Eine Bar mit grausigem Essen und geilen Schwertkämpfen

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mittelalter

Eine Bar mit grausigem Essen und geilen Schwertkämpfen

Die wenigsten Gäste kommen wegen des labbrigen Rinderbratens. Lieber ziehen sie sich Ritterrüstungen an und schlagen sich auf den Straßen Pekings mit Schwertern die Köpfe ein.

Auf den ersten Blick scheint es kein fairer Kampf zu werden: auf der einen Seite ein stämmiger Typ mit Holzschwert und einer Art Motorradbrille im Mad Max-Style, auf der anderen Seite ein langhaariger Typ mit rotem Lichtschwert und muskulösem Körperbau. Die beiden kämpfen mitten in einem Wohngegend im Gulou-Bezirk im Zentrum von Peking.Sie führen einen leicht lächerlichen Schwerttanz auf: Ihre Klingen treffen aufeinander, lachende russische Touristen bleiben stehen, um mit ihren iPhones Fotos zu machen.

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Regelmäßig finden vor der Knights and Merchants Bar in Peking solche Showkämpfe statt. Der Typ mit den lockigen Haaren und dem beeindruckenden, wenn auch aus Plastik hergestelltem, Lichtschwert ist Bao Miao, der Besitzer der Location. Er trägt massive braune Stiefel, einen Lederpanzer über der Schulter und einen Gürtel mit einer riesigen, glänzenden Schnalle. „So renne ich jeden Tag rum", sagt er grinsend.

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Die Bar ist zwar winzig, aber für Bao ist es ein Schloss, hier regiert er. Seit einem Jahr gibt es hier mittelalterliche Fressgelage und Schwertkämpfe. Das Interieur ist etwas Außergewöhnliches in Peking: mehrere Ritterrüstungen, ein Thron aus Holz, Morgensterne, Bögen und ehrlich gesagt erschreckend viele Schwerter. Das Einzige, was hier noch an das moderne Leben erinnert, sind die Smartphones der Gäste auf den hölzernen Tischen und der Fernseher, auf dem Game of Thrones in Endlosschleife läuft. Und das Lichtschwert.

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Während im Hintergrund die Abenteuer von John Snow und Co. laufen, können die Gäste hier essen und trinken. Noch lieber aber ziehen sich die Kunden eines der Kettenhemden und einen Hörnerhelm an und schlagen sich dann mit Holz- und Plastikschwertern auf der Straße die Köpfe ein.

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Bao erzählt mir, dass er auf die Idee zu diesem bizarren Bar-Konzept bekommen ist, weil er schon als Kind wie besessen von europäischer Geschichte und Mythologie war—und es immer noch ist. Er deutet auf eine Puppe mit einem knappen Lederoutfit und erklärt, dass Achilles, der Held des Trojanischen Kriegesihn dazu inspiriert hat. „Trotz seiner Schwächen war Achilles ein guter Kämpfer: mutig und leidenschaftlich", meint er.

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„Ich liebe die westliche Kultur, denn da steht die Freiheit im Mittelpunkt, ganz anders als in der chinesischen Kultur, hier ist es eher die Macht, die Rechte des Einzelnen zählen nicht. Aber die westliche Kultur mit ihren zentralen Ideen wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fördert individuelle Rechte und sogar Heldentum." Und ich dachte anfangs, dass er es einfach nur toll fand, riesige Schwerter durch die Luft zu schwingen, eben weil er's kann.

Vorher hat er als Fotograf und Kameramann in der Mode- und Werbebranche gearbeitet. Er behauptet, dass er „80 bis 90 Prozent" seiner beeindruckten Kostümierungen, die meisten davon inspiriert von militärischen Kleidungsstücken des europäischen Mittelalters, selbst gemacht hat. Als Nebengeschäft vermietet er die Outfits für Film und TV, aber „die Rüstungen sind nicht so leicht, wie die in vielen anderen Produktionen." Um das zu beweisen, schnippt er mit dem Finger gegen eine Rüstung, die an die italienischen Rüstungen der Renaissance angelehnt ist. Ein wohlklingendes metallisches „Plong" ertönt.

