Alle meine Restaurants waren illegal – jetzt muss es anders gehen
Alle Fotos vom Autor

FYI.

This story is over 5 years old.

Miami

Alle meine Restaurants waren illegal – jetzt muss es anders gehen

Der Gang in die Legalität ist kein leichter. Als Koch hat man immer damit zu kämpfen, mit dem Unterschied zwischen der harten Realität und seinen Vorstellungen eines Restaurants klarzukommen.

Als ich Anfang des Sommers mit Alex Chang gesprochen habe, wirkte er wie jemand, dessen langersehnter Traum endlich wahr geworden ist. Immerhin leitete er seine eigene Küche und das mit unter 30.Gleichzeitig schien er aber auch langsam zu erkennen, dass der Job, auf den er alles gesetzt hatte, ziemlich anders war, als er sich erhofft hatte.

Erstmals wurde man in den USA auf das Wunderkind Chang aufmerksam, als er als Student an der University of Southern California sein eigenes illegales Underground-Restaurant Paladar startete. Über den damals 22-jährigen Koch mit mexikanisch-chinesischen Wurzeln und seinenMitbewohner gab es sogar eine Dokumentation, Paladar, diebeim Tribeca Filmfestival gezeigt wurde. Nach dem College musste der gebürtige Kalifornier sich schonden großen Fragen stellen: Wird er den Erwartungen gerecht? Schafft er den Übergang vom illegalen Supper-Club hin zu einer gewinnorientierten Küche, wo doch das alltägliche Zubereiten des immer wieder gleichen Stück Fischs in direktem Gegensatz zur Kreativität und Improvisationskunst steht, für die er bekannt war?

Anzeige

Kurz nach dem Abschluss, mit 25, erhielt er die Chance seines Lebens: Die Investoren für ein brandneues Restaurant, Vagabond, in einem alten Motel im Stil der 50er-Jahremitten im Zentrum von Miami, holten ihn mit ins Boot. Er sollte mit seiner jugendlichen Sensibilität und seiner lockeren und doch raffinierten Küche die festgefahrene Gastroszene in Miami neu definieren. Die Küche des jungen College-Absolventen, die er sich durch verschiedene Kochbücher, bei gemeinsamen Essen im Studentenwohnheim und durch die Arbeit bei und mit ein paar großartigen Köchen angeeignet hat, war für die Leute in Florida sowohl Provokation als auch Pläsier. Im Vagabond brachte er chapulines, Heuschrecken, auf die Karte und servierte einen modernen Mix aus asiatischen, lateinamerikanischen und seinen ganz persönlichen Einflüssen.

Alex Chang Daily Vice 5

Alex Chang. Alle Fotos vom Autor

Im Mai diesen Jahres jedoch, zwei Jahre nach Eröffnung und trotz guter Kritiken, hatte er seine rosarote Brille abgelegt: Im schummerigen Gastraum vom Vagabond—mitten in Miami, direkt gegenüber der berühmten Coppertone-Werbung—traf ich ihn, während er sich mit seinem Team den Vorbereitungen widmete und auch noch einen Überraschungsbesuch eines Gesundheitsinspektors schultern musste.

Als er damals nach Miami kam, erzählte er mir, hatte er keinerlei Beziehung zur Stadt. „Überhaupt nicht. Ich dachte niemals, dass ich hier landen würde. Nicht die Spur einer Chance." Geboren und aufgewachsen ist er in L.A. (mit ein paar Zwischenstops in Japan), nach Miami kam er mit einer rückblickend ziemlich naiven Einstellung: „Ich glaubte, dass sich Miami immer noch entwickelte und es nicht so viele tolle Restaurants wie in den großen Städten gibt. Für mich war es ein Ort an dem man mit richtig gutem Essen Erfolg haben konnte."

Anzeige

Doch er wurde bald eines Besseren belehrt: „Wo es große Hotels und gute Köche gibt und immer wieder neue Restaurants kommen, ist es einfach hart." Außerdem muss man bedenken, dass Miami—zumindest für ein halbes Jahr—ein Urlaubsparadies ist: „Eigentlich hat man nur sechs Monate, in denen man Geld machen kann. Der Markt ist einfach unbeständig." Und, wie Chang feststellen musste, gibt es in Miami wenig gut zahlende Geschäftsleute als potenzielle Gäste: „Schau dir mal Miami an. Da fragt man sich doch: Wo ist die Industrie? Was gibt es denn noch außer den Tourismus? Es gibt ein paar Höhepunkte wie die Art Basel oder das einwöchige Weinfestival, ein paar Bootsmessen. Es gibt aber keine Branche, in der die Angestellten genug Geld verdienen, damit sie jeden Abend in deinem Restaurant essen."

