Eine Illustration einer Hand, die nach Chilischoten greift
Illustration: Nadia Akingbule

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Krankheit

Ich leide an Lungenkrebs, werde mein Restaurant aber trotzdem nicht aufgeben

Erst wurde mein Traum vom eigenen Restaurant wahr, dann begann mit der Krebsdiagnose der Albtraum. Warum ich mein Schicksal allerdings nicht kampflos akzeptiere.

Im März 2015 erfüllte sich für mich ein langgehegter Traum. Nachdem ich zusammen mit meiner Mutter monatelang verschiedene Läden angesehen und über Speisekarten sowie Lieferanten nachgedacht hatte, eröffneten wir endlich das Masala Wala Cafe, ein pakistanisches Restaurant im Londoner Stadtteil Brockley. Wir hatten uns schon immer ausgemalt, wie es wäre, anderen Leuten unsere typischen Punjabi-Gerichte zu servieren. Und jetzt machten wir genau das.

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Am Anfang standen nur fünf Tische im Restaurant. Die Speisekarte war noch sehr klein. Jeden Tag kochten wir alle unsere Gerichte komplett frisch, egal ob die Kichererbsen-Currys, die Roti-Fladenbrote oder das in Grünkohl, Zuckermais und Tomaten gekochte Hühnchen. Unser langsam gegartes Lamm-Curry entwickelte sich schnell zum Topseller, viele Kunden und Kundinnen kamen oft nur deswegen zu uns. Es fühlte sich zudem sehr gut an, uns mit unserem pakistanischen Essen in einer Industrie zu behaupten, in der traditionell Männer das Sagen haben. Schon bald hatten wir Stammgäste aus dem ganzen Süden Londons.

Vor der Eröffnung des Restaurants hatte ich noch nie ein eigenes Unternehmen geleitet. Ich wollte allerdings mehr machen, als nur die Produkte anderer Leute zu verkaufen. Da fühlte es sich total befreiend an, zusammen mit meiner Mutter das Essen meiner Vorfahren zu kochen und zu servieren. Ich ging darin richtig auf und kam mir gar nicht mehr vor wie die junge Pakistanerin, die früher die Familienküche mied, um in der Schule nicht nach Curry zu riechen. Ich war jetzt stolz auf meine britisch-asiatische Identität und sah meine von Kurkuma verfärbten Hände als eine Art Ehrenabzeichen an.

Nach sechs Monaten der harten Arbeit – inklusive der Unterstützung meines Mannes, meiner drei Schwestern und meiner Freunde – schafften meine Mutter und ich es endlich, dass das Masala Wala Cafe Gewinn abwirft. Von da an ging es finanziell immer weiter bergauf und wir wurden zu einem festen Bestandteil der Gastronomie-Szene von Brockley. Unsere Kunden belohnten uns mit positiven Reviews und wir bekamen sogar den Time Out-Award für das beste Restaurant verliehen.

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Im April 2018 kam allerdings die zweite einschneidende Veränderung in meinem Leben. Ich hatte mich gerade an meine Rolle als Gastronomin gewöhnt, als ich durch Rückenschmerzen, Übelkeit und vermeintlich geschwollene Lymphknoten aus der Bahn geworfen wurde. Die geschwollenen Lymphknoten stellten sich als Tumor heraus und bei mir wurde Lungenkrebs im Endstadium diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt war ich 29 Jahre alt.

Von da an war nichts mehr so wie vorher – sowohl für meine Familie als auch für unser gemeinsames Restaurant. Ich konnte bei den alltäglichen Aufgaben im Masala Wala Cafe nicht mehr mithelfen, weil mich die vielen Nebenwirkungen der Krebsbehandlung so schwächten. Irgendwann verlor ich sogar quasi meinen Geschmackssinn: Durch eine Entzündung meiner Mundschleimhaut kam ich nicht mehr mit diversen Gewürzen und Schärfe zurecht. "Die Besitzerin eines Curry-Restaurants verträgt ihr eigenes Essen nicht mehr. Wie schlimm kann es denn noch kommen?", dachte ich mir.

Mein Leben als Restaurantbesitzerin mit Krebs hat mir aufgezeigt, dass man nicht immer auf alles vorbereitet sein kann.

Während dieser düsteren Tage ohne Geschmack träumte ich oft von würzigen Linsen mit intensivem Knoblauch und Ingwer, Gemüse gespickt mit Senfkörnern und trockenen Gewürzen. All die wunderschön aromatischen Geschmäcker, die ich von klein auf kennen- und lieben gelernt hatte, schienen plötzlich für immer weg zu sein.

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Da ich mich im täglichen Betrieb des Masala Wala Cafes nicht mehr so viel einbringen konnte, mussten meine Schwestern die liegengebliebenen Aufgaben übernehmen. Deswegen kamen in mir viele Schuldgefühle auf und ich dachte ernsthaft darüber nach, das Restaurant zu schließen. Es war ja immer mein Traum gewesen, zusammen mit unserer Mutter professionell zu kochen. Warum sollte ich ihnen also diese Aufgabe auferlegen? Meine Schwestern versicherten mir aber, dass sie mir gerne dabei helfen, das Masala Wala Cafe weiter zu betreiben. Und unsere Stammgäste zeigten sich ebenfalls verständlich. Nach zwei Einbrüchen halfen sie uns bei den Reparaturen sogar finanziell aus. Dazu kamen noch die unzähligen aufmunternden Nachrichten. Unser Curry-Abenteuer war also noch nicht vorbei.

Weil meine Krankheit nicht heilbar ist, befinde ich mich derzeit in palliativer Therapie. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Strahlenbehandlung und bestimmten Medikamenten. Und weitere von den Onkologen empfohlene Maßnahmen sollen meine Krebssymptome eindämmen und mir ein relativ normales Leben ermöglichen. Mein Geschmackssinn ist zum Glück wieder zurückgekehrt und ich helfe so viel wie möglich im täglichen Restaurantbetrieb aus. Ich stelle die Speisekarte zusammen, ich unterstütze unsere Angestellten und ich schaue, dass sich unsere Gäste rundum wohl fühlen. Ich will, dass das Restaurant, in dem meine Familie und ich das Essen unserer Kultur zelebrieren, noch lange auf stabilen Beinen steht. Auch wenn das bei meiner Gesundheit nicht der Fall ist.

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Mein Leben als Restaurantbesitzerin mit Krebs hat mir aufgezeigt, dass man nicht immer auf alles vorbereitet sein kann. Dafür kann man sich aber an kleinen alltäglichen Dingen erfreuen. Ich habe solche Momente, wenn ich ein neues Gericht probiere, wenn ich mir mein Lieblingsessen schmecken lasse und wenn ich mir zusammen mit meinen Freunden und Verwandten ein Roti-Fladenbrot teile.

Wir sollten unser Essen jeden Tag aufs Neue feiern. Und ich hoffe, dass ich die pakistanische Küche zusammen mit meiner Familie und meiner wundervollen Community noch lange genießen kann.

Dieser Artikel ist zuerst bei MUNCHIES UK erschienen.

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