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Nestlé verliert Gütesiegel für sauberes Palmöl

Das Unternehmen wurde aus der Vereinigung der Palmölindustrie rausgeworfen.

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.

Palmöl steckt in Pizzateig, Instant-Nudeln, Eiscreme und Nutella, in Lippenstift, Shampoo und Seife. Palmöl ist fast überall. Und Palmöl ist böse. Das muss man dir nicht mehr erklären, denn du weisst, dass Produkte, die mit dem billigen Fett hergestellt werden, für weit mehr Schaden sorgen, als den Lebensraum von Nashörnern und Orang-Utans zu bedrohen. Ausserdem werden für die Herstellung von Palmöl gigantische Waldgebiete im Regenwald zerstört, was nicht nur Menschen und Tieren in der unmittelbaren Umgebung schadet, sondern durch die Trockenlegung von Torfland und dem dabei entstehenden CO2 auch dem Weltklima.

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Mitverantwortlich dafür: Nestlé. Dass der Schweizer Konzern kein Unschuldslamm ist, weiss jeder mit einem funktionierenden Internetzugang. Da wirkt es nur gerecht, wenn bekannt wird, dass Nestlé aus dem Kontrollgremium Runder Tisch für nachhaltiges Palmöl, kurz RSPO, geflogen ist. Das Gremium wurde 2004 von Plantagen-Betreibern, Händlern, Industrie, sowie Umweltschutzorganisationen wie dem WWF gegründet. Es soll die Praktiken aller am Palmöl-Geschäft Beteiligten kontrollieren. Das RSPO-Gütesiegel verspricht zudem Produkte, in denen nur Palmöl aus sauberem Anbau verarbeitet wurden.


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Neben etwa dem Schweizer Supermarkt Migros, der nach wie vor Teil der Organisation ist, war auch Nestlé RSPO-Mitglied. Laut Tagesanzeiger hat Nestlé allerdings in den vergangenen beiden Jahren seine Berichtspflicht verletzt und den Mitgliedsbeitrag von 2000 Euro nicht bezahlt.

Für Nestlé ist die Welt aber scheinbar weiter in bester Ordnung. Aus der Sicht des Konzerns gehört er nämlich zu den Guten. Die Richtlinien des RSPO seien ihnen eh zu lasch gewesen, das zumindest teilte das Mega-Unternehmen, das nach eigenen Angaben für fast ein Prozent des weltweiten Palmöl-Verbrauchs verantwortlich ist, Ende Juni in einer Erklärung mit. Böse Zungen nennen diese Stellungnahme allerdings auch "Ausrede" – schliesslich veröffentlichte Nestlé sie erst, als der Konzern bereits aus dem Kontrollgremium geflogen war.

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Auf seiner Website schreibt Nestlé hingegen, die eigenen Anforderungen lägen weit über dem RSPO-Standard. Ausserdem habe man sich zusätzliche Kriterien in der eigenen Lieferkette auferlegt, an die sich auch die Lieferanten halten müssten. Mittlerweile werden diese von der unabhängigen Organisation The Forest Trust kontrolliert (die von Nestlé finanziert wird). Die NGO kritisierte schon 2010 Nestlés Lieferkette, die völlig intransparent organisiert sei. Heute hat The Forest Trust zwar bereits einige Plantagen und Lieferanten von Nestlé kontrolliert, bei weitem aber noch nicht alle.

Auch Umweltorganisationen wie Eyes on the Forest haben Kritik an RSPO geäussert. Zuletzt etwa 2016, als eine unabhängige Untersuchung zum Ergebnis kam, dass viele RSPO-Mitglieder trotz Kontrollen und Vorgaben illegal hergestelltes Palmöl aus Indonesien verwendeten. Einer der betroffenen Händler, Wilmar International, der als grösster Verarbeiter und Händler von Palmöl gilt, belieferte damals auch Nestlé.

Wer ist jetzt das Böse?

Auch der WWF gesteht ein, dass der RSPO bloss einen "Mindeststandard mit Luft nach oben" vorgebe. Man sehe beispielsweise "Verbesserungsbedarf beim Waldschutz oder beim Verbot bestimmter Pestizide", so Matthias Diemer, der beim WWF Schweiz für internationale Projekte zuständig ist, gegenüber MUNCHIES. Auf vielen Plantagen werde beispielsweise das hochgiftige Pestizid Paraquat eingesetzt, wie Bangkok Post schreibt, das in Europa verboten ist. Es löst unter anderem schwere Haut- und Atemprobleme aus – der RSPO untersagt den Einsatz des Pestizids nicht. Deshalb, so Matthias Diemer vom WWF, sei man auch zusätzlich Mitglied der Palm Oil Innovation Group (POIG), der etwa auch Greenpeace angehöre und die sich für die Verbesserung des RSPO einsetze.

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Gegenüber dem Tagesanzeiger verteidigt der WWF allerdings den RSPO: "Wenn sich jeder seine eigenen Verpflichtungen bastelt, lässt sich das kaum noch kontrollieren", sagt Ilka Petersen, Sprecherin des WWF Deutschland und Palmöl-Expertin, der Zeitung.

Unterm Strich steht die problematische Erkenntnis, dass auf beiden Seiten, sowohl bei Nestlé als auch beim RSPO, vieles im Argen liegt. Während Nestlé sich jetzt auf die Fahne schreibt, höhere Standards als die des RSPO zu erfüllen, sind die Berichte von The Forest Trust, der ja als Kontrollinstanz an die Stelle des RSPO getreten ist, nicht öffentlich einsehbar. Keiner weiss, ob die selbst auferlegten Richtlinien tatsächlich umgesetzt werden.

Umgekehrt sehen Kritiker aber auch in den Bemühungen des RSPO vor allem Augenwischerei. In einem Dossier vom Februar 2018 bringt etwa die Schweizer Palmöl-Koalition, die aus verschiedenen Organisationen wie Pro Natura, Uniterre, dem Schweizer Bauernverband und Brot für Alle besteht, Bedenken zum Ausdruck, die auch andere NGOs bereits geäussert haben. Das RSPO-Zertifikat garantiere demnach nicht etwa nachhaltig hergestelltes Palmöl. Im Gegenteil, die Organisation stehe für "die Zerstörung von Torfmooren, Sekundärwäldern oder den Einsatz von hochgiftigen Pestiziden", wie es in dem Bericht heisst.

Es geht auch ohne – irgendwie

Dabei zeigen andere Unternehmen, wie man das Thema Umweltschutz auch in Sachen Palmöl ernst nehmen kann. So hat zum Beispiel der Schweizer Schokoladenhersteller Lindt kürzlich eine Haselnusscreme ohne Palmöl hergestellt, die direkt mit Nutella konkurriert. Auch der Schweizer Supermarkt Coop scheint das Thema Nachhaltigkeit ernst zu nehmen. Wie das Unternehmen Anfang Juli bekannt gab, will es in seinem Sortiment künftig vermehrt auf Palmöl verzichten oder bei spezifischen Produkten auf Bio-Palmöl umsteigen. Statt günstigem Pflanzenöl sollen künftig andere Pflanzenfette und Butter verarbeitet werden.

Konsumentinnen und Konsumenten im Supermarkt haben also schon heute die Wahl. Du kannst deine Zeit auf jeden Fall schlechter verbringen, als die Produkte in deinem Einkaufskorb demnächst auf "Palmöl – ja oder nein?" zu checken.

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