Mit Kid Simius im spanischen Berlin: Die Transitzone
Alle Fotos von Elif Küçük

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Musik

Mit Kid Simius im spanischen Berlin: Die Transitzone

Die Stadt ist eine spanische Metropole und mit Kid Simius rumzuhängen ist eine Freude.

Das „Transit" ist um halb fünf am Nachmittag fast leer, der Mittagsservice ist zu Ende, die Gäste des Abends sind noch nicht gekommen. Kid Simius sitzt in der Ecke des Lokals, er unterhält sich, trägt einen grünes Adidas-Hemd, der obere Knopf ist offen, die Ärmel sind kurz. Neben ihm sitzt Ana Menjibar, sie hat einen spanischen Vater, auch sie ist Künstlerin und tanzt Flamenco. Sie nehmen gerade zusammen auf, ihre Schritte werden zum Beat. Zapateados, so heißen die Schritte bei dem Tanz, sagt sie mir. Auf dem Tisch stehen zwei grüne Flaschen Bier, „Alhambra" aus Granada, der Stadt, aus der Kid Simius kommt. Es ist nach einer eindrucksvollen Festung benannt, die die Mauren dort im 9. Jahrhundert errichtet haben. Diese Phase hat nicht nur architektonisch, sondern auch kulinarisch ihre Spuren hinterlassen, die Küche serviert Hummus mit Kreuzkümmel, Salat mit krossem und saftigem Hähnchen und Avocado, Gazpacho mit Brot, eine Tortilla, dazu mehr Bier. Kid Simius legt den Kopf in den Nacken und grinst.

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Ein Kid, zwei Bier Kid und Ana, links hat die Fotografin ihr Spiegelbild übersehen.

Er ist 2009 nach Berlin gekommen, er wollte Musik machen, in Granada nahm man ihn nicht ernst, niemand machte sich die Mühe, seine Tapes anzuhören. In Berlin dauerte es zwei Wochen, dann hatte er seinen ersten Auftritt. Er lernte Marteria kennen, als auch er noch vor einer Handvoll Menschen seine Konzerte spielte, der Erfolg kam und so begann seine Solo-Karriere.

Er sei müde und genervt gewesen von Spanien, sagt er. Derzeit kommen so viele Spanier nach Berlin wie nie. Jeder zweite Jugendliche in Spanien ist arbeitslos. 2014 kamen mehr als 40.000 Spanier nach Deutschland, viele davon nach Berlin. In den letzten sechs Jahren haben 218.000 junge Spanier das Land verlassen. Das „Transit" ist einer der Plätze, an denen man sich trifft. Es liegt genau zwischen der Booking-Agentur und dem alten Label von Kid Simius, früher war er häufiger hier. Auch wegen der Crew, alle sind sie Spanier, auch die Besitzer.

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Von links nach rechts: Javier Gadea, Carlos Barrajon und: ihr wisst schon. Der Star im Bild: Die Tortilla mit dem perfekten Anteil an Flüssigkeit

Javier Gadea ist einer der Köche, Kid lobt ihn wegen der Tortilla, die weder zu trocken noch zu feucht war. Javier ist seit 2009 in Berlin, er kannte die Stadt, liebte die Clubs der Stadt und beschloss überzusiedeln. Auch er kommt wie Kid aus Andalusien, er hatte auf dem Bau gearbeitet, als Ingenieur. Er wollte weg, er wollte es in Deutschland mal versuchen und so kam auch er nach Berlin, sein erster Job war als Koch im Michelberger Hotel. Javier hatte das Kochen von seinem Vater gelernt, er wusste zuerst nicht, wohin mit sich. Ein berufliches Ziel war es eigentlich nicht. In dieser Woche hat er seine Masterarbeit abgegeben, hat seinen zweiten Abschluss gemacht, einen Master in Veranstaltungstechnik. Es ist die „beste Generation, die es in Spanien jemals gegeben hat", sagt Simius.

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Als er nach Berlin kam, wollte er keine Spanier treffen, gab sich als Brasilianer aus, wenn jemand fragte und lernte Deutsch. Mittlerweile sieht er das ein bisschen entspannter, er hat viele Freunde aus Spanien in Berlin gefunden, sein Bruder ist mittlerweile auch hier. Auch Carlos Barrajon kocht im Transit, auch er sah keine Möglichkeiten mehr für sich in Spanien, er kannte Berlin nicht. 1999 war er einmal zur Love Parade hier gewesen. Auch er kocht, auch er mag Electro, „alle hier machen Elektro", sagt Kid Simius, „außer dir, Javier". „

Na und, einer muss ja schließlich auch tanzen", alle lachen, manchmal kommt die Sonne raus.

Wir sitzen mittlerweile vor dem Transit und füllen die Aschenbecher, Carlos erzählt ein bisschen mehr über sich. Sein erster Job war als Spüler im Hard Rock Cafe, dann als Koch in einem Restaurant am Hackeschen Markt, jeden Tag 12 Stunden, dabei ist er eigentlich Tontechniker. Den Abschluss hatte er in Andalusien gemacht, also erkennt ihn der deutsche Staat nicht an. 6.000 Euro würde es kosten, den Abschluss hier noch einmal zu machen. Unter dem Namen „Kaareel" macht er weiter Musik. Er hat zusammen mit seiner Frau ein Kind, sie ist auch aus Spanien.

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Bier Carlos, Javier und Kid vor dem Transit. Im Hintergrund das Berliner Wetter

Immer wieder kommen Menschen an unseren Tisch, Küsse werden verteilt, Spanier gehen ins Transit und kommen mit einem Rothaus wieder hinaus. Alle am Tisch sind nur noch selten in Spanien, ihre Großeltern zwingen sie dazu, über Weihnachten zu kommen, das ist ihnen heilig. Wenn Kid Simius fliegt, dann nimmt er einen leeren Koffer mit, wenn er zurückkommt, ist dort Chorizo drin. Für immer in Deutschland bleiben will niemand. „Nein, auf gar keinen Fall", sagt Javier.

Sie haben das Gefühl, die Deutschen leben, um zu arbeiten. In Spanien arbeiten die Leute, um zu leben. Auch wenn das ein Klischee ist: So nehmen sie die Stadt war. Eine kalte, triste Stadt zuweilen, mit all den Wachsgesichtern in der Bahn. Die Verabschiedung ist herzlich, ich soll bald wiederkommen, Umarmungen.

Transit, der: Durchreise von Personen durch ein Drittland.

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