.Wir verwenden das komplette Tier und servieren Gemüse aus lokalem Anbau. Unser Essen ist immer interessant, denn wir wollen unsere Gäste nicht belehren, sondern ihnen zeigen, dass ein schickes Essen nicht immer heißen muss Foie Gras oder Kaviar. Darum geht es bei der Bistronomie-Bewegung: Französisches Essen soll aus einer neuen Perspektive betrachtet werden.

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Yves Camdeborde, einer der Urväter dieser kulinarischen Bewegung, kam einmal zu uns ins Restaurant. Er saß mit seiner Freundin an unserer Theke, sie unterhielten sich und er schaute uns die ganze Zeit zu. Nach der Arbeit haben wir dann noch was zusammen getrunken, Yves war am Ende so besoffen, dass er an der Bar einschlief. Sie fiel irgendwann vom Stuhl, woraufhin er nur meinte: „Ach, na ja…"—und dann weiterdöste. Wir sind früh gegangen, weil wir am nächsten Tag arbeiten mussten, aber die beiden sind bis zum Schluss geblieben und dann morgens um sieben zurück ins Hotel gestolpert. Am nächsten Tag schrieb er uns: „Jungs, das war genial. Ihr macht tolle Arbeit! Weiter so."

Für mich wird sich die französische Küche immer wieder neu erfinden. Die alten, in kulinarischen Traditionen fest verwurzelten Gerichte wird es immer geben und weil es so eine Kluft zwischen den Generationen gibt, wird es bei neuen Dingen immer Widerstand geben. Doch die traditionellen Gerichte braucht man auch, weil sie einem immer zeigen, wie viel wir schon erreicht haben.

Vor allem wünsche ich mir aber—nicht nur für Frankreich, sondern für die ganze Welt—mehr Offenheit und kulturelle Vielfalt.

Aufgezeichnet von Alexandra Kuderski