ARTIKEL: Drecksarbeit im Restaurant hat mir geholfen, ein besserer Koch zu werden

Alex Chang Daily Vice 9

Langsam überkam mich das Gefühl, dass Alex Chang nicht ganz klar gewesen war, worauf er sich da eingelassen hatte, als er sich entschloss, von einem Ende des Landes ans andere zu ziehen, um ein Restaurant zu leiten. Er beschwerte sich weiter: „Als ich hierher gezogen bin, war mein Ziel, nur mit lokalen Produkten zu kochen. Das ist allerdings kostentechnisch ziemlich schwer, weil es eine Kluft zwischen den Köchen und den Produzenten gibt", erzählt er mir. Nicht nur gibt es viel weniger Familienbetriebe, auch wachsen im tropischen Klima andere Dinge als in L.A. Alex Chang versuchte einfach, sich anzupassen: „Im Sommer versuchen wir aus Mangos, Litschis, Auberginen und Okraschoten was zu machen. Spargel bekommen wir wohl nie auf die Karte."

Anzeige

Wie Chang selbst gesteht, hat seine Offenheit anfangs die Leute verprellt. Er war wie der Musterknabe, der erstmals im Leben Schwierigkeiten hatte und er zeigte sich nicht immer dankbar. „Ich glaube, ich habe ziemlich offen gesagt, was ich über Miami denke. Anfangs hassten mich ein paar Leute richtig, aber ich wollte nichts Böses. Ich möchte die Stadt verbessern. Ich mache gern mein Ding und koche und mache die Dinge, die mir wichtig sind, auch mit Integrität."

Doch er schien aus seinen Fehlern lernen zu wollen und wollte in Miami bleiben. „Ich bin glücklich und suche noch nach meinem Weg. Ich möchte noch mehr machen. Gerade versuche ich herauszufinden, was ich in Zukunft machen will. Miami ist eine tolle Stadt, ich würde hier gern etwas aufbauen."

Alex Chang Daily Vice 10

Doch ich fragte mich nach unserem Gespräch, ob Alex Chang seinen Weg in Miami findet, wie es Michael Schwartz, Mark Militello und Michelle Bernstein geschafft haben, die sich voll auf die Kultur Miamis konzentriert haben und die jeden Tropfen Blut und Schweiß für die Stadt geopfert haben. Das sind Köche, die eine tiefe Liebe zu den tropischen einheimischen Produkten hegen, zur langsamen Schnelllebigkeit und zum Latino-Vibe der Stadt, trotz all der Herausforderungen.

Als ich diesen Artikel schrieb, ereilten mich nicht ganz so überraschende Neuigkeiten: Die Wege von Chang und dem Vagabond hatten sich getrennt. Also rief ich ihn noch einmal an—er war natürlich in L.A.—um die harten Fakten der Trennung zu erfahren.

Anzeige

Er schien zufrieden und fast schon erleichtert, frei von einer erdrückenden Last. Er sprach langsam, wollte nicht ausfällig werden. Er erzählte mir, dass er mit den Besitzern des Vagabond die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, zurück nach L.A. zu ziehen und sie sich überlegten, „ob ich das Restaurant quasi aus der Ferne im Blick habe und einmal im Monat oder so vorbeischaue." Nach einiger Überlegung entschieden die Besitzer jedoch, dass das nicht die richtige Option wäre. Chang erklärtes so: „Sie mussten ja irgendwie auch an sich selbst denken und daran, was das Beste für ihr Geschäft war. Als sie das wussten, haben sie mir Bescheid gegeben."

ARTIKEL: Als Barkeeper geht es nicht bloß um schnelles Geld und leichten Spaß

Alex Chang Daily Vice 6

Rückblickend haben diese Wende und dieser erste Rückschlag in seiner Karriere Chang viel gelehrt. Auch wenn das Vagabond nicht so funktionierte, wie er es sich erhofft hatte, war es für ihn „eine interessante Erfahrung, weil ich—völlig neu in Miami—unglaublich viel gelernt habe. Es ist einfach wichtig, dass man die unternehmerische Seite eines Restaurants versteht. Das spielt eine große Rolle bei der Gestaltung der Karte, der Räume und des Gesamtkonzepts."

