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Italien

Andreas Bienen machen den besten Honig Italiens

Bisher kannte ich nur den Honig aus der Bärenflasche. Als ich nach Italien kam, eröffnete sich mir eine komplett neue Welt und ich fand heraus, dass Honig mindestens genauso komplex wie Wein ist.

Ich stand im Ditta Ceni, Turins historischem Supermarkt, in dem Lebensmittel in loser Form erhältlich sind und sich ältere italienische Damen zum Tratschen treffen. Als meine Nummer endlich aufgerufen wurde, drängelte ich mich zwischen den mürrischen nonni bis zur Theke und las meine Einkaufsliste vor: ein Kilo Kichererbsenmehl, 200 g Currypulver … und schließlich: Honig.

Ma quale tipo?", fragte die Dame hinter der Theke. Ich sah, wie die Ungeduld in ihren Augen immer größer wurde und antwortete, dass ich nicht weiß, welche Sorte. Ich war die bärenförmigen Flaschen oder, wenn es meine Geldbörse zuließ, handwerklicher hergestellte Gläser von Bauernmärkten, auf denen die Bauernhöfe selbst mehr als der Inhalt beworben wurde, gewohnt. Die Verkäuferin spürte mein Zögern und scheuchte mich zu der Wand am hinteren Ende des Raumes, damit sie andere Kunden bedienen konnte. Ich bahnte mir den Weg durch die Menge und stand plötzlich vor einem glitzernden bernsteinfarbenen Schrein. Vor mir standen hunderte Gläser des flüssigen Golds in mehr verschiedenen Farbnuancen, als ich mir vorstellen konnte.

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Die Italiener gehen Honig auf die gleiche Art wie Wein an: als Virtuosen, die die vergänglichen Eigenschaften, die nur von Nase und Zunge wahrgenommen werden können, genießen. Italien hat mehr als 40 monoflorale Honigsorten. Es gibt Honig aus Kastanie, aus Akazie, aus Lindenblüten, aus Sonnenblumen und Wilden Möhrenpollen, die dem Honig jeweils ein spezielles Aroma verleihen. Jede einzelne Sorte hat ihren Zweck, je nach Geschmacksprofil. Manche eignen sich am besten für Süßigkeiten, andere für den Tee oder zum Marinieren von Fleisch. Die Enzyme im Honig verdauen das Fleisch buchstäblich, sodass es teilweise „kalt gekocht" wird und so fantastisches Tartare.

Jeder Honig ist hier heilig. Die alten Römer nannten die Bienen die „geflügelten Begleiter der Musen". Heute lässt Andrea Paternoster, der führende nomadische Imker Italiens, die Heiligkeit des Honigs wieder aufleben. Für ihn ist Honig „das Ergebnis der Arbeit eines heiligen Tieres". Seine vorsichtigen Bewegungen, wenn er sich in der Nähe des Bienenstocks befindet, und die Begeisterung in seiner Stimme verraten mir, dass das Imkern seine Religion ist. Andrea gründete Mieli Thun mit der Mission, Honig den gleichen Status zukommen zu lassen, der vielen anderen italienischen Produkten zuteil wird. Obwohl die Tradition des monofloralen Honigs über Generationen zurückgeht, leistet Andrea Pionierarbeit, wenn es darum geht die Geschmacksvielfalt durch kreatives Kochen und Hausmittel zu zelebrieren.

Andreas` Honige sind so besonders, weil er seine Bienenstöcke das ganze Jahr von Ort zu Ort durch Italien transportiert, um das einzufangen, was das Land und die Jahreszeiten ausmacht. Ich fragte mich, wie er die Herkunft seines Honigs bestimmen kann, wie er weiß, welche Blumen seine Bienen besuchen. Bienen sind zwar vielleicht ganz clever, aber ich hatte noch nie von welchen gehört, die auf Anweisungen hören. Die Antwort ist jedoch ganz einfach und nicht ganz so anthropozentrisch: Man muss einfach nur die richtige Umgebung für die Bienen schaffen. Andrea ist Ethnobotaniker. Er stellt seine Bienenstöcke in Feldern auf, von denen er weiß, dass es dort reichlich von genau der Blume gibt, die seine Bienen bestäuben sollen. Er ist auch ein bisschen ein Psychologe und seine Arbeit verlangt von ihm, dass er wie eine Biene denkt, damit er die Umgebung genau so anpassen kann, wie er es braucht, um Honig mit bestimmten Eigenschaften herzustellen. Und die Resultate sind beeindruckend. Sein Lindenblütenhonig schmeckt nach Menthol, sein Löwenzahnhonig riecht nach altem Käse, aber schmeckt nach Kamille. Der Eukalyptushonig riecht stark nach Steinpilzen und hat einen leicht salzigen Geschmack, weil er aus Bienenstöcken stammt, die sich in der Nähe des Meeres befanden. Honig—wer hätte das gedacht—ist genauso komplex wie Wein.

Für die Uneingeweihten bietet Andrea einen Farbkreis an, mit dem er die Farbtöne, die Aromen, die Geschmäcker und die Verwendungen seiner Honige bestimmen kann. Außerdem verkauft er neben vielen anderen Produkte wie Met auch Propolis, das schon seit Jahrtausenden in der traditionellen Medizin zum Einsatz kommt.

Propolis ist nur eines der vielen natürlichen Wunder, die Bienen uns schenken. „Bienen sind ein Verbindungsglied zwischen uns Menschen und der Natur", sagte Andrea. „Aber sie verbinden auch Leute. Die Präsenz der Bienen verbindet alle Kulturen, Religionen und Gesellschaften." Andrea sieht die Haltung dieser heiligen Tiere als eine große Verantwortung. „Man arbeitet in Harmonie mit Mutter Natur. Das Schwierigste daran ist, die Bescheidenheit beizubehalten und seine eigenen Grenzen zu kennen." Am Ende akzeptiere auch ich meine eigenen Grenzen und fragte eine alte italienische nonna nach ihrem Lieblingshonig: girasole, oder Sonnenblumenhonig, goldgelb, leicht kristallisiert mit Gras- und Zitrusnoten und mit der Süße von perfekt gereiften Aprikosen. Seit diesem Kauf, habe ich ihn mit pikanten Scones, Geflügelbraten und reifem Käse gegessen und ich muss sagen, ich bin ganz bei Andrea. Ich bin eine Gläubige.

Foto: Biene|Slices of light| Flickr | CC BY 2.0