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Wie Bao mir erzählt, macht er auch einige der Waffen. Die Kunststoff- und Holzschwerter kommen bei den Kämpfen zum Einsatz, an den Wänden allerdings hängt ein Arsenal an Blankwaffen, mit denen man durchaus jemanden umbringen könnte. Die meisten Klingen sind scharf.

Mit beiden Händen wuchte ich ein Langschwert im schottischen Stil hoch. Es ist so riesig, dass man es nur zu zweit wieder zurück in die Scheide stecken kann. „Einige lasse ich herstellen, aber die meisten habe ich selbst gemacht", sagt Bao, während er mit einem langen Dolch herumspielt. „In China gibt es strenge Regeln für den Verkauf von Schälmessern, aber nicht bei Sammlerwaffen."

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In der Mitte des kleinen Gastraums erstreckt sich ein abgenutzter Holztisch. „Die Gäste können hier wie die Ritter im Mittelalter an einer Tafel essen", meint Bao. Aber nur ein Bissen und mir wird klar, dass die Schwerkämpfe definitiv besser sind als das Essen.

Ich habe mir den Rinderbraten bestellt. Nach zehn Minuten—zwischendurch hörte ich immer wieder das besorgniserregende Ping-Geräusch der Mikrowelle hinter dem Vorhang zur Küche—bekomme ich ein labbriges, braunes Stück Fleisch. Bao warnt mich netterweise noch: „Das Fleisch ist ein wenig alt."

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Ja, man könnte sagen das Fleisch schmeckt mittelalterlich. Es ist so zäh, dass man denken könnte, dass das Tier irgendwann im 10. Jahrhundert geschlachtet wurde. Baos Freund, der auch mit mir am langen Tisch sitzt, langt in seinen Nudelauflauf, der zwar weniger dem Motto gerecht wird, aber immerhin leckerer aussieht.

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Die Drinks treffen das Thema aber eher, am liebsten trinken die Gäste einen süßen, 18%-igen Met, der in einem Holzkrug serviert wird. Das „Deutsche Schwarzbier" allerdings ist eigentlich eine Dose Weizenbier aus Deutschland, das einfach in einen großen Zinnbecher mit Henkel gegossen wird.

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Auf den ersten Blick scheinen die Humpen rittergemäß zu sein. Wenn man allerdings genauer hinsieht, bröckelt der mittelalterliche Charme ein wenig. An der Seite sieht man das Logo der britischen Dartshow Bullseye, die in den 80ern und 90ern lief. War also auch nur Merchandise.

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Wie Bao meint, bestellt er besseres Essen, wenn sich größere Gruppen angekündigt haben. Aber während ich mit ihm spreche, ziehen sich zwei Gäste gerade wieder Kettenhemden an, was nur beweist dass die meisten Leute nicht wegen eines guten Steaks hierher kommen.

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Es fließt noch mehr Bier die Kehlen runter, ich mache Selfies mit komischen Helmen aus Metall und vergesse schnell meinen grausigen Rinderbraten. Die Bar macht gleich zu, draußen gehen die Kämpfe allerdings weiter. Odin, Baos modisch gekleideter Hund, schleicht seinem Herrchen um die Beine und scheint sichtlich erfreut, auch wenn er in der stickigen Sommerhitze Pekings eine Rüstungträgt.

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„Als wir letztes Jahr eröffnet haben, beschwerten sich einige Anwohner, aber sie haben sich mittlerweile daran gewöhnt", erzählt Boa. Ich versuche (und scheitere dabei kläglich), ihn mit meinem Holzschwert einen ordentlichen Schlag zu verpassen. „Ein paar Mal haben sie die Polizei gerufen, aber die fanden das nicht weiter schlimm. Es hat sich auch nie jemand verletzt."

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Möge es noch lange so weiter gehen. Das Knights and Merchants ist wohl die beste Bar Chinas. Hoch leben die lockeren Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen.

Das Knights and Merchants findest du hier.

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