Ich fragte mich, ob er seine Vorgesetzten während seiner Zeit im Vagabon genervt hat, gerade auch weil er sich so offen gibt und weil er die Gastroszene in Miami maßvoll, aber auch scharf kritisiert hat. Als ich mich jedoch mit Ara Jain unterhielt, der Investorin, die das Vagabond restauriert hat, meinte sie, dass Chang „ein netter Mensch und noch dazu ein fantastischer Koch war—ich würde gern wieder mit ihm zusammenarbeiten."

Anzeige
Alex Chang Daily Vice 7

Sie gab allerdings auch zu, dass sie und ihre Partner „keine Gastronomen sind, sondern vor allem das Vagabond Motel, das 1953 von Robert Swartburg entworfen wurde" restaurieren wollten. Vielleicht gab es in dieser Konstellation einfach nicht genug Geduld, Energie und Erfahrung, die man braucht, um einen jungen, manchmal etwas altklugenKoch zu fördern. Vielleicht, so Ara Jain, hat Alex Chang, da er jetzt mehr Zeit hat, auch wieder die Möglichkeit, in anderen Küchen Erfahrungen zu sammeln oder seinen Traum „von einer kleineren Location, die vielleicht besser ist für einige seiner Ideen" zu verwirklichen.

ARTIKEL: Was ich gelernt habe, als einer meiner Köche an einer Überdosis Heroin starb

So wie ich ihn jedoch einschätze wird wahrscheinlich weder das eine noch das andere passieren. Chang ist viel zu ehrgeizig und versiert—es ist eher unrealistisch, dass er in einer Küche noch mal ein Praktikum macht.

Bei unserem letzten Telefonat schien er bereit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen: „Es war immer mein Traum, ein eigenes Restaurant zu haben—denn das Vagabond gehörte mir nicht." Zu meiner Überraschung meinte er sofort, dass er nicht abgeneigt sei, nach anderen Optionen in Miami Ausschau zu halten. Allerdings hingen für ihn viele seiner Schwierigkeiten während seiner Zeit im Vagabond auch mit dem besonderen Markt in Miami zusammen: „Der Markt in Miami ist eine Herausforderung, in diesem Teil der Stadt ist es schwer, ein Restaurant jeden Tag voll zu bekommen. Die finanzielle Seite ist schwierig, die Kosten sind ziemlich hoch. Das hatte natürlich einen Einfluss darauf, wie wir das Restaurant führen konnten." Er gab auch zu, dass Kompromisse gemacht wurden. „Zur Eröffnung des Restaurants war die Karte viel progressiver und abenteuerlustiger. Das mussten wir anpassen, um einem breiteren Publikum zu gefallen. Das ist also nicht unbedingt ideal."

Anzeige
Alex Chang Daily Vice 1

Am Ende meinte er, ohne zu zögern: „Ich bin froh über die Erfahrung und darüber, mit diesen Leuten zusammengearbeitet zu haben—mein Team und so. Aber man will doch immer besser oder perfekt werden. Man will, dass sich sein Restaurant entwickelt. Ansonsten macht es keinen Spaß." Seine Pläne für die Zukunft sind nicht „so sicher, dass ich wüsste, was passiert. Ich habe ein paar Optionen."

Die meisten Köche kämpfen ein Leben lang damit, mit dem Unterschied zwischen der Realität und ihrer idealistischen Vorstellung eines Restaurants zurechtzukommen. Wie man mit dieser Kluft umgeht, unterscheidet echte Köche und Gastronomen vom Rest. Die glücklichen Versprechen, die das Vagabond für Chang bereithielt, haben sich zwar schon lange in Luft aufgelöst, das gibt diesem jungen Koch allerdings nur die Möglichkeit, seine Flügel noch einmal auszubreiten und nach dem Unerreichbaren zu streben.

Alex Chang Daily Vice 3

„Jetzt nutze ich die Zeit, um alles noch mal zu ordnen und etwas Energie zu tanken. Irgendwas wird aber kommen, ich möchte mein eigenes Lokal eröffnen."

Ich habe keine Zweifel, dass das passieren wird, und wie ich Chang kenne, wird es sicher sehr bald so weit